Ein Auge umgeben von Datenströmen (Symbolbild) - zur Bundestagswahl 2025 stehen KI Tools zur Verfügung, die bei Information über Wahlprogramme helfen soll.

Rheinland-Pfalz KI als Alternative zu Wahl-O-Mat und Co - Chancen und Risiken

Stand: 23.01.2025 04:30 Uhr

Wahl-O-Mat und andere Tools wollen Wähler bei der politischen Entscheidungsfindung unterstützen. Neu sind KI-gestützte Tools wie wahl.chat und Wahlweise. Was können sie, was nicht?

CDU-Programm: 81 Seiten, Grüne: 72 Seiten, AfD: 85 Seiten und und und: Wer soll das lesen und sich dann zu einer informierten Wahlentscheidung durchringen? Insgesamt treten zur Bundestagswahl am 23. Februar bis zu 41 Parteien an. Selbst wenn Wähler und Wählerinnen ihren Fokus auf nur wenige Parteien legen, sind die Wahlprogramme eine Menge Lesestoff.

Im Dschungel der Wahlprogramme - KI als Hilfe

Anwendungen wie Wahl-O-Mat, Wahlswiper, DeinWal oder Wahl-Kompass gibt es schon seit vielen Jahren, um die Menschen für ihre Wahlentscheidung mit Informationen zu unterstützen. Seit kurzem sind jetzt Tools auf dem Markt, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) eine Wahlentscheidungshilfe versprechen.

Exemplarisch haben wir zwei Anwendungen unter die Lupe genommen: Wahlweise (wahlweise.info) und wahl.chat. Während wahl.chat seit dem 2. Januar online verfügbar ist, soll Wahlweise erst am 9. Februar für die Allgemeinheit ausgerollt werden. Wie funktionieren die Tools, was bringen sie dem User und wo liegen mögliche Gefahren? Das erklären wir Euch in den kommenden Abschnitten.

Wie funktionieren die KI-gestützten Anwendungen?

Als Basis nutzen die Tools die aktuellen Wahlprogramme der Parteien. Der Nutzer stellt in einem Chat, also einem Dialogfeld, Fragen zu einem der Parteiprogramme, das ihn interessiert. Also zum Beispiel so etwas wie: "Wie soll mehr Wohnraum geschaffen werden?" oder "Welche Steuern sollen gesenkt werden?".

Die KI durchforstet das ausgewählte Wahlprogramm nach den relevanten Passagen. Sie fasst den Inhalt aus den Abschnitten kürzer und mit eigenen Worten zusammen - nach Angaben der Entwickler von Wahlweise und wahl.chat in neutralen Worten. Mit den Antworten wird immer die Quelle angegeben, also die genaue Seite im Parteiprogramm.

Wer steckt hinter wahl.chat?
wahl.chat wurde von einem fünfköpfigen Team entwickelt. Die Entwickler Sebastian Maier (Psychologe), Anton Wyrowski, Michel Schimpf, Robin Frasch und Roman Mayr (alle Informatiker) kennen sich aus der Forschung in Cambridge. Das KI-Tool ist nach ihren Angaben ein rein privates Projekt, wird also nicht im Rahmen von Studium oder Promotion geführt. Die fünf Entwickler sind nach eigener Aussage nicht parteipolitisch aktiv. Etwa sechs Wochen haben sie gebraucht, um das Tool herauszubringen. Die Finanzierung läuft ausschließlich über Spenden. Und die braucht das Team auch: "Jeder Nutzer kostet uns quasi zwei Cent. Und je mehr wir an KI reinpacken, desto teurer wird das." Die Nutzerzahlen seien in der zweiten Woche nach Release schon sehr deutlich nach oben gegangen. Insgesamt sei das Tool bislang mehr als 35.000 mal genutzt worden.
Wer hat Wahlweise entwickelt?
Wahlweise ist die Entwicklung der AI-UI GmbH aus Ilmenau in Thüringen. Ihr Geschäftsfeld: die Entwicklung und Implementierung von Künstlicher Intelligenz. Geschäftsführer Martin Schiele erklärt, man sei durch die Landtagswahlen in Thüringen im vergangenen Jahr auf die Idee gekommen, ein solches Tool zu entwickeln. Aus der Idee, Künstliche Intelligenz persönlich für das Durchforsten von Wahlprogrammen zu nutzen, sei im Team schnell die Idee geworden, eine solche Anwendung dann auch für die breite Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Kostenpunkt der Entwicklung nach Unternehmensangaben: grob geschätzt 50.000 Euro, die das Unternehmen aus eigener Tasche finanziert. Eine Förderung von außen gebe es nicht. Die Entwickler von Wahlweise gehören nach eigenen Angaben keiner Partei an und sind auch nicht beratend tätig. Vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandburg wurde Wahlweise nach eigenen Angaben etwa 80.000 mal genutzt.

