Thüringen Höcke will Straftaten wie Volksverhetzung entkriminalisieren: Was steckt dahinter?
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke würde gern Straftaten zu Volksverhetzung oder zum Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen großteils abschaffen. Dafür stellt er zum Bundesparteitag der AfD am Wochenende einen Antrag. Wegen Vorwürfen um diese Straftaten stand er selbst vor Gericht. Um die Paragraphen gibt es eine längere Diskussion in Politik und Wissenschaft. Für einen Jenaer Strafrechtler gehört die Anwendung beider Paragrafen "eher zum Giftschrank des politischen Strafrechts".
Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke drängt auf Änderungen im Strafgesetzbuch. Der Rechtsaußen-Politiker will sich auf dem AfD-Bundesparteitag am Wochenende im sächsischen Riesa für eine Abschaffung oder weitgehende Einschränkung von Straftatbeständen stark machen.
Konkret geht es ihm um die politischen Straftatbestände der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Die werden nach Ansicht von Höcke nicht nur viel zu oft angewendet. Er sieht ihretwegen auch den freien Diskurs und die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit bedroht. Gemeinsam mit vier Parteifreunden will er erreichen, dass diese Tatbestände ins Bundestagswahlprogramm aufgenommen und diese unter einer Bundesregierung mit der AfD abgeschafft oder zumindest stark eingeschränkt werden.
Was ist eine politische Straftat? (zum Aufklappen):
Politisch motivierte Straftaten bedrohen vor allem die freiheitliche demokratische Grundordnung eines Staates und die Achtung der im Grundgesetz stehenden Menschenrechte. Darunter fallen auch solche Delikte, die sich gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen seine innere und äußere Sicherheit richten.
Die Täter verfolgen mit den Taten politische Ziele beziehungsweise fühlen sich bei der Begehung durch eine Ideologie oder ein Gefühl angeblicher Überlegenheit gegenüber den Tatopfern gerechtfertigt. Sie entwickeln daher häufig kein Unrechtsbewusstsein.
Zu den politischen Straftaten gehören unter anderem:
- Hoch- und Landesverrat
- terroristische Handlungen wie Anschläge
- Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen
- politisch motivierte Gewalttaten
- Hasskriminalität mit fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund
- Wahlfälschung
- Volksverhetzung
- Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen
Quelle: Bundesinnenministerium
Höcke schlägt einen zentralen Paragrafen vor, "der dem Aufstacheln von Haß gegen einzelne Gruppen vorbeugt". Wichtig sei ihm, dass keine "pointierte Äußerung eines wütenden Bürgers" bestraft werden könne, sondern nur dann, wenn "tatsächlich zu Straftaten gegen