Rheinland-Pfalz Bauern klagen weiter über zu viel Bürokratie
Vor gut einem Jahr sind die Landwirte auf die Straßen gegangen: "Schluss mit dem Verordnungswahn" war eine ihrer Forderungen. Eine landesweite Recherche des SWR zeigt: Es hat sich offenbar nichts geändert.
Jeder Tag auf dem Hof von Stefan Gilles ist anders. Das sei auch das Schöne an seiner Arbeit, sagt der Landwirt aus der Eifel. Was aber auf jeden Fall jeden Tag anfällt, ist Büroarbeit. Ein bis zwei Stunden sitzt der 38-Jährige vor Formularen und Anträgen, Tendenz steigend: "Man sitzt immer länger im Büro, es wird immer komplizierter, das ist schon frustrierend."
Landwirt Stefan Gilles aus Gappenach in der Eifel ist frustriert: Seine Arbeit als Landwirt macht ihm viel Spaß, allerdings wird die Bürokratie immer mehr.
Landwirt aus der Eifel: Sinn vor Unsinn
Dass zu seinem Job auch Büroarbeit gehört, das ist für Gilles in Ordnung. Was ihn aber nervt, ist unnötiger Papierkram: "Ich mache einen Antrag an die Kreisverwaltung und gebe an, wie viel Fläche womit bebaut wird. Und dann - drei Wochen später - will das Statistische Landesamt dieselben Zahlen haben." Für ihn mache so etwas keinen Sinn.
Bauern forderten: "Bürokratie-Abbau! Jetzt!"
Gut ein Jahr ist es her, dass Gilles und andere Bauern und Winzer im ganzen Land auf die Straße gegangen sind. Sparpläne der Ampelregierung, die alle Bauern getroffen hätten, waren zwar der Auslöser, aber nicht das einzige große Thema.
"Stoppt die Bürokratie!" - diese und ähnliche Forderungen hingen an Treckern im ganzen Land.
"Bürokratie-Abbau! Jetzt!" war die andere Forderung, die die Bauern auf großen Pappschildern geschrieben an die Gabeln ihrer Trecker gebunden hatten. Die deutschen Agrarminister hatten damals erklärt, sie wollten bürokratische Regeln für Landwirte deutlich entschlacken. Sogar die Umweltauflagen der EU sollten abgeschwächt werden. Wenn man Stefan Gilles in der Eifel zuhört, bekommt man den Eindruck, dass sich seitdem nicht viel getan hat. Und mit der Meinung steht er nicht alleine da.
- In Rheinhessen protestieren die Bauern mit mehr als 20 Mahnfeuern. Im Dezember 2023 starten sie den Protest, indem sie Autobahnauffahrten blockierten. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck haben sie in Empfang genommen.
- In der Westpfalz blockieren rund 600 Fahrzeuge aus Protest den Verkehr. Auch an einem großen Protest in Berlin nehmen die Bauern teil.
- Im Raum Trier legen rund 3.000 Traktoren den Verkehr lahm und treffen sich bei einer Kundgebung in Trier. Auch Bauern aus der Eifel und von der Obermosel beteiligen sich.
- Im Norden des Landes kommen fast 1000 Landwirte zu einer zentralen Kundgebung in Koblenz. Auch am Deutschen Eck demonstriert ein Traktor-Konvoi.
- Bei den Demonstrationen nutzen die Bauern sehr bildhafte Protestformen, wie in Birkenfeld. Dort ist auf einem Kreisverkehr Kuhmist abgeladen worden.
- Noch bis in den Februar engagieren sich die Bauern und weiten ihren Protest aus. Dafür blockieren sie Zentrallager von Supermärkten im ganzen Land.
Bürokratie-Abbau nach Bauernprotesten: "Juristen ohne Arsch in der Hose"
Gut 160 Kilometer weiter südlich in Neustadt an der Weinstraße: Während Stefan Gilles aufrechnet, wie viele Stunden er nach der Arbeit noch am Schreibtisch verbringen muss, finden in der Stadthalle die Pfälzischen Weinbautage statt. Es ist die Fachtagung für den Weinbau in der Pfalz, mit geschätzten 2.000 Besuchern an zwei Tagen. Natürlich kann eine Umfrage selbst bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung mit Winzern aus der ganzen Pfalz nicht für sich beanspruchen, repräsentativ zu sein. Doch es fällt auf, dass nicht einer, den wir hier fragen, ein Beispiel nennen kann, bei dem der Papierkrieg weniger geworden wäre.