Mit einem Klick kann sich der Nutzer bei wahl.chat den Originaltext anzeigen lassen und nachlesen. Bei Wahlweise gibt es diese Funktion nicht mehr, anders als im Vorgängermodell zur Landtagswahl Thüringen 2024: "Unsere Auswertung hat gezeigt, dass die Leute die Funktion nicht wirklich haben wollen", erklärt Martin Schiele dem SWR. Er ist Geschäftsführer der AI-UI GmbH, die Wahlweise entwickelt hat. "Einfachheit ist das große Thema", ergänzt der Entwickler.

Das Deutsche Forschungszentraum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern erkennt in den Tools die Chance zu mehr Informiertheit der Wähler und Wählerinnen: "Diese Wahl-Chatbots eröffnen einen komfortablen Zugang zu den tagesaktuellen Parteiprogrammen. Sie motivieren, eigene Fragen zu stellen", sagt Reinhard Karger, Unternehmenssprecher beim DFKI.

Kann ich meine Frage an mehrere Parteien gleichzeitig stellen?

Bei wahl.chat können Fragen an ein einzelnes Wahlprogramm gestellt werden oder auch an mehrere. Wer seine Frage zum Beispiel an vier Parteien stellt, bekommt auch vier Antworten. Diese Anwendung lässt zu, dass die Frage an alle eingespeisten (derzeit acht) Parteiprogramme gestellt wird. Wahlweise peilt nach eigenen Angaben eine Befragung von fünf Parteien gleichzeitig an, möglicherweise auch mehr.

Hat die Künstliche Intelligenz alle Wahlprogramme zur Auswertung parat?

Bei wahl.chat sind bislang acht Parteiprogramme (Stand 22. Januar 2025) eingespeist, weitere sollen folgen, sobald sie vorliegen. Auch bei Wahlweise in Thüringen will man bis zum Release am 9. Februar so viele Programme wie möglich integrieren.

Entwickler Schiele macht aber eine Einschränkung: "Manche Parteien haben nur einen Flyer, da gibt es keine ausreichenden Informationen, damit die User-Fragen seriös beantwortet werden können." Seiner Erfahrung nach brauche es etwa 20 gehaltvolle Seiten Programm, damit die KI dieses sinnvoll auswerten kann.

Man kann sich bei Talkshows schnell einen Überblick verschaffen, ob Aussagen dem Wahlprogramm entsprechen oder nur publikumswirksam formuliert sind. Reinhard Karger, Sprecher Deutsches Forschungszentrum für KI

Was unterscheidet die KI-Tools von Wahl-O-Mat und Co?

Entscheidungshilfe-Apps wie der Wahl-O-Mat geben den Nutzern ein festgelegtes Set an Fragen vor, individuelle Fragen sind nicht möglich. Der Fragenkatalog kann - je nach App - einfach nur mit ja oder nein beantwortet werden, zum Teil gibt es auch differenziertere Antwortmöglichkeiten. Am Ende bekommt der Nutzer eine Art Auswertung. Die deckt auf, wie stark seine persönlichen Meinungen deckungsgleich mit den Parteiprogrammen sind. Das ist im Prinzip eine statistische Auswertung. Eine Wahlempfehlung ist das nicht - es soll lediglich eine Orientierung bieten und im besten Fall dazu animieren, sich weiter zu informieren.

Bei den KI-Tools läuft es andersherum: Der Nutzer stellt der Anwendung Fragen zu politischen Positionen von bestimmten Parteien. Dieser Ansatz ist sehr individuell. Ich kann genau die Fragen stellen, die mir persönlich besonders wichtig sind. Die KI nimmt mir die Arbeit ab, mich durch Wahlprogramme zu lesen.

