Blick in den Sektionssaal, aufgenommen am 05.09.2014 im Rechtsmedizinischen Institut der Universität in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern).

Sachsen-Anhalt Stendaler Landrat: Amtsärztin hat unbefugt Leichenschauen durchgeführt

Stand: 29.05.2025 12:43 Uhr

Der Stendaler Landrat Patrick Puhlmann hat in ungewöhnlicher Weise seine ehemalige Amtsleiterin im Gesundheitsamt öffentlich belastet. Die Frau soll ohne eine gesetzlich geforderte Befähigung im Nebenjob gearbeitet und sehr viel Geld verdient haben. Sie soll sich sogar als zuständige Behördenleiterin eine Ausnahmezulassung für zweite Leichenschauen selbst ausgestellt haben.

Von Bernd-Volker Brahms, MDR SACHSEN-ANHALT

Als Landrat Patrick Puhlmann (SPD) vor fünf Jahren mitten in der Corona-Pandemie mit 36 Jahren sein Amt antrat, da fiel Amtsärztin Iris S. schon früh mit Spitzen gegen ihre Vorgesetzten auf. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie nur schwer mit dem jungen Mann im Amt zusammenarbeiten konnte.

Puhlmann band sie anfangs noch mit ein, als es bei Pressekonferenzen um die Erklärung der Maßnahmen zur Pandemie ging. Als diese sich dann aber bei der Interpretation von Todeszahlen vergaloppierte, erteilte der Landrat ihr einen Maulkorb. Öffentlich äußern durfte sie sich fortan nicht mehr. S. reagierte mit Dienstaufsichtsbeschwerden.

Vorwurf: Unbefugt zweite Leichenschauen durchgeführt

Nun geht es wieder um Tote. Nach "monatelanger Recherche" habe er sich entschlossen, Vorwürfe um eine Nebentätigkeit der ehemaligen Amtsärztin öffentlich zu machen, sagte Landrat Puhlmann jetzt im Stendaler Kreistag.

Patrick Puhlmann

Landrat Patrick Puhlmann erhebt Vorwürfe gegen die ehemalige Amtsärztin des Landkreises Stendal.

Nach seiner Ansicht hat S. fast zwei Jahrzehnte lang unbefugt "mit hoher Frequenz" sogenannte zweite Leichenschauen durchgeführt und damit erheblich viel Geld nebenbei verdient – mehr als durch ihren eigentlichen Job als Amtsleiterin.

Ehemalige Amtsleiterin arbeitet jetzt in der Börde

Zudem solle sie sich selbst eine Beauftragung ausgestellt haben, in einer Phase als sich Landrat Puhlmann intensiv in die Sachlage eingearbeitet und hartnäckig nachgefragt hat. "Sie hat mich mehrfach belogen", sagte der Landrat im Kreistag.

Krematorium Stendal

Das betreffende Krematorium in Stendal

S. hat sich auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Sie arbeitet mittlerweile in ähnlicher Position beim Landkreis Börde. Die Genehmigung für die Nebentätigkeit der Leichenschauen im örtlichen Krematorium hatte der Landrat ihr untersagt. Der Landrat rechnet mit einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg. Es geht um dienstrechtliche Aspekte.

Strafanzeige im April gestellt

Vermutlich auch darum, ob die genehmigten wöchentlichen Stunden der Nebentätigkeiten eingehalten worden seien. "Wenn dem so ist, dann haben die Leichenschauen wohl nur 30 Sekunden gedauert", so Puhlmann. Gängig sind 20 bis 30 Minuten. Und noch eins draufgesetzt: "Sie hat auch während eigener Krankheitsphasen im Krematorium gearbeitet", so Puhlmann.

Eine Strafanzeige wegen Betrugs bei der Staatsanwaltschaft Stendal wurde bereits im April eingestellt. Das wäre die strafrechtliche Komponente. "Man muss Dienstrecht und Strafrecht unterscheiden", sagt Staatsanwalt Thomas Kramer auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT.

Fehlende Befähigung: Neue Ermittlungen möglich

Allerdings sei bislang noch nicht die Rede von fehlender Befähigung und dem eigenen Ausstellen von Berechtigungen die Rede gewesen, sagt Kramer zum Stand der neueren Entwicklungen – und meint damit die Vorwürfe, die der Landrat nun im Kreistag öffentlich thematisiert hat. Mit anderen Worten: Neue Ermittlungen sind nicht ausgeschlossen. Seine Behörde brauche aber Tatsachen, um handeln zu können.

Laut Gesetz in Sachsen-Anhalt müssen bei Einäscherungen so genannte zweite Leichenschauen durchgeführt werden. Dies soll dazu dienen mögliche Tötungsdelikte zu erkennen, ehe der Körper zu Asche wird.

Für Leichenöffnungen ist Weiterbildungsabschluss nötig

Nach dem Leichen- und Bestattungsgesetz sind in Sachsen-Anhalt "Leichenöffnungen" laut Paragraf 4 in Verbindung mit Paragraf 18 nur ärztlichen Personen mit einem Weiterbildungsabschluss der Pathologie der Rechtsmedizin gestattet. In Ausnahmefällen kann die zuständige Behörde – in dem Fall das Kreisgesundheitsamt – erfahrene ärztliche Personen einsetzen.

"Diese Voraussetzung erfüllt Frau Dr. S. nicht", sagt Patrick Puhlmann. Er wolle es auch nicht hinnehmen, dass sich die ehemalige Stendaler Amtsärztin ihrer Verantwortung dadurch entziehe, dass sie ihren Arbeitgeber wechsele. "Ich prüfe derzeit die strafrechtlichen Aspekte", sagte der Landrat.

Kreistagsvorsitzende kritisiert öffentliche Äußerungen

Im Kreistag wurde der Verwaltungschef mehrfach von der Kreistagsvorsitzenden Annegret Schwarz (CDU) darauf hingewiesen, dass seine Erörterungen im öffentlichen Teil der Sitzung nicht richtig aufgehoben seien. "Es geht hier um Verwaltungsvorgänge, die ich hier transparent machen möchte", verteidigte Puhlmann sein Vorgehen.       

MDR (Bernd-Volker Brahms, Felix Fahnert)