
Nordrhein-Westfalen Messergewalt unter Kindern gestiegen - das sind die Gründe
Unter Kindern und Jugendlichen gibt es mehr Messergewalt. NRW-Innenminister Reul und die Polizeigewerkschaft fordern mehr Aufklärung - und Sanktionen.
Dass sich Kinder und Jugendliche mal in der Schule streiten, ist nichts Ungewöhnliches. Auch nicht, dass vor allem Jungen gelegentlich so heftig aneinander geraten, dass sie sich prügeln. In einem Fall in Remscheid ist ein solcher Streit am Donnerstag aber eskaliert.
Dort wollten ein Elf- und ein 13-Jähriger ihre Meinungsverschiedenheiten nachmittags abseits der Schule klären. Dabei zog der jüngere der beiden laut Polizei ein Küchenmesser, nachdem der 13-Jährige ihn zuvor mehrfach mit der Faust gegen den Kopf geschlagen hatte. Der Elfjährige verletzte den älteren Jungen am Oberschenkel.
Der Angriff in Remscheid ist kein Einzelfall. In Berlin sucht die Polizei aktuell nach einem 13-Jährigen, der am Donnerstag mit einem Messer auf einen zwölf Jahre alten Mitschüler eingestochen und ihn lebensgefährlich verletzt haben soll. Mitte Mai wurde ein 14 Jahre alter Junge in Menden erstochen. Unter Verdacht stehen ein 16- und ein 17-Jähriger.
Zahl der Gewaltdelikte unter Jugendlichen gestiegen
Nicht nur gefühlt hat die Zahl der Messerangriffe unter Jugendlichen zugenommen. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Land NRW ist die Zahl der Straftaten auf schulischen Veranstaltungen, bei denen eine Stichwaffe genutzt wurde, in den vergangenen Jahren gestiegen. Von 2019 zu 2020 hatte sie sich während der Corona-Pandemie zunächst von 182 auf 94 fast halbiert. 2023 war sie dann mit 217 Fällen mehr als doppelt so hoch - und auch höher als 2019. Im Jahr darauf wurde die Definition des Tatbestandes geändert, weshalb die Zahlen von 2024 nicht mit den vorangegangenen Daten vergleichbar ist.
Auch bundesweit zeigt sich ein ähnlicher Trend. Nach einer Auswertung der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut nahm vor allem unter Kindern und jungen Jugendlichen die Zahl der Körperverletzungen in den vergangenen Jahren zu. Demnach stieg die Zahl der vorsätzlichen einfachen Körperverletzungen, die von Kindern unter 14 Jahren verübt wurden, um mehr als 19 Prozent. Bei den Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren lag der Zuwachs bei über 14 Prozent.
Reul fordert Sanktionen für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche

NRW-Innenminister Herbert Reul
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich betroffen, dass Kinder und Jugendliche immer früher straffällig werden - und zwar mit Gewalt. Hierfür müssten sie zur Verantwortung gezogen werden. Wie genau man das dann sanktioniere, sei die nächste Frage. Eine Haftstrafe werde nicht die Lösung sein. "Aber wie wir das bisher machen - wir schicken sie nach Hause und dann war es das - das kann doch nicht richtig sein", so Reul. Er sprach sich dafür aus, Sanktionen gegen straffällig gewordene Kinder und Jugendliche bundesweit gesetzlich zu regeln, etwa im Strafgesetzbuch (StGB).
Zugleich müsse überlegt werden, wie man Kindern und Jugendlichen beibringt, Konflikte anders als mit Gewalt etwa in Form von Messern zu lösen. Und Heranwachsende müssten auch lernen, dass Messer nicht in die Hosen- oder Schultasche, sondern in eine Küchenschublade gehörten. Reul sieht hier auch die Eltern in der Pflicht, dies bei der Erziehung zu berücksichtigen.