Am Ende gibt es keine plakative Auswertung, zu welchem Parteiprogramm meine Positionen besonders gut passen. "Wir sprechen explizit keine Empfehlung aus, wie liefern Informationen und wollen, dass den Menschen möglichst viele Fragen beantwortet werden", so der Anspruch von wahl.chat.

Wie neutral sind die Antworten der KI?

Die Künstliche Intelligenz liest sich durch die Wahlprogramme, kürzt und formuliert um. Die Frage ist: Wie neutral sind die gegebenen Antworten? Schon kleine Füllwörter oder eine bestimmte Wortwahl können schließlich unterschwellig ein Gefühl erzeugen oder Stimmung machen - also Einfluss ausüben oder manipulieren. Beide Entwicklerteams betonen auf SWR-Nachfrage, dass Überparteilichkeit und Neutralität für sie absolute Priorität haben.

"Alle Parteien werden gleich behandelt, es gibt im Hintergrund keine unterschiedlichen Anweisungen für die KI abhängig von der Partei anders zu arbeiten. Die Leute sollen einfach besser verstehen, was die Parteien wollen", erklärt Michel Schimpf von wahl.chat. Wahlweise-Entwickler Schiele sagt dem SWR dazu: "Unser Anspruch ist es, neutral zu sein! Für uns ist dieses KI-Tool natürlich Marketing, denn verdienen tun wir daran nichts. Wir wollen Aufmerksamkeit bekommen und deshalb ist es wichtig, neutral zu sein." Aber wie kann das in der Praxis umgesetzt werden?

Wie wird die Neutralität in der Praxis umgesetzt?

Die sogenannten System-Prompts seien dazu der Schlüssel. Das sind die Arbeitsanweisungen, die die KI im Hintergrund bekommt. Beide Teams erklären, dass in diesen Anweisungen zum Beispiel steht, dass die Antworten ohne wertende Adjektive und wertende Sprache formuliert werden müssen.

Bei wahl.chat und bei Wahlweise ist man überzeugt, dass das sogar ein Vorteil zu den Original-Wahlprogrammen ist: "Die Wahlprogramme sind ja anpreisend für die jeweilige Partei formuliert", argumentiert das wahl.chat-Team. Das werde gewissermaßen durch die KI neutralisiert und zwar über alle Parteien hinweg. Auch Schiele glaubt, dass die KI an dieser Stelle für mehr Neutralität sorgen kann, weiß aber auch: "Am Ende kann man uns vertrauen oder eben auch nicht."

Eine Zusammenfassung kann nach Einschätzung von Reinhard Karger vom DFKI nicht vollkommen neutral sein, aber dennoch hilfreich wie ein Navigationssystem. "Der Hauptvorteil ist, dass die programmatischen Aussagen direkt mit der Quelle verlinkt sind - aktuell auf die entsprechende Seite und hoffentlich kurzfristig auch durch die optische Hervorhebung der entsprechenden Aussagen. Man muss sich nicht auf die KI-Auswertung verlassen, sondern ist nur einen Klick entfernt von den realen und mehrheitlich beschlossenen Parteiprogrammen. Wer den schnelleren Zugang schätzt und nutzt, wird sehr profitieren", meint Karger.

Welche Zusatzinformationen liefern die Tools?

wahl.chat bietet die Möglichkeit, die Parteipositionen einordnen zu lassen. Die KI greift dafür auf frei verfügbare Informationen aus dem Netz zurück. "Das funktioniert so ähnlich wie bei einer Google-Suche", erklärt Robin Frasch von wahl.chat.

Hier liegt eine Schwachstelle: Welche Veröffentlichungen nutzt die KI hier? Artikel zum Beispiel liegen oft hinter einer Paywall, so dass die KI gar nicht darauf zugreifen kann. Das wahl.chat-Team ist sich dieser Schwäche bewusst: "Auch die versuchen wir durch die System-Prompts auszumerzen. So bekommt die KI dann zum Beispiel die Anweisung, möglichst verschiedene Argumente zu einer Frage einzusammeln." Aber: Auf die Quellen, die die KI nutzt, habe man keinen Einfluss.

"Es ist und war aber auch nie der Anspruch, einen ultimativen Faktencheck mit diesem Feature zu liefern. Es geht vielmehr darum, die Parteiantwort in das aktuelle politische Umfeld einzusortieren", so Robin Frasch.

Wahlweise aus Thüringen bietet aus den genannten Gründen keine Einordnung der Parteipositionen an. Entwickler Schiele hält ein solches Angebot für nicht zuverlässig. Er sagt: "Das kann immer nur an der Oberfläche kratzen."

Ganz aktuell hat das wahl.chat-Team noch eine weitere Funktion freigeschaltet: Dabei geht es um das Abstimmungsverhalten einer Partei in der Vergangenheit. Damit wird nachvollziehbar, wie eine Partei im Bundestag zu bestimmten Fragen abgestimmt hat - und ob das im Einklang mit ihrem Parteiprogramm steht.

Wo gibt es mögliche Gefahren bei der Nutzung?

Inwiefern besteht die Gefahr, dass Nutzer der KI-Tools unbemerkt bei ihrer Wahlentscheidung beeinflusst werden? "Die Sorge sollte man aktiv haben, denn Sorge ist die beste Medizin, um sich gegen Manipulation zu immunisieren", so der Ratschlag des KI-Experten Karger. Er betont: "Wahl-Chatbots sind keine Beratungs-, sondern Informationsangebote. Es gibt keine Wahl-Empfehlungen, keine Ratschläge. So wie man selber denken muss, muss man auch weiter selber wählen."

Wichtig ist nach Ansicht von Karger auch, dass man sich nicht auf die KI-basierten Ausgaben verlassen sollte. Die seien zwar datengestützt, aber noch nicht wissensbasiert. Er warnt auch davor, Opfer eines 'Machine Bias' zu werden, also dem "allzumenschlichen Vorurteil, dass Maschinen keine Fehler machen oder unhinterfragt voraussetzen, dass sie mit einer Ausgabe schon recht haben werden. Das ist zwar möglich, aber nicht sicher."

Web oder App - wo finde ich die Tools?

Anders als zum Beispiel der Wahl-O-Mat, Wahl-O-Meter oder WahlSwiper sind die KI gestützten Wahlhelfer nur als Web-Anwendung verfügbar.

Sind die KI-Anwendungen mehrsprachig und barrierefrei?

Bislang sind beide Tools nur in deutscher Sprache nutzbar. Eine Barrierefreiheit für sehbehinderte oder gehörlose Menschen ist nicht gegeben.

Wie transparent und sicher sind Wahlweise und wahl.chat?

Beide Anbieter geben an, dass die Anonymität der User gewährt bleibe. Es kommt den Angaben zufolge nicht zur Speicherung von IP-Adressen und auch nicht zur Weitergabe von Daten an Dritte.

Wahlweise hat Informationen zu der Vorgehensweise und der verwendeten KI platziert. Außerdem wirbt Wahlweise damit, Statistiken zu Chat-Anfragen oder Nutzerinteressen zur Verfügung zu stellen. Auf den Webseiten beider Tools gibt es zudem einiges an Informationen zu Künstlicher Intelligenz, Datensicherheit und möglichen Fehlerquellen zu lesen. Das ganze könnte aber user-freundlicher aufbereitet werden.

Chancen und Risiken - nutzen oder lieber lassen?

KI-Experte Karger rät ganz klar dazu, neugierig zu sein, diese neuen Tools auszuprobieren und zwar mehrmals: "Man merkt rasch, dass die Geschwindigkeit, mit der spontane Fragen zu einem sprachlich wohlformulierten Ergebnis führen, zu zweiten und dritten Fragen anregt. Da die Tools jederzeit verfügbar sind, kann man sich z.B. bei Talkshows schnell einen Überblick verschaffen, ob Aussagen dem Wahlprogramm entsprechen oder nur publikumswirksam formuliert sind, aber im Original eine bedenkliche Position erkennbar wird", erläutert Karger, wie Wähler einen echten Nutzen aus den Tools ziehen können.

Sendung am Mi., 22.1.2025 5:00 Uhr, Guten Morgen RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz

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