
Schleswig-Holstein Erst Hausarzt, dann Facharzt: Diskussion um neu geplantes System
Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf ein neues sogenanntes Primärarztsystem verständigt. Dem Hausarzt kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Wie sehen das Ärzte, Patienten und Kassen in Schleswig-Holstein?
Der Hausarzt soll nach dem neuen System zum Dreh- und Angelpunkt werden. Er untersucht die Patientin und den Patienten und entscheidet dann, ob ein Facharzt - und wenn ja, welcher - eingeschaltet werden muss. Die Überweisung vom Haus- an den Facharzt soll demnach grundsätzlich Pflicht werden - so sind zumindest die Pläne der künftigen Bundesregierung. Das Ziel: Termine in Facharztpraxen sollen so sinnvoller gesteuert und Patienten besser versorgt werden. Und das Ganze soll viel Geld einsparen, bis ins Jahr 2028 rund zwei Milliarden Euro, so die Kalkulationen der potenziellen Koalitionspartner.
Ärztekammer fordert Ausnahmen für chronisch Kranke
Die Ärztekammer Schleswig-Holstein findet die Idee grundsätzlich gut und weist darauf hin, dass die Versorgung der Patienten bisher nicht optimal läuft. Rund zehn Mal im Jahr suchen die Menschen in Deutschland demnach einen Arzt auf - weltweit liege man da mit an der Spitze, heißt es von der Ärztekammer. Der vorgeschlagene Weg, den Hausarzt nun koordinieren zu lassen und - nur wenn nötig - Fachärzte einzuschalten, sei richtig. Chronisch Kranke sollten aber die Möglichkeit haben, weiterhin direkt zum Facharzt zu gehen, sagt Kammerpräsident Henrik Herrmann.
Patientenombudsmann: Es wäre "ein Traum" - aber viele sind schon jetzt gestresst
Einer der Patientenombudsmänner in Schleswig-Holstein, Albrecht Schmidt, findet das Primärarztsystem ebenfalls richtig. "Der Hausarzt weiß am besten über den Patienten Bescheid und er hat einen ganzheitlichen medizinischen Ansatz." Er sei also der richtige Mann beziehungsweise die richtige Frau, um die Patienten bestmöglich zu betreuen. "Oft sind die Patienten auch verwirrt, wissen nicht, zu welchem Facharzt sie sollen oder wundern sich, warum sie keine Reha kriegen können." Es wäre "ein Traum", wenn der Hausarzt für all das erster Ansprechpartner wäre. Doch können die Hausärzte all das wirklich leisten? Der Patientenombudsmann bezweifelt das. "Viele sind jetzt schon ziemlich im Stress."

Der Hausarzt ist jetzt schon für viele der erste Ansprechpartner.
So sehen es auch einige Ärzte selbst. Daniel Körbächer aus Mönkeberg (Kreis Plön) zum Beispiel. Grundsätzlich hält er das geplante Primärarztsystem für effizient und kostensparend. Dänemark zum Beispiel habe so ein System - und die skandinavischen Nachbarn würden weniger Geld ausgeben für das Gesundheitssystem, hätten weniger Krankenhausbetten und die Menschen in Dänemark würden älter. "Voraussetzung wäre aber doch, dass man die Zahl der Hausärzte aufstockt."
Reicht die Zahl der Hausärzte?
So schlecht ist die Situation der Hausärzte nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein allerdings gar nicht. Das zeige sich beim Blick auf die Zulassungszahlen. Zwischen 2005 und 2015 stagnierte die Zahl der zugelassenen Hausärzte bei uns im Land noch bei rund 1.900. Seitdem gebe es bis einschließlich 2025 einen jährlichen Anstieg um bis zu 50 Stellen.
Ersatzkassenverbände: Wird der Hausarzt zum Flaschenhals?
Dennoch befürchtet die Vorsitzende des Ersatzkassenverbandes Claudia Straub, dass Patienten Probleme bekommen könnten, wenn sie immer erst zum Hausarzt müssen. "Das kann zum Flaschenhals werden", warnt sie. Denn viele Praxen seien jetzt schon am Limit. Die Ersatzkassen schlagen deshalb ein Ärzteteam mit bis zu drei Ärzten als ersten Ansprechpartner für Patienten vor. "Für einen Herzkranken ist der erste Ansprechpartner bei vielen Problemen zuerst sein Kardiologe". Ausnahmen für chronisch Kranke seien aber auch im Koalitionsvertrag angedacht, sagt Straub.
Hausärzte schon jetzt zum Teil überlastet
Auch Patientenombudsmann Schmidt bestätigt: Viele Menschen stellten jetzt schon immer wieder fest, dass sie nur schwer Termine bei Hausärzten bekommen . "Auch wer neu in eine Stadt zieht, zum Beispiel Studenten, spürt, wie schwer es ist, einen Hausarzt zu finden", sagt er. "Viele Praxen nehmen gar keine neuen Patienten mehr auf." Wie sie mit den zusätzlichen Aufgaben klarkommen und wie alles im Detail geregelt werden soll, sei noch unklar.
Gesundheitsministerium: "Guter Ansatz"
Das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium bezeichnet das Primärarztsystem auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein als einen guten Ansatz. Aufgrund des demographischen Wandels würden potentiell immer weniger Ärztinnen und Ärzte auf tendenziell immer mehr Patientinnen und Patienten treffen. Zudem gebe es dadurch weniger Beitragszahler - und somit tendenziell auch weniger finanzielle Ressourcen. Dadurch brauche es eine verbesserte Patientensteuerung, so das CDU-geführte Ministerium. Es weist jedoch auch auf einen weiteren Aspekt hin: "Wichtig ist, dass das Versorgungsangebot entsprechend gestärkt wird, indem etwa Ärztinnen und Ärzte für ihre Leistungen auch angemessen bezahlt werden".
Schleswig-Holsteiner überwiegend skeptisch
Einige Bad Segeberger, mit denen unser NDR Schleswig-Holstein Reporter gesprochen hat, zeigen sich überwiegend skeptisch. Ein Mann sagt: "Das sollte jedem selber überlassen bleiben, ob er gleich zum Facharzt gehen möchte oder erst zu einem Hausarzt". Eine andere Patientin meint: "Für mich ist, wenn ich zum Facharzt gehe, wichtig, dass ich das selber entscheiden kann und nicht immer die Zeit in Hausarztpraxen verbringe." Und bezogen auf den Koalitionsvertrag sagt ein Dritter: "Papier ist geduldig, wollen mal sehen, wie die sich einigen. Da bin ich nicht sehr hoffnungsvoll."
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 16.04.2025 | 16:00 Uhr