Kinder und Jugendliche mehr aufklären

Michael Mertens
Mehr Aufklärung an Schulen, was Messerattacken anrichten können, fordert der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei NRW, Michael Mertens. Den meisten Kindern und Jugendlichen sei nicht bewusst, dass Messerstiche auch in Arme und Beine tödlich sein können, wenn wichtige Blutgefäße getroffen werden, sagte Mertens dem WDR. Daher müssten Lehrkräfte gemeinsam mit Polizei und Rettungskräften Heranwachsenden nahebringen, dass Angriffe mit Messern nicht zu einer Konfliktlösung beitragen. Grundsätzlich befürwortet Mertens auch ein Messerverbot an Schulen. Das Problem sei aber, dass dies auch kontrolliert werden müsste - und das dürfte im Alltag nicht einfach zu handhaben sein.
Der Kriminologe Prof. Stefan Kersting geht davon aus, dass durch die weitverbreiteten Gewaltdarstellungen in Social-Media-Videos bei Kindern und Jugendlichen die Hemmschwelle sinke, im Fall von Konflikten selbst Gewalt anzuwenden. Eltern müssten genauer hinschauen, was Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt klickten und das Gesehene mit ihnen besprechen, sagte Kersting dem WDR.
Und bei den Gesprächen müsste den Heranwachsenden klar gemacht werden, dass Gewalt niemals die Lösung bei Streit sei. Zudem müssten Eltern ihren Kindern gewaltfreies Handeln vorleben. Komme es im Elternhaus zu körperlichen Angriffen bei Auseinandersetzungen, dann sei es nicht verwunderlich, wenn Heranwachsende dieses Verhalten kopierten.
Studie: Weniger Selbstkontrolle und moralische Bedenken
Laut einer Studie des Reinhard Selten Instituts, in dem die Universitäten Bonn und Köln zusammenarbeiten, könnte die Zunahme der Gewalt daran liegen, dass die Selbstkontrolle unter den Jugendlichen abgenommen hat. "Dies führt vor allem dann zu Gesetzesverstößen, wenn sich diese Jugendlichen sozialen Umgebungen und Situationen konfrontiert sehen, die Kriminalität begünstigen", heißt es im Zwischenbericht zum Teilprojekt "Dunkelfeld", der im April veröffentlicht wurde.
Für die Untersuchung sprachen die Autoren mit Schülern und Schülerinnen aus 7. und 9. Klassen in Gelsenkirchen, Herten und Marl und verglichen die Antworten mit den Ergebnissen einer ähnlichen Studie aus dem Jahr 2013/14. In diesem Rahmen ging es auch um die moralischen Einstellungen der Jugendlichen. Dafür befragten sie die Teilnehmenden, wie verwerflich sie bestimmte Taten finden. Das Spektrum reicht von "Mit dem Fahrrad über eine rote Ampel fahren" bis hin zu "Einen Mitschüler so schlagen, dass er oder sie blutet".
Während das Ergebnis für die 9. Klasse nicht eindeutig war, zeigten die Antworten der Siebtklässler und -klässlerinnen, "dass die Jugendlichen des 7. Jahrgangs heute im Durchschnitt schwächere moralische Einstellungen haben als noch 2013".
Nur wenige Jugendliche haben oft Messer bei sich
Neu in die Untersuchung nahmen die Wissenschaftler die Frage auf, ob die Jugendlichen regelmäßig Messer bei sich führen. Mehr als 83 Prozent der Jungen und mehr als 90 Prozent der Mädchen gaben an, nie ein Messer bei sich zu haben. Die Autoren kommen dennoch zu dem Schluss, dass obwohl nur sehr wenige Jugendliche oft ein Messer dabei hätten, diese Anteile nicht vernachlässigbar gering seien.
Über einen längeren Zeitraum betrachtet besteht daher durchaus das Risiko, dass es in Einzelfällen zu einem Einsatz von Messern kommt, wenn Konflikte eskalieren.
Aus dem Zwischenbericht zum Teilprojekt "Dunkelfeld"
Was die meisten Jugendliche als Gründe für das Mitführen von Messern angeben? Damit sie sich im Notfall verteidigen können.
Unsere Quellen:
Über dieses Thema berichten wir am 23. Mai 2025 auch im WDR-Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18:45 Uhr.