Frido Mann steht in einer Ausstellung und guckt in die Kamera.

Schleswig-Holstein Frido Mann, was würde Thomas Mann über die heutige Zeit denken?

Stand: 06.06.2025 11:58 Uhr

Frido Mann spricht im Interview über das politische Vermächtnis seines Großvaters, die Gefahren unserer Zeit, seine Rede beim Festakt zum 150. Geburtstag des Schriftstellers - und worüber Thomas Mann heute wohl nur noch den Kopf schütteln würde.

Frido Mann gilt als Lieblingsenkel von Thomas Mann. Er hat einen großen Teil seiner Kindheit bei seinem Großvater Thomas und seiner Großmutter Katia verbracht. Geboren wurde er 1940 im kalifornischen Exil der berühmten Schriftstellerfamilie als Sohn von Michael Mann. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog er nach Europa, heute lebt er in der Schweiz. 

Frido Mann: Schriftsteller mit vier Staatsangehörigkeiten

Wie sein Großvater ist auch Frido Mann Schriftsteller. Er besitzt vier Staatsangehörigkeiten: die schweizerische, deutsche, amerikanische und tschechische. Anlässlich des 150. Geburtstags von Thomas Mann ist Frido Mann nach Lübeck gereist. Auf den Festakt freut er sich sehr. "So eine große Feier hätte ihm gefallen", sagt er mit einem Lächeln über seinen Großvater.  

Im Interview teilt Frido Mann Erinnerungen an gemeinsame Abende mit Thomas Mann, politische Gespräche mit ihm als Heranwachsender und seine Gedanken zur heutigen Bedrohung der Demokratie.

Herr Mann, in Lübeck startet gerade die Ausstellung "Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie". Inwiefern ist der Demokratiebegriff von ihm in die heutige Zeit zu übertragen?

Frido Mann: "Democracy will win" - mein Großvater war ziemlich mutig, das 1938 zu sagen. Das war kurz vor dem Münchner Abkommen, als eigentlich schon klar war: Ein Krieg ist kaum noch zu vermeiden. Es folgte dann ein Einmarsch nach dem anderen durch die Nazis. Das erinnert mich an die heutige Zeit. Wenn man heute sagt: Die Demokratie wird gewinnen, dann lachen viele nur noch. Andere sind traurig und sagen: "Na ja, armer Illusionist." Aber man sagt es eben trotzdem, wenn man daran glaubt. 

Wie blicken Sie auf die aktuelle Weltlage?

Mann: Es ist leider ein Schrecken ohne Ende. Ich halte es nicht einmal für ausgeschlossen, dass irgendwann jemand, ein Verrückter, tatsächlich zur Atombombe greift und sie absichtlich einsetzt. Und selbst ein technisches Versehen, ein Unglück, eine Panne - all das kann ausreichen, damit es passiert. Ich halte das fast für die größere Bedrohung. Oder dass wir durch die schiere Menge an Waffen, die wir Menschen selbst erschaffen haben, unseren eigenen Untergang herbeiführen. 

Die technische Entwicklung ist viel zu schnell vorangeschritten, während die Reflexion auf der Strecke geblieben ist. Ob da noch etwas zu retten ist, wage ich zu bezweifeln. Ich hoffe es trotzdem. Wir müssen es hoffen. Denn es kann doch nicht das Ziel des menschlichen Geistes sein - dieses Geistes, der sich immerhin ein Stück weit über den animalischen Aspekt hinaus entwickelt hat -, dass alles am Ende durch Dummheit zerstört wird. Und dann? Dann existiert die Welt einfach nicht mehr.

Wie würde Ihr Großvater auf die heutige Situation schauen?

Mann: Er würde nur noch den Kopf schütteln. Ich glaube, das wäre selbst für seinen Geist zu viel, um es zu begreifen. Vielleicht hätte er George W. Bush noch verstehen können - aber darüber hinaus? Das Fatale in den USA ist: Es ist zwar eine parlamentarische Demokratie, aber vor allem eine präsidiale. Alles hängt am Präsidenten. Und der hat eine ungeheure Macht. Eine Präsidialdemokratie ist fast schon eine Monarchie - wie man heute sieht. Das ist verheerend. Wie sich Amerika aus dieser Situation wieder befreien und erneuern kann, ist mir ein Rätsel. So etwas hat es dort noch nie gegeben.

