Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zur Neutralitätspflicht

Kein Verfassungsbruch - AfD scheitert mit Klage gegen Dreyer

Stand

Von Autor/in Gernot Ludwig

Die frühere Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat die AfD in ihrer Eigenschaft als Regierungschefin kritisieren dürfen. Laut einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz hat Dreyer nicht gegen das Neutralitätsgebot der Verfassung verstoßen.

Dreyer hatte Anfang vergangenen Jahres auf der Internetseite und in den Social-Media-Kanälen der Landesregierung die AfD kritisiert. Dreyer sagte unter anderem: "Die Politik der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke macht ganz vielen Menschen in Deutschland Angst. Das dulden wir nicht." Die AfD sah darin einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot (Artikel 21 des Grundgesetzes), das Regierungsmitglieder zwingt, sich gegenüber anderen Parteien neutral zu verhalten.

Den Verstoß gegen das Neutralitätsgebot sieht auch das Gericht, wertet Dreyers AfD-Kritik aber trotzdem als gerechtfertigt. Denn Dreyer habe die AfD nachvollziehbar als verfassungsfeindlich eingeschätzt. Insofern habe Dreyer mit ihrer Kritik an der AfD die Verfassung verteidigt und das sei rechtens. Zudem enthielt Dreyers Kritik keine diffamierenden oder gezielt diskriminierenden Wertungen, so das Gericht. 

Herbe Niederlage für die AfD

Mit diesem Urteil verlässt das Landesverfassungsgericht die bislang strenge Linie des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte Kritik von Regierungsmitgliedern an der AfD stets als verfassungswidrig abgeurteilt.

Für die AfD ist die Entscheidung eine herbe Niederlage. Sie hatte vergleichbare Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht unter anderen gegen die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) immer gewonnen und konnte davon ausgehen, auch die Klage gegen Dreyer zu gewinnen.

Urteil könnte politische Auseinandersetzung mit AfD verändern

Darüber hinaus könnte das Urteil auch die politische Auseinandersetzung mit der AfD verändern. Denn nachdem nun ein Verfassungsgericht beschrieben hat, unter welchen Bedingungen auch Amtsträger die AfD kritisieren können, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass bundesweit Politiker diesen neuen Freiraum austesten. Sprich: Die AfD muss wohl verstärkt mit Kritik auch von Amtsträgern rechnen.

Dreyer sieht sich bestätigt - AfD sieht "gefährlichen Präzedenzfall"

Dreyer begrüßte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Ihr Anliegen sei stets: "[...] der Kampf für unsere Demokratie und gegen Verfassungsfeinde [...]" gewesen und sei das auch jetzt noch. Mit der Entscheidung gebe es jetzt neue Leitlinien, an denen man sich in Zukunft orientieren könne.

Der rheinland-pfälzische AfD-Vorsitzende Jan Bollinger sprach in einer ersten Reaktion von einem gefährlichen Präzedenzfall. Der Richterspruch öffne dem Missbrauch durch Regierungen, die auch parteipolitische Interessen hätten, Tür und Tor.

Weitere Klage gegen Ministerpräsident Schweitzer

Beim Landesverfassungsgericht in Rheinland-Pfalz gibt es seit kurzem eine weitere Klage wegen eines Verstoßes gegen die Neutralitätspflicht. Sie stammt von der CDU-Opposition und richtet sich gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD).

Ende Januar hatte die Union im Bundestag beim Thema Migration einen Antrag eingereicht, der nur mit Zustimmung der AfD eine Mehrheit erreichen konnte. Schweitzer hatte sich anschließend über das Internetportal und die Social-Media-Kanäle der Landesregierung kritisch zur CDU geäußert. 

Schweitzer sagte unter anderem: "Umso beunruhigender ist es, wenn eine demokratische Partei sich eine Mehrheit sucht mit der in Teilen rechtsextremen AfD. Sie verlässt damit die demokratische Mitte." Die CDU-Landtagsfraktion sieht darin einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und reichte im Februar beim Verfassungsgerichtshof Klage ein.

Malu Dreyer blieb eine Verurteilung erspart, weil das Gericht ihre Argumentation nachvollziehbar fand, dass die AfD verfassungsfeindlich ist und es ihr darum ging, die Verfassung zu verteidigen. Der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Universität Speyer sagte dem SWR, das Argument vom Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor einer verfassungsfeindlichen Partei stehe Schweitzer nicht zur Verfügung. 

Die Staatskanzlei hatte die umstrittenen Online-Veröffentlichungen Schweitzers zurückgezogen. Wann die Klage verhandelt wird, ist noch unklar.

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Das Koblenzer Urteil ist das erste dieser Art, das sagt, dass Amtsträger auch in ihrer Funktion die AfD kritisieren dürfen, sagt Kolja Schwartz aus der SWR-Rechtsredaktion.

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