Blick in den Saalbau während der Pfälzer Weinbautage
Bauern und Bürokratie: Eine lange Geschichte…
Reinhold Hörner, Weinbaupräsident der Pfalz, muss allein bei der Vorstellung, es habe sich etwas gebessert, schon lachen. Seit den 80er Jahren ist er mittlerweile bei Protesten gegen die zunehmende Bürokratie dabei: "Ich habe keine Hoffnung mehr, dass da noch mal irgendwas kommt. Alles ist durchsetzt mit Juristen und Bedenkenträgern. Und keiner hat den Arsch in der Hose, das mal umzusetzen!"
Natürlich sei Bürokratie grundsätzlich wichtig und richtig, sagt Hörner, aber: "Es gibt zu viele Regelungen, bei denen Angaben doppelt und dreifach gemacht werden müssen, ohne dass sich der Sinn dahinter erschließt."
Seine Kollegen Marco Weber, Präsident beim Bauern- und Winzerverband Rheinland- Nassau, und Moselweinbaupräsident Walter Clüsserath stoßen ins gleiche Horn. Es sei schon unglaublich, wie oft man bei Anträgen dasselbe gefragt werde, bestätigt Clüsserath: "Man quält die Leute mit unnötigem Mist. Und das ärgert die Winzer zu Recht."
Interview: Bürokratie bremst noch immer die Landwirte in Rheinhessen
Seiner Ansicht nach müssten sich die verschiedenen Stellen vernetzen und Daten austauschen, sagt Weber. Die Landwirte müssten dafür nur einwilligen, dass ihre Daten benutzt werden dürfen, und könnten sich doppelte Anträge sparen.
Bürokratie-Abbau: Was sagen die Behörden?
Eine der Sprecherinnen bei den Pfälzer Weinbautagen ist Sabine Fabich, Leiterin des Pflanzenschutzdienstes Rheinland-Pfalz und zuständige Referentin im Landwirtschaftsministerium. "Aus meiner Sicht sind die bürokratischen Hürden schon sehr hoch", sagt sie. Sie könne nur für ihren Bereich sprechen, den Pflanzenschutz, aber der sei tatsächlich "hochgradig rechtlich geregelt."
Sabine Fabich vom Weinbauministerium
Ein Beispiel: Der Einsatz von Sprühdrohnen im Weinbau. Da spielt laut Fabich sogar das Luftfahrtrecht mit rein. "Das zieht natürlich umfangreiche Genehmigungsverfahren nach sich." Gleiches gelte für Förderanträge und auch für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, der genau dokumentiert werden müsse.
Natürlich würde man das Ganze gern mehr verschlanken, aber "vieles geht halt auf Bundesrecht und EU-Recht zurück. Da können wir das nur vorschlagen und Anregungen geben. Die Rechtssprechung ist aber so komplex, dass das sehr schwierig ist." Immerhin: Die Vorschläge aus Rheinland-Pfalz seien im Bundesministerium "zur Kenntnis genommen" worden.
Zwei Tage nach dem Gespräch mit Frau Fabich hat den SWR eine schriftliche Stellungnahme des Ministeriums erreicht, die noch etwas mehr ins Detail geht und auch über den Bereich Pflanzenschutz hinaus. Auch hier wird darauf hingewiesen, wie schwer der Wunsch nach weniger Bürokratie mit der gemeinsamen Agrarpolitik der EU und anderen Zielen vereinbar ist.
Wie weit das tatsächlich auseinanderklafft, zeigen zwei Zahlen, die das Ministerium liefert: Von mehr als 190 Vorschlägen, die die Bundesländer dem Bund zum Bürokratieabbau vorgelegt haben, sind demnach bislang lediglich 34 umgesetzt worden.
Bundestagswahl in rund fünf Wochen
Ob sich mit einer neuen Bundesregierung etwas ändert? Landwirt Stefan Gilles aus der Eifel ist wenig optimistisch. "Uns Landwirten wäre es lieber, wir bekämen über unser Produkt einen Mehrwert und nicht über Subventionen und wir könnten den Papierkram dafür bleiben lassen."
Und wenn sich nichts ändert? Ein neuer Bauernprotest? Stefan Gilles mag es nicht ausschließen.
Sendung am Fr., 17.1.2025 5:00 Uhr, Guten Morgen RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz