
Sachsen-Anhalt Regiedebüt: Sandra Hüller inszeniert Theaterstück in Halle
Die Schauspielerin Sandra Hüller spielt in Hollywood-Filmen mit und wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Nun gibt die im thüringischen Suhl geborene Künstlerin ihr Debüt als Regisseurin. Am Neuen Theater Halle inszeniert sie gemeinsam mit dem Kollektiv "Farn" den Penthesilea-Stoff. Das Stück "Penthesile:a:s" holt den antiken Mythos ins Heute, unterzieht ihn einem feministischen Blick und entwirft eine Utopie. Ein Besuch im Neuen Theater vor der Premiere am Donnerstag.
- Sandra Hüller gibt am Neuen Theater in Halle ihr Regiedebüt mit "Penthesile:a:s".
- Das Stück der französischen Autorin Marie Dilasser holt den Mythos zweier griechischer Superhelden in die Gegenwart.
- Die Inszenierung in Halle trennt Handlung und Text und macht eine Wohnküche zum Handlungsort.
"Halle hat mich gefragt, ob ich hier arbeiten möchte", antwortet Sandra Hüller auf die Frage, warum ihr Regiedebüt ausgerechnet am Neuen Theater stattfindet. Ihre Arbeit passt aber auch gut an das Schauspiel in Halle. Hüller, die für ihr Debüt das Performance Kollektiv "Farn" mitbringt, in dem sie neben Co-Regisseur Tom Schneider und Musiker Moritz Bossmann selbst Mitglied ist, schätzt eine offene Arbeitsweise, die es ermöglicht, Dinge auf der Bühne konkret auszuprobieren.
Und die beiden Intendantinnen des Neuen Theaters, Mille Maria Dalsgaard und Mareike Mikat, kennen und finden so etwas auch gut. Das harmonisiert also. Bei der Matinee, vier Tage vor der Premiere, resümiert Hüller schon: "Es war beglückend, wie alles andere auch."

Proben von "Penthesile:a:s" am Neuen Theater Halle – Sandra Hüller führt gemeinsam mit Tom Schneider Regie.
Sandra Hüller kennt sich mit Penthesilea-Stoff aus
Für ihr Debüt hat sich Sandra Hüller das Stück "Penthesile:a:s" der französoschen Autorin MarDi (Marie Dilasser) ausgesucht. Es wurde 2021 beim Theaterfestival in Avignon uraufgeführt. Dorothea Arnold, eine Freundin von Hüller, und Fanny Bouquet, hatten es ins Deutsche übersetzt. So sei sie darauf aufmerksam geworden, erklärt Hüller bei der Matinee.
"Und ich dachte, für das allererste Mal, das wir hier in Halle in dieser Konstellation zusammenarbeiten, wäre es vielleicht gut, wir wählen einen Stoff aus, mit dem ich mich auskenne." Hüller kennt den Penthesilea-Stoff durch das Stück von Heinrich von Kleist. Mit Jens Harzer hatte sie eine Zwei-Personen-Fassung des Klassikers zu den Salzburger Festspielen 2018 aufgeführt.

Regisseurin Sandra Hüller bei Proben zu "Penthesile:a:s" am Neuen Theater Halle.
Doch der Kleisttext ist auch schon eine Überschreibung. Der Stoff basiert auf einem griechischen Mythos vom Kampf zweier Superhelden. Achilles ist der größte Kämpfer der Griechen; Penthesilea die größte Königin der Amazonen, eines Volkes, das sich entschlossen hat, nur noch aus Kämpferinnen zu bestehen – und Männer nur sehr kurz zu dulden, um weiblichen Nachwuchs zu zeugen. Achilles tötet Penthesilea. Das ist hier die mythische Vorgeschichte. Bei Kleist ist es übrigens umgekehrt: Penthesilea tötet Achill.
Halle hat mich gefragt, ob ich hier arbeiten möchte. Sandra Hüller, Schauspielerin |
Feministischer Blick auf antiken Stoff in Halle
"Penthesile:a:s" von MarDi will diesen Stoff aus heutiger Sicht überschreiben; will einer patriarchalen Sicht auf den Stoff nicht nur eine feministische entgegensetzen, sondern auch eine Utopie ins Spiel bringen. In einem kurzen Prolog wird in diesem neuen Text beschrieben, wie die beiden Kämpfenden im Trojanischen Krieg aufeinandertreffen und sich Penthesilea in den Speer des Achilles stürzt, der laut Textbuch wie der "Schwanz gehoben" sei.
In diesem Todes- und/oder Vereinigungsmoment steht plötzlich die Zeit still und es kommt zu einem langen Dialog: Warum kämpfen wir miteinander? Wer bist du? Wer bin ich? Wie könnte eine bessere Welt aussehen, in der patriarchale Strukturen keine Rolle mehr spielen; in der Penthesilea auch als Mensch ohne Geschlechtszuweisung existieren könnte? – Weswegen im Stücktitel auch die beiden Doppelpunkte auftauchen. Dieser Dialog ist der Kern des Stückes.

Vor der Premiere von "Penthesile:a:s" am 17. April 2025 wird in Halle noch geprobt.
Für Sandra Hüller ist der Stücktext von MarDi ein "Gedicht", eine "sehr spezielle Form". Sie betont: "Die beiden lassen sich ausreden." In der heutigen Zeit sei das etwas besonderes und sie verweist auf die Politik: "Es gibt wenig Momente, wo ein Gedanke zu Ende geführt werden kann."
Am Ende des Stückes fordert Achill:e:s: "Nimm Platz in mir / Nimm meinen Platz ein." Und Penthesile:a:s tut es: "Ich sickere ein durch den Stoff deiner Haut." Penthesile:a:s und Achill:e:s verschmelzen zu einem utopischen "Wir". Dieses "Wir" ist "weder Mann / weder Frau / weder Volk". Am Ende steht "Eine Transformation / Eine Notwendige / Eine Lebenswichtige / Es Wird."
Text und Handlung bei Inszenierung getrennt
Die Matinee findet im Neuen Theater im original aufgebauten Bühnenbild statt. Vorne, vor der ersten Zuschauerreihe, stehen zwölf Stühle mit Notenpulten und Mikrofonen. Als Chor nach antikem Vorbild werden dort die zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen und den Text rezitieren. Je nach Szene treten sie dann ab, um in einer Küche zu agieren, die hinten auf der Bühne steht.

Zwölf Stühle mit Notenpulten stehen vor der ersten Zuschauerreihe. Hier sitz der "Chor" nach antikem Vorbild und rezitiert den Text.
"Wir haben Text und Handlung getrennt", erklärt Hüller. Die Zuschauer und der Chor betrachten das Spiel in der Küche durch ein großes Fenster. Wobei es eher eine Wohnküche ist: vorn am Fenster ist die Spüle, links steht ein Buffett, darauf ein Radio, hinten ein betagtes E-Piano neben dem Herd, rechts ein Kühlschrank mit Urlaubsfotos, schräg darüber ein Bild mit zwei tanzenden Männern, auch in einer Küche – ein Filmplakat: "Happy together" von Wong Kar-Wai.
Küche als Bühne im Neuen Theater
Das Regieteam wählt bewußt eine Küche als Kontrapunkt für den Text. "Wir wollten einen Ort wählen, der für alle lesbar und nicht mythisch oder mystisch ist, sondern ganz konkret ist – einen Ort, an dem man konkrete Handlungen vollziehen kann", erklärt Sandra Hüller, und ergänzt: "Diese Jahrtausende alte Geschichte von Penthesilea ist ja irgendwo in den Körpern verankert. Wir haben aber unsere Körper heute. Und wir gehen mit unseren Körpern heute um. Und daraus ist dieser Küchenraum entstanden."

Eine Wohnküche ist Ort der Handlung in "Penthesile:a:s" am Neuen Theater Halle.
Wir wollten einen Ort wählen, der für alle lesbar und nicht mythisch oder mystisch ist. Sandra Hüller |
Für Co-Regisseur Schneider entsteht "zwischen Chor und Küche ein Resonanzraum." Den es wirklich gibt. Zwischen Chor und Küche existiert ein leerer Raum, ein vielleicht sechs Meter tiefes Niemandsland – Was wird dort passieren? Wer wird dort agieren? Für Schneider "oszilliert der Text zwischen Profanem und Sakralem." Bei der Kücheninsel, die in der Küchenmitte steht "spürt man noch den Opferstein."
Die Premiere am Neuen Theater Halle mit den zwölf Choristen wird übrigens am Gründonnerstag sein, dem Abend also, an dem Gottes Sohn mit seinen zwölf Jüngern das letzte Mal zusammen isst – es sind genau genommen also 13 Personen. Ein patriarchaler Männerclub ist es auch. In "Pentesile:a:s" sind es nicht zwölf Christen, sondern Choristen.
Informationen zum Stück:
"Penthesile:a:s"
von MarDi | aus dem Französischen von Dorothea Arnold & Fanny Bouquet
Neues Theater Halle
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Sandra Hüller und Tom Schneider
Bühne & Kostüme: Nadja Sofie Eller
Musik: Moritz Bossmann
Chorleitung: Toni Jessen
Termine:
17. April 2025, 19:30 Uhr (Premiere)
19. April 2025, 19:30 Uhr
23. April 2025, 19:30 Uhr
17. Mai 2025, 19:30 Uhr
18. Mai 2025, 15 Uhr
25. Mai 2025, 18 Uhr
28. Mai 2025, 19:30 Uhr
31. Mai 2025, 19:30 Uhr
Karten: 21 bis 28 Euro, ermäßigt 10,50 bis 14 Euro
Redaktionelle Bearbeitung: lig, lk