NRW-Ministerpraesident Hendrik Wuest (CDU) bei derder neuen LUNA Analog Facility auf dem Gelaende des DLR - das Trainings- und Technologiezentrum. Im Hintergrund sieht man verschwommen einen Astronauten

Nordrhein-Westfalen Wüst und die Weltbühne: "Out of Düsseldorf"

Stand: 19.06.2025 06:00 Uhr

Für NRW-Ministerpräsidenten gehört es zum guten Ton zu sagen: "Außenpolitik machen wir nicht." Auch Hendrik Wüst (CDU) tut das - und tummelt sich auf der Weltbühne. Im Landtag gibt es Kritik. Manche meinen: Wüst sucht seine Rolle als Staatsmann.

Von Antje Passenheim

Häufiger ist Hendrik Wüst in den vergangenen Wochen jenseits der Landesgrenzen unterwegs gewesen: Er reist viel, weil er Olympische Spiele für NRW holen will, Wirtschaftswerbung in Katar und Abu Dhabi macht und NRW zum Raumfahrt-Standort entwickeln möchte.

Getrieben vom Traum der Olympischen Spiele an Rhein und Ruhr, über einen Werbezug der Wirtschaft durch Katar und Abu Dhabi und in Gedanken bis zum Mond – der Weg dorthin soll laut Wüst künftig mit der Raumfahrt über NRW führen. Ein Katzensprung dagegen ein Trip zu Nato-Generalsekretär Mark Rutte, wo Wüst gerade war: „Für meine Wahrnehmung ist eine Reise nach Brüssel eigentlich keine Auslandsreise“, sagt Wüst. Innereuropäische Grenzen empfinde er gar nicht mehr. Wer NRW regiert, ist allein schon aufgrund der Lage und Tradition des Bundeslands international unterwegs. Wüst, so scheint es, sucht gerade verstärkt seine Rolle auf der internationalen Bühne.

Glanz durch Abwesenheit

Hendrik Wüst steht vor dem Hollywood-Zeichen

Wüst in Hollywood

Im vergangenen Jahr warb Wüst noch an der US-Westküste für den Standort NRW. Als Etappe zum Ziel "Von der Kohle zur KI" feiert er jetzt mit der Milliardeninvestition des US-Techkonzerns Microsoft im Rheinischen Revier - Vorzeigeprojekt für den Strukturwandel in der Braunkohleregion. Microsoft-Vize Brad Smith schwärmte: Dank der Zusammenarbeit könne NRW eine führende Rolle in Europa einnehmen. Musik in Wüsts Ohren.

Out of Düsseldorf - Im Landtag klingt das oft anders. So bemängelte SPD-Fraktionschef Jochen Ott vor einigen Tagen die Abwesenheit des Ministerpräsidenten während einer zentralen Wirtschaftsdebatte im Plenum des Landtags. Das wäre Wüsts sozialdemokratischen Vorgängern Rau oder Kraft nicht passiert, meinte er.

"Wenn er erfolgreich wäre – in Deutschland und darüber hinaus mit seinem Engagement, dann könnten wir darüber reden", sagt Ott dem WDR. "Aber offen gesagt: Alle Insider sagen, dass die Bewerbung zu den Olympischen Spielen hochgradig zurückfällt gegenüber anderen Bewerbungen in Deutschland." Auch in Raumfahrt-Fragen seien andere Bundesländer vorne, die den Takt angeben. Bei der Sicherung der heimischen Wirtschaft seien ebenfalls andere Bundesländer deutlich stärker.

Insofern stelle ich mir im Moment gerade die Frage: Für was in NRW brennt der Ministerpräsident eigentlich wirklich? Und wie sichert er tatsächlich unseren Einfluss über die Landesgrenzen hinaus?

Jochen Ott, Fraktionsvorsitzender der SPD im NRW-Landtag

Wüst sagt: Indem er zum Beispiel die Zeitenwende buchstabiert. Und ganz polyglott unter den Titel "DEFENCE.NRW" stellt. Zusammen mit seiner Stellvertreterin, der grünen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, wirbt der CDU-Ministerpräsident nicht nur auf seinen Reisen für NRW als Zentrum der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Europa.

