Illustration: Sitzplätze in einem Zug und ein WC, auf dem ein Schild "defekt" angebracht ist.

Nordrhein-Westfalen Piesel-Misere: Warum WCs im ÖPNV auch ein soziales Problem sind

Stand: 23.05.2025 12:00 Uhr

Defekte Klos in Regionalzügen und teure WCs an Bahnhöfen in NRW sind Alltag im ÖPNV. Wie so oft, ist keiner so richtig zuständig. Mittlerweile forscht sogar die Wissenschaft zur Notdurft im Nahverkehr.

Von Martin Teigeler

Wer am Düsseldorfer Flughafen landet, kann eines der Rätsel der Verkehrsinfrastruktur erleben: Im Airportgebäude ist der Gang zur Toilette kostenlos. Wer aber mit der S-Bahn weiter zum Düsseldorfer Hauptbahnhof fährt, muss für die Nutzung der dortigen öffentlichen Klos 1,50 Euro bezahlen.

Seit einer Modernisierung der WC-Anlagen ist der Gang zum stillen Örtchen im Bahnhof der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt 50 Cent teurer geworden. An NRW-Bahnhöfen wie Essen, Köln und Dortmund waren die Preise schon im November 2024 erhöht worden. An anderen Standorten in NRW bleiben die Preise „stabil“, so ein Bahnsprecher.

Problem in einer älter werdenden Gesellschaft

Überteuerte Toiletten sowie defekte oder gar nicht vorhandene Klos in Regionalzügen und S-Bahnen sind ärgerlicher Alltag für Nutzer des Nahverkehrs in NRW. Gerade in einer alternden Gesellschaft, in der immer mehr Menschen rein biologisch öfter mal „müssen“, ist das auch nach Einschätzung von Forschern ein Problem.

Die gute Nachricht: In den Zügen ist und bleibt der Gang zur Toilette - sofern vorhanden - umsonst. Die schlechte: In vielen Regionalbahnen sind die Klos regelmäßig defekt oder wegen Vandalismus gesperrt.

Manche S-Bahnen, die quer durchs Land Nordrhein-Westfalen fahren, haben überhaupt keine Toilette. „Die S-Bahn-Linien S6, S11 und S68 bekommen bis Anfang der 2030er Jahre neue Fahrzeuge mit Toiletten“, sagt ein Sprecher des Verkehrsverbunds Rhein Ruhr (VRR). Nutzerinnen und Nutzer der S-Bahn-Linien S1 zwischen Solingen und Dortmund müssen noch länger durchhalten - bis zur „zweiten Hälfte der 2030er Jahre“. Auch bei der S4 wird es bis dahin dauern. Die übrigen Linien haben laut VRR Toiletten an Bord.

In Großstädten ist das WC-Problem größer

Detlef Neuß von der Pro Bahn

Detlef Neuß von "Pro Bahn"

Die Qualitätsberichte der Verkehrsverbünde dokumentieren die Piesel-Misere seit Jahren. In NRW sei der Zustand der Toiletten nicht besser oder schlechter als in anderen Teilen Deutschlands, sagt Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn. Im urbanen Raum sei „die Qualität der Toiletten aber schlechter als auf Strecken in der Fläche“. Das liege zum einen an der Fahrgastdichte, zum anderen aber auch „an Bahnstrecken, die soziale Brennpunkte durchqueren“ – und auch am Vandalismus an Spieltagen der Fußball-Ligen.

An den Zeitpunkt, zu dem die Toilettennutzung an den Bahnhöfen gebührenpflichtig wurde, kann sich Detlef Neuß nicht erinnern. Seit der Bahnreform 1994 seien jedoch immer mehr Service-Angebote von der Deutschen Bahn AG an Subunternehmen ausgelagert worden, „die eine Gebühr verlangen“. Die 1,50-Euro-Klos an großen Bahnhöfen werden beispielsweise von gewinnorientierten Unternehmen betrieben.

„Jeder regelmäßig Bahnreisende hat sicher schon einmal negative Erfahrungen mit verdreckten oder geschlossenen Toiletten an Bahnhöfen und in Zügen gemacht“, sagt eine Sprecherin von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne), verweist aber zugleich auf die Zuständigkeiten der Verkehrsverbünde und der Bahnhofseigentümer.

Der Bahnhof der Zukunft braucht gute WCs

Mobilitätsforscherin Jutta Deffner

Mobilitätsforscherin Jutta Deffner

Warum wäre es wichtig, mehr funktionierende, saubere und möglichst kostengünstige WCs im ÖPNV zu haben? „Zum Bahnhof der Zukunft gehört eine gute Aufenhaltsqualität, bei der sich Reisende gut versorgen können – dazu gehören auch sanitäre Anlagen. Bahnhofsnutzende legen großen Wert auf Hygiene, Sauberkeit und Instandhaltung. Laut unserer noch unveröffentlichten Studie mit rund 4.000 bundesweit Befragten spricht sich etwas mehr als die Hälfte dafür aus, dass sanitäre Anlagen an jedem Bahnhof möglichst kostenfrei zugänglich sein sollten“, sagt Jutta Deffner. Sie ist Leiterin des Forschungsfelds Nachhaltige Gesellschaft am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt. Das wissenschaftliche Team kooperiert unter anderem auch mit dem Wuppertal-Institut.

Die Kommerzialisierung von Toiletten habe ökonomische, aber auch gesellschaftliche Folgen, sagt Deffner. „Ein besonders trauriges Beispiel ist der Mobilitätsverzicht, wenn gerade ältere Menschen einfach weniger mit dem Zug fahren.“ Und dies schlicht aus "Sorge vor dem Grundbedürfnis, schnell ein WC aufsuchen zu müssen".

Bahnhöfe seien auch „Transitorte für Menschen in schwierigen Lebenslagen – zum Beispiel für von Obdachlosigkeit Betroffene“, so die Wissenschaftlerin. Sind keine Toiletten zugänglich, wird in der Not im Freien uriniert - zumeist ein männliches Thema. „Ein Lösungsmodell wären mehr frei zugängliche Urinale.“

Vandalismus in Deutschland besonders ausgeprägt

Bei den Forschungen habe sie zudem den Eindruck gewonnen, so Deffner, „dass zwischen Bahnunternehmen, Verkehrsverbänden und Kommunen keine wirklich verlässlich funktionierenden Strukturen bestehen, um Lösungen für Probleme wie fehlende zugängliche Toiletten zu finden“. Dies liege an "zersplitterten, unterschiedlichen Zuständigkeiten".

„Darüber hinaus sieht es so aus, dass Vandalismus auch von öffentlichen WC-Anlagen in Deutschland ein größeres Problem ist als in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Österreich.“ Die Forscherin sieht darin ein gesellschaftliches Problem, "bei dem sich Bahnunternehmen und Kommunen teils überfordert zeigen".

Über die Situation im Regionalverkehr berichtet der WDR am 25. Mai 2025 in Westpol im WDR Fernsehen

Unsere Quellen:

  • DB-Sprecher für Düsseldorf auf Anfrage
  • VRR-Sprecher auf Anfrage
  • Ministeriumssprecherin auf Anfrage
  • Detlef Neuß von Pro Bahn auf Anfrage
  • Jutta Deffner im Gespräch mit dem WDR
  • eigene Recherchen und Hintergrundgespräche