
Sachsen-Anhalt Gefeiertes Regiedebüt: Sandra Hüller inszeniert "Penthesile:a:s"
Am Donnerstag hat am Neuen Theater in Halle die deutsche Erstaufführung des Stücks "Penthesile:a:s" von Marie Dilasser alias MarDi Premiere gefeiert. Die Aufmerksamkeit war groß, denn mit dem Stück hat Sandra Hüller ihr Regiedebüt gegeben. Kann die Oscar-nominierte Schauspielerin auch Regie? Ja, sagt unser MDR KULTUR-Theaterkritiker.
- Die Schauspielerin Sandra Hüller hat am Neuen Theater Halle ihr Regie-Debüt gegeben.
- In Zusammenarbeit mit dem Performance-Kollektiv Farn brachte sie das Stück "Penthesile:a:s" auf die Bühne.
- Das Ergebnis begeisterte Kritiker und Publikum.
Sandra Hüller führte Regie, aber brachte dazu das Performance-Kollektiv Farn mit, in dem sie selbst Mitglied ist. Das Kollektiv hat auch den Text "Penthesile:a:s" von MarDi ausgesucht, der den antiken Penthesilea-Mythos heutig und utopisch überschreibt, und ihn zusammen mit zwölf Schauspielerinnen und Schauspielern des Neuen Theaters Halle für die Bühne ausprobiert. Dabei wurde diese Überschreibung noch einmal überschrieben und eine Handlung in einer Küche dazu erfunden. In ihr wird während der 80-minütigen Vorstellung eine Suppe gekocht und am Ende zusammen mit dem Publikum aufgegessen.

In Sandra Hüllers Inszenierung am Neuen Theater Halle wird während der Aufführung gekocht.
Im Ergebnis kann diese Inszenierung überzeugen, weil hier ein Bild der heutigen, westlichen Welt skizziert ist, in dem Kriege von Gaza bis Ukraine und eine Gesellschaft mit eingeübten Rollenmustern, auch Geschlechterrollen, durchscheinen und am Ende eine Utopie formuliert wird.
Premiere in Halle: künstlerisch und kulinarisch ein Erfolg
Auf der Bühne wird tatsächlich gekocht, Kartoffeln, Möhren, Lauch geschnibbelt, Zwiebeln angebraten. Und am Ende werden vermutlich sämtliche Tische aus der Requisite, runde, eckige, bunte, die am Anfang gar nicht auffallen und am Bühnenrand links und rechts stehen, zu einer langen Tafel aufgebaut, Stühle daran gestellt, 44 Teller verteilt und die Suppe aufgetischt. Die Schauspielerinnen und Schauspieler fordern das Publikum auf, sich mit ihnen an den gedeckten Tisch zu setzen.

Das Stück holt den antiken Penthesileas-Mythos in die Gegenwart.
Das Premieren-Publikum ziert sich ein bisschen, und sitzt dann doch an der Tafel zusammen. Die Suppe, die gut schmeckt, ist schnell aufgegessen. Da die Premiere am Gründonnerstag ist, fühlt man sich an eine säkulare Variante des christlichen Abendmahls erinnert, das in Jerusalem stattfand. Am Ende ist aber alles "nur" Theater. Und damit Zeichen und Appell, es im richtigen Leben auch mal so zu versuchen: raus aus den digitalen Blasen, ran an den Tisch – für ein neues Miteinander der Gesellschaft, für den Frieden, für die Gleichheit von Mann und Frau, von Mensch und Mensch.
Sandra Hüller feiert Regiedebüt im Team
Das Performance-Kollektiv Farn entsendet neben der Regisseurin Sandra Hüller fünf weitere Mitglieder: Co-Regisseur Tom Schneider, Musiker Moritz Bossmann, Chorleiter Toni Jessen, Dramaturg Uwe Gössel und Ausstatterin Nadja Sofie Eller. Das Kollektiv denkt sich einen Bühnenraum aus, in der das Publikum auf einer breiten Traverse Platz nimmt. Vor der ersten Reihe sind zwölf Stühle samt Notenpulten und Mikrofonen aufgebaut wie ein Orchester. Da treten am Anfang die zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler als Chor auf und beginnen den Text zu sprechen. Sie tragen Alltagskleider. In den bunten Farben erinnern sie an einen Regenbogen, was hier natürlich auch eine erste, kleine Botschaft ist.