"Nicht mehr verdruckst über Rüstung reden"

Als Land mit rund 28.000 stationierten Soldatinnen und Soldaten, bedeutenden Bundeswehr-Standorten und einer leistungsstarken Rüstungsindustrie soll NRW einen zentralen Beitrag zur kollektiven Sicherheit Europas leisten. Der Chef der Staatskanzlei und Minister für Internationales, Nathanael Liminski (CDU), spricht gar von NRW als „industrieller Basis der Zeitenwende“. Und Wüst unterstreicht in der Landespressekonferenz:

 Viele Jahre sind wir in diesem Land sehr verdruckst mit diesen Themen umgegangen. Jetzt tun wir das nicht mehr – und ich tue es auch nicht

Ministerpräsident Hendrik Wüst

Mit Blick auf manche Debatten aus den USA könne er nachvollziehen, dass Manches auch im Sinne der Souveränität lieber in Europa bleibe. „Und dann auch gern in NRW“, betont Wüst. Wenn eine Rüstungsfirma in NRW investieren wolle, sage er „Herzlich Willkommen.“

Liminski: Auch Mittelstand zu Rüstungsindustrie führen

Seit der russischen Invasion in der Ukraine brummt die Rüstungsindustrie im Land. Größter Player: Rheinmetall in Düsseldorf. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei 9,8 Milliarden Euro - ein Plus von 36 Prozent zum Vorjahr. Für das nächste Jahr wird eine Steigerung des Umsatzes von bis zu 30 Prozent erwartet. Tausende weitere Jobs sollen entstehen, auch in der Fabrik zum Bau von Teilen für den Kampfjet F-35, die Rheinmetall gerade am Airport Weeze baut. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschen und US-Amerikanern beim Bau des F-35 sei ein positives Beispiel dafür, wie Wertschöpfung in NRW generiert würde, lobt Wüsts rechte Hand Liminski. Ihm geht es aber auch darum, den NRW-Mittelstand mehr in die internationale Rüstungsindustrie einzubinden. Auf seiner jüngsten Reise nach Polen und in die Ukraine lotete Liminski neue Ansätze aus. Der Minister sieht viel Potenzial:

Minister Liminski auf seiner Reise in die Ukraine und nach Polen

Minister Liminski auf seiner Reise in die Ukraine und nach Polen

"Die ukrainische Rüstungsindustrie hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, zu einer nennenswerten Größe weltweit zu werden", sagt Liminski. "Mit vielen Kapazitäten, mit Know How – vor allen Dingen aber mit Produkten, die jeden Tag dem Realitätstest ausgesetzt werden." Er halte diese Rüstungsindustrie für einen wichtigen Partner - "auch für unsere deutsche Rüstungsindustrie, wenn es darum gehen wird, die Verteidigung Europas dauerhaft zu sichern."
Liminski trommelte direkt nach seiner Rückkehr 40 mittelständischen NRW-Unternehmen zusammen, die sich mit dem Gedanken tragen, im Bereich Verteidigung und Rüstung zu investieren. Damit wolle er das klare Zeichen senden: „Wir brauchen diese Industrie, wir wollen diese Industrie und wir wollen sie dauerhaft. Und das ist das, was Politik in diesem Moment jetzt senden muss als Signal.“

"Kongeniales Zusammenspiel"

Applaus kommt von einem CDU-Parteifreund, der Wüst und Liminski von der internationalen Bühne kennt. Der Ex-Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und frühere deutsche UN-Botschafter, Christoph Heusgen, lobt die internationalen Ambitionen der Landespolitiker: NRW gehöre zu den wirtschaftsstärksten Bundesländern, es grenze an Belgien und die Niederlande und sein Wohlstand hänge auch vom Außenhandel ab. Da sei es nur natürlich, dass der Ministerpräsident und seine rechte Hand sich für Außenpolitik interessierten: "Ich habe dieses Interesse schon als Botschafter bei den Vereinten Nationen gemerkt, als mich der Ministerpräsident regelmäßig zu meinen außenpolitischen Einschätzungen befragte", so Heusgen. "Und es war nur natürlich, dass ich beide auch zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen habe, an der sie rege teilnahmen."

Volker Kronenberg

Volker Kronenberg

Als kongeniales Zusammenspiel von Wüst „mit dem Mann im Maschinenraum" sieht der Bonner Politologe Volker Kronenberg die internationalen Vorstöße. Beflügelt natürlich von der bewegten Weltlage und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen auch auf NRW. Doch der Professor am Institut für Politikwissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sieht auch noch ein anderes Signal von Düsseldorf an die Regierung in Berlin:

Dass man da eben zeigt: Aber selbstverständlich kann man mit den Grünen verantwortungsvoll und zukunftsorientiert regieren. Das ist die Sub-Botschaft, sicherlich auch dieser Akzente, die man jetzt eben im Internationalen, im Europäischen und im Sicherheitspolitischen aussenden will... aber auch die unterschiedlichen Facetten von Zeitenwende durchzudeklinieren, das ist Anspruch dieser Politik, auch dieser Reisen, auch dieser Früchte, wie Microsoft. Und die Grünen, die jubeln: So geht klimafreundliche Transformation.

Politologe Volker Kronenberg

Grüne gehen bei Rüstungsfragen mit

Julia Höller, innenpolitische Sprecherin der Grüneen Landtagsfraktion, NRW

Julia Höller, Innenpolitische Sprecherin der Grünen , Landtagsfraktion NRW

Tatsächlich fühlen sich die Grünen als kleinerer Koalitionspartner durch den außen- und sicherheitspolitischen Kurs des CDU-Partners nicht überrollt, sagt die innenpolitische Sprecherin Julia Höller, die in der Fraktion auch für Fragen der Bundeswehr zuständig ist. Auch die Grünen seien den Menschen in NRW gegenüber in der Verantwortung, bei der „Zeitenwende“ Antworten zu liefern. "Wir setzen ja ganz klare Akzente in diesen Fragen. Und das, was uns so stark in dieser Konstellation macht, ist, dass wir diesen anderen Blick auf Fragen von Bundeswehr, von Rüstungspolitik haben. Nämlich: Auf der Grundlage welcher Werte passiert das denn alles?" Und das gehe auch mit einer klaren Exportkontrolle einher. Höller verhehlt nicht, dass einige Mitglieder in ihrer Partei mit diesen Themen fremdeln.

Staatsmann Wüst sammelt fürs Portfolio

Noch einen Aspekt sieht Politologe und CDU-Beobachter Kronenberg: Wüst stärke durch die Erweiterung seines Portfolios seine Position als Ministerpräsident. Er gewinne durch seine Exkursionen in die Außen- und Verteidigungspolitik etwas Staatsmännisches. "Da gehört natürlich auch dazu, dass man nicht nur nach Innen regiert, sondern dass man auch nach Außen auftritt, wenn man immer wieder sagt, NRW ist nicht irgendeines der 16 Bundesländer, sondern es ist schon ein sehr starkes", sagt Kronenberg."

Und ein NRW-Ministerpräsident sei eigentlich qua Amt immer auch ein Anwärter für das Amt in Berlin. "Das ist jetzt nicht für den Moment", meint Kronenberg. "Das zielt nicht auf das Jetzt aber das zielt auf das Morgen, das zielt auf die Zukunft, den Gestaltungswillen dieser Regierung aber auch dieses Ministerpräsidenten und seines engsten Mitstreiters, Minister Liminski." Kronenberg meint, "dass die Beiden noch viel vorhaben."

Unsere Quellen:

  • Ministerpräsident Wüst/ Landespressekonferenz
  • Pressegespräch mit Minister Liminski
  • Interviews mit Julia Höller (Grüne) Jochen Ott (SPD)
  • Interview mit Politologen Volker Kronenberg