Schleswig-Holstein Exzessiver Shoppingwahn: Zahl der Kaufsüchtigen nimmt zu
Fünf Prozent der Deutschen sind kaufsüchtig und es werden mehr. Davon gehen Forscher am Uniklinikum Schleswig-Holstein aus. Zu den Ursachen zählen sie die wachsende Zahl von Shoppingaktionen wie der Black Friday.
Zwanzig Kaufsüchtige werden aktuell alleine am UKSH Lübeck behandelt. Forschende sind sich inzwischen einig, dass Kaufsucht als eigenständige Sucht behandelt werden muss. Vor kurzem wurde sie noch allgemein zu den Impulskontrollstörungen gezählt. Auch das trage dazu bei, dass immer mehr Kaufsüchtige diagnostiziert werden, erklärt die Suchtmedizinerin Julia Reutermann-Kämmerer. Neben den vielen Shoppingaktionen trägt laut den Forschenden auch personalisierte Onlinewerbung dazu bei, dass sich seit Jahren immer mehr Menschen bei den Suchtmedizinern im UKSH melden.
Betroffene gab schon mal 6.000 Euro im Monat aus
Auch Nicole Müller (Name von der Redaktion geändert) ist betroffen: "Alles fing schleichend an, irgendwann hat es geldlich überhand genommen", erzählt sie. Bis zu 6.000 Euro hat sie pro Monat für ihre Sucht ausgegeben. Oft für Deko und Onlinespiele. "Ich habe elf Dekohasen, 25 Weihnachtsmänner und dann so maritime Dinge wie Modelle von Schiffen, insgesamt schätze ich 100 Dekoartikel." Nicole hat Glück im Unglück, Schulden musste sie nicht machen.
Suchtmedizinerin erklärt mögliche Ursachen
Es gebe zwei wesentliche Faktoren, die zu einer Sucht führen können, erklärt die Suchtmedizinerin. "Einkaufen aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, das kann zu einem Hochgefühl und letztendlich zur Sucht führen". Ein weiterer Faktor sei die Ablenkung von negativen Gefühlen zum Beispiel im Rahmen von Depressionen oder Schmerzerkrankungen. Neben der Kaufsucht würden oft weitere Erkrankungen bestehen. Dies erschwere die Behandlung, so Reutermann-Kämmerer.
Grenze zur Sucht ist fließend
Was zur Diagnose der Kaufsucht mit dazugehöre, sei ein ganz starkes Verlangen einzukaufen: der englische Fachbegriff dafür ist "craving": "Und die Menschen beschreiben dann eine ganz intensive Beschäftigung auch mit dem Einkaufen. Wenn dann vermehrt Reize kommen durch das alltägliche Leben, also durch Onlinewerbung und Rabattaktionen dazukommen, dann kann das auf jeden Fall einen Rückfall begünstigen", berichtet Reutermann-Kämmerer. Die Grenze zur Sucht sei fließend: zu den Kriterien gehört laut der Suchtmedizinerin neben der starken gedanklichen Beschäftigung mit Einkaufen auch ein Kontrollverlust.
Forscherin zum Symptomen der Kaufsucht
Man kann nicht mehr bestimmen wann kaufe ich ein, wieviel kaufe ich ein, brauche ich das überhaupt. Das ist ein ganz häufiger Aspekt bei Kaufsucht, dass die Menschen Dinge kaufen, die sie überhaupt nicht brauchen."
— Julia Reutermann-Kämmerer, Suchtmedizinerin
Es könne sein, das Kaufsüchtige, die Dinge dann direkt wegschmeißen oder in den Keller legen. Laut der Expertin ist ein weiteres Kriterium, dass die Sucht eine relevante Einschränkung für den Menschen bedeutet: "Verheimliche ich mein Verhalten gegenüber der Familie, habe ich Schulden, empfinde ich Scham und Schuld."
Suchtauslöser erkennen ist entscheidend
Desto früher eine Behandlung beginne, desto besser sei es für die Prognose, erklärt Reutermann-Kämmerer. Suchterkrankte neigten dazu erst spät in die Behandlung zu kommen. Teilweise vergingen Jahrzehnte vergehen. Oft bringe eine Therapie aber eine Verbesserung des Suchtverhaltens.
Eingesetzt werden dabei auch Medikamente, insbesondere um die Grunderkrankung, zum Beispiel Depressionen zu bekämpfen. Dann sei gegen die Sucht eine kognitive Verhaltenstherapie sinnvoll, so die Medizinerin. Ziel der Behandlung: Suchtauslöser erkennen und Strategien dagegen entwickeln. "Ablenkung kann dabei eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel neue Hobbys oder Aktivitäten mit Freunden." Es gehe darum Kontrolle zurückgewinnen und das trotz des reichhaltigen Shoppingangebotes.
Behandlung von Kaufsucht nicht einfach
Das großes Problem in der Behandlung: Ganz ohne einkaufen geht es nicht. Eine vollständige Abstinenz ist unmöglich. "Wenn mir jetzt irgendwas gefällt, dann hole ich mir nicht gleich fünf Osterhasen, sondern ich kaufe mir bewusst nur einen", erzählt beispielsweise Nicole Müller. Aktuell gibt die Frührentnerin 1.500 Euro im Monat für ihre Kaufsucht aus. Das Ziel der Therapie: diesen Betrag auf 200 bis 500 Euro im Monat zu senken.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 09.01.2025 | 19:30 Uhr