Sandra Hüllers Regiedebüt bewegt sich an den Grenzen von Macht, Geschlecht und Identität.
Vor dem Chor sind ca. fünf Meter leere Bühne, bevor dann wie ein quadratischer Container die Küche aufgebaut ist. Die Zuschauer betrachten sie durch ein großes Panoramafenster im Leinwandformat. Die Küche ist mit Spüle, Herd, Kühlschrank und Kücheninsel komplett eingerichtet, dazu kommen ein Buffet und ein altes E-Piano. In unterschiedlichen Konstellationen geht der Chor in die Küche. Die Akteure waschen sich erstmal die Hände, bevor sie mit dem Kochen beginnen.
Das ist großes Bildertheater, das dem Zuschauer viel Raum gibt, sich mit seinen eigenen Erlebnissen einzubringen. Stefan Petraschewsky, Theater-Kritiker |
Der Stücktext wird Ihnen aus der Chorreihe quasi zugeworfen. So entsteht ein Resonanzraum, in dem sich Sprache und Küchengeräusche mischen. Der Prolog erzählt vom Trojanischen Krieg: "Noch mal zerreißen sich die Götter / Völker zerreißen sich / Familien / Paare". Dann treffen Achill:e:s und Penthesile:a:s aufeinander – die Doppelpunkte sind vom Stückende her gedacht und bedeuten, dass beide Figuren ihre Geschlechteridentität verlieren werden. Noch haben sie eine. Wenn Penthesile:a:s sich auf Achill:e:s stürzt, hat der seinen Speer gehoben wie seinen "Schwanz".

Szene aus "Penthesile:a:s" von MarDi alias Marie Dilasser. Das Stück wurde 2021 in Avignon uraufgeführt. In Halle feierte es seine deutschsprachige Erstaufführung.
In diesem Todes- und/oder Zeugungsmoment beginnt ihr langer Dialog. Achill:e:s fragt, "Was willst du in diesem Krieg? Wer bist du?", und stellt fest, "Wir hätten uns lieben können." Und Penthesile:a:s antwortet, "Ich wollte lieber eine andere Welt bauen." Dann lösen sich beide Figuren in einem utopischen "wir" auf. Die letzten vier Zeilen lauten: "Es wird eine Transformation / eine notwendige / eine lebenswichtige / es wird."
Penthesile:a:s in Halle – zwischen Bilder- und Musiktheater
Der Text verlangt vom Chor und den Schauspielenden viel Konzentration und ein intimes Spiel – was gut gelingt. Manchmal steht ein Spieler nur am Kühlschrank. Und die anderen sprechen den Text. Das wirkt dann wie ein innerer Monolog, ein schwerer Rucksack mit jahrtausendealter Geschichte, die jemand zu schultern hat. An einer anderen Stelle kommt Sybille Kreß in die Küche, schleppt einen großen Beutel mit, stellt ihn auf den Tisch und fällt um, und erinnert damit an den monotonen Alltag einer Frau und ihre alte Rolle. Sie wiederholt diesen Auftritt immer wieder. Oder Elke Richter, die routiniert Kartoffeln schält und wie beiläufig über Frauen spricht, ihre Genitalien, die ganz unterschiedlich sein können.
Schön, dass Sie das in Halle gemacht haben. Rainer Robra, Sachsen-Anhalts Kulturminister zu Sandra Hüller |
Diese Szenen werden durch einen Geräusch- und Klangteppich zusammengehalten. Durch ein dissonantes Summen des Chores, der im Programmheft "Styx-Akkord" heißt. Man kann von einer Partitur reden, einem zeitgenössischen Musiktheater. Das ist kein Schauspiel mehr. Das ist großes Bildertheater, das dem Zuschauer viel Raum gibt, sich mit seinen eigenen Erlebnissen einzubringen. Ein eigenwilliger Theaterabend, der mit Text, Bild und Klang erst Appetit im Kopf macht und dann im Bauch.
Hüllers Inszenierung plädiert für neues gesellschaftliches Miteinander
Für die beiden Intendantinnen des Neuen Theaters, Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat ist das Regiedebüt von Sandra Hüller ein Erfolg. Die beiden stehen für ein Stadttheater, dass neue Inhalte und neue Formate ausprobieren will. Rainer Robra, Minister für Kultur in Sachsen-Anhalt, war von der Premiere angetan. Beim Premierenempfang dankte er Hüller: "Schön, dass Sie das in Halle gemacht haben."
Die große Tafel für das gemeinsame Essen wird übrigens in dem Niemandsland zwischen Chorreihe und Küchencontainer aufgebaut. Ab diesem Moment ist es damit ein neuer Ort, der vorher nur durchschritten und gar nicht wahrgenommen wurde. Auch das wirkt toll ausgedacht, denn dieser neue Ort bedeutet ja: Utopie ist möglich. Er war schon immer da. Wir haben ihn bisher nur übersehen oder wortwörtlich: übergangen.
Redaktionelle Bearbeitung: tmk