Jürgen Rüttgers zeigt nach gewonnener Landtagswahl das Victory-Zeichen

Nordrhein-Westfalen Landtagswahl vor 20 Jahren: Eine Zeitenwende in NRW

Stand: 22.05.2025 06:00 Uhr

Am 22. Mai 2005 verlor die SPD die Landtagswahl nach 39 Jahren an der Macht. Wie die damalige Wende das Land Nordrhein-Westfalen bis heute prägt. Eine Analyse.

Von Martin Teigeler

Am 22. Mai 2005 gewann die CDU mit Landeschef Jürgen Rüttgers die Landtagswahl. Von "politischem Erdrutsch", "Zeitenwende" und einem "historischem Abend" war damals im WDR-Fernsehen die Rede. Die SPD musste nach 39 Jahren an der Regierung in die Opposition. Es war ein politischer Schock - der sofort ein heftiges Nachbeben auslöste.

Während die CDU in Düsseldorf euphorisch feierte und die SPD im Apollotheater am Rhein auf ihrer "Wahlparty" in kollektiver Depression versank, kam die nächste Hammermeldung. Der damalige SPD-Chef Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigten Neuwahlen im Bund an. Ein wahltaktischer "Doppel-Wumms", den die Republik so noch nicht gesehen hatte. Bei der Neuwahl siegte am Ende auch die CDU, wenn auch knapp. Und Angela Merkel wurde Kanzlerin.

Politische Verhältnisse gedreht

20 Jahre später hat sich Nordrhein-Westfalen politisch stark verändert. Die CDU regiert seit Jahren, mal mit der FDP, derzeit mit den Grünen, das bevölkerungsreichste Bundesland. Umfragen sehen die CDU seit langem weit vorn. Die SPD, die von 2010 bis 2017 unter Hannelore Kraft ein Comeback geschafft hatte, ist aktuell mal wieder in der Krise.

In Ex-SPD-Hochburgen im Ruhrgebiet feierte die AfD bei der Bundestagswahl Erfolge. Anfang Mai debattierte ein SPD-Landesparteitag über die Ursachen des Niedergangs. Die lange Zeit hegemoniale NRW-SPD hat es nicht geschafft, wie ihre Genossen in Rheinland-Pfalz oder Brandenburg ein Bundesland auch im 21. Jahrhundert politisch zu prägen.

2005 war Harald Schartau Landeschef der SPD in NRW. Von einem Landtagswahlergebnis von 37 Prozent wie damals träumen die Sozialdemokraten heutzutage. Damals war es eine Katastrophe. "Wenn ich an den Wahlabend des 22. Mai 2005 denke, sind das bittere Erinnerungen, nach wie vor", sagt der 72-jährige Schartau. In die Neuwahlpläne im Bund sei er nicht eingeweiht gewesen - überrascht habe ihn das aber auch nicht.

SPD-Politiker Müntefering, Schröder und Schartau im April 2005 beim Wahlkampf in Dortmund

2005 im Krisenmodus: SPD-Politiker Müntefering, Schröder und Schartau bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dortmund

Im Wahlkampf habe man vor 20 Jahren "gemerkt, dass viele Wählerinnen und Wähler einen Wechsel in Nordrhein-Westfalen wollten", sagt Schartau. Hinzu sei Kritik an Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen gekommen. "Die positiven Auswirkungen der Agenda-Reformen sind erst Jahre später eingetreten."

Schartau: 2005 war die Lage ähnlich wie heute

"Die Reformen, die Rot-Grün damals auf Bundesebene eingeleitet hatte, waren notwendig", sagt Schartau, der bis zur Wahlpleite 2005 Arbeits- und Wirtschaftsminister im Landeskabinett von Ministerpräsident Peer Steinbrück war. "Deutschland hatte ja 2002 eine ähnliche Stimmungslage wie heute. Wirtschaftlich herrschte Stillstand."

Auf die Frage, welche Lehren die SPD 20 Jahre später noch aus der historischen Niederlage von 2005 ziehen könnte, sagt der frühere Gewerkschafter, der seit vielen Jahren nur noch einfaches Parteimitglied ist: "Eine Partei sollte sich an der Regierung kontinuierlich erneuern - mal sehen, ob das jetzt bei der SPD auf Bundesebene klappt."

Von "Privat vor Staat" zum "sozialen Gewissen"?

Auch die NRW-CDU hat sich verändert. Die 2005 mit der FDP gebildete Landesregierung war geprägt vom neoliberalen Zeitgeist ("Privat vor Staat") - auch wenn Rüttgers oft "Arbeiterführer" genannt wurde. Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag von 2022 hieß es hingegen: "NRW muss das soziale Gewissen der Bundesrepublik Deutschland bleiben". Ob dem so ist, wird etwa wegen Etatkürzungen beim Sozialen von der SPD-Opposition im Landtag angezweifelt. Dennoch zeigt der Satz, wie die Wüst-CDU beim Wähler ankommen will.

Oliver Wittke war von 2005 bis 2009 Verkehrsminister im Kabinett Rüttgers. Zuvor war er der erste CDU-Oberbürgermeister im politisch roten Gelsenkirchen. "1999 war ein Erdrutschsieg für die CDU in vielen Kommunen. Eigentlich hätte 2000 schon der Regierungswechsel auf Landesebene stattfinden können, aber dann kam die Parteispendenaffäre von Helmut Kohl dazwischen", sagt der heute 58-jährige Wittke, der auch Bundestagsabgeordneter war und seit 2024 Vorstandssprecher des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) ist.

Oliver Wittke, Vorstand des Verkehrsverbands Rhein-Ruhr

Der ehemalige CDU-Landesverkehrsminister und heutige VRR-Vorstandssprecher Oliver Wittke

Als Ursachen dafür, dass das Land 2005 von der SPD zur CDU kippte, nennt Wittke rückblickend "eine gewisse Selbstgefälligkeit" der SPD. "Und es kam eine Entfremdung der SPD von ihrer eigenen Wählerschaft hinzu. Jürgen Rüttgers hat es 2005 geschafft, dass die CDU für viele Facharbeiter wählbar wurde." Aber auch die CDU habe Fehler in der Regierung gemacht. "Die Zusammenarbeit zwischen  Rüttgers und dem FDP-Duo Wolf/Papke lief längst nicht so reibungslos wie die zwischen Armin Laschet und Joachim Stamp ab 2017."

Ist NRW jetzt ein "CDU-Land"?

20 Jahre nach Ablösung der SPD ist die CDU die stärkste Partei in NRW. Bei vier der letzten fünf Landtagswahlen lagen die Christdemokraten vorne: 2005, 2010 ganz knapp, 2017, 2022. Nur 2012 siegte klar die SPD.

"Ich warne davor, sich irgendwo in Sicherheit zu wiegen", sagt der Christdemokrat Oliver Wittke. Die SPD stelle zum Beispiel weiterhin viele Bürgermeister. "Die starke Wählerbindung, die es früher gab, gibt es so heute nicht mehr. Das gilt auch für die Bindung an die Gewerkschaften, an die Kirchen, auch an Vereine. Die Bindungskraft an gesellschaftliche Institutionen hat insgesamt stark nachgelassen." Deshalb habe niemand Wahlsiege sicher - das gelte auch mit Blick auf die NRW-Kommunalwahlen im Herbst.

Unsere Quellen:

  • Schartau und Wittke auf WDR-Anfrage
  • eigene Recherchen