Was hat Sie in Ihrer Kindheit an der Seite von Thomas Mann besonders geprägt?

Mann: Ein einzelnes Erlebnis, welches heraussticht, gibt es nicht. Es sind eher all die Dinge, die sich seit meiner frühesten Kindheit angesammelt haben - seit ich etwa vier Jahre alt war, bis zu seinem Tod, da war ich 15. Diese persönlichen Erfahrungen waren sehr wichtig. 

Was ich heute aus dieser Zeit mitnehme, besonders für meine eigene Arbeit, ist sein Blick in die Zukunft. Dieser war scharf und klar, das habe ich schon als Kind gespürt. Damals habe ich am meisten gelernt. Und später habe ich versucht, das, was er für seine Zeit gesagt und erkannt hat, in die Gegenwart zu übersetzen. So, dass vor allem jüngere Menschen, vielleicht unter 30, etwas für sich daraus ziehen und lernen können. 

Können Sie sich an ein Gespräch erinnern, in dem Ihr Großvater seine politische Weitsicht gezeigt hat?

Mann: Als ich zehn oder elf Jahre alt war, war mein Großvater zu Besuch in Österreich. Ich lebte damals mit meinen Eltern am Wolfgangsee. Zweieinhalb Jahre waren wir dort, ich ging dort auch zur Grundschule. In dieser Zeit - es war während des Koreakriegs, der sehr bedrohlich wirkte - habe ich ihn gefragt: "Glaubst du, dass es einen dritten Weltkrieg geben wird? Zwischen den Russen und den Amerikanern?" Und er sagte: "Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, die beiden Mächte werden sich noch lange Zeit gegenüberstehen und sich gegenseitig im Blick behalten. Irgendwann wird sich das dann irgendwie ändern - aber nicht durch Krieg." Und tatsächlich: Was er damals sagte, trat 1989 ein. Er hat es vorausgesehen.

Was werden Sie bei der Festrede im Theater in Lübeck erzählen?

Mann: Ich werde aus einem kleinen Büchlein vorlesen, das ich gerade geschrieben habe - eine Streitschrift, 80 Seiten, erschienen in der Reihe "Fundstücke", die stark vom Münchner Thomas-Mann-Forum geprägt ist. Der Titel lautet: "Um der Güte und Liebe willen - Zehn Wege eines kämpferischen Humanismus". Das Hauptzitat stammt aus dem "Zauberberg": "Um der Güte und Liebe willen" - also nicht Gewalt, sondern Menschlichkeit. Ich werde das erste Kapitel daraus lesen, das ist gleichzeitig mein Geburtstagsgruß an meinen Großvater zum 150. - von einem Enkel, der selbst langsam alt wird.

Ich halte die Rede kurz. Denn sie findet in der Pause eines Konzerts statt, und ich weiß: Die Leute haben schon einen langen Tag mit vielen Vorträgen hinter sich. Die meisten freuen sich jetzt einfach auf die Musik. Ich will sie da nicht zu lange quälen. 

Bei dem Konzert werden Werke gespielt, die Ihr Großvater gerne gehört hat. 

Mann: Genau. Das Lohengrin-Vorspiel, die Leonoren-Ouvertüre von Beethoven - diese Musik hat er sehr geschätzt. Und ich weiß noch genau, dass er auch die Symphonie in d-Moll von César Franck sehr mochte. Ebenso Debussy. Man kann also nicht sagen, er sei ein rein deutscher Musikliebhaber gewesen. Im Gegenteil: Die französische Musik lag ihm sehr. Die italienische, glaube ich, hatte er weniger auf dem Schirm. Das verbindet ihn übrigens auch mit seinem Bruder Heinrich, der ein ausgesprochen frankophiler Mensch war und die französische Musik besonders liebte.

Musik spielte im Alltag meines Großvaters eine große Rolle - besonders am Abend. Nach dem Abendessen setzte man sich zusammen und hörte Schallplatten. In den USA war es meist meine Tante Erika, die die Musik auswählte und auflegte. In der Schweiz war das Ganze etwas entspannter. Dann saß er da, die Augen geschlossen, und hörte ganz versunken zu. Und danach war Bettzeit.

Das Interview führte Linda Ebener.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 05.06.2025 | 19:30 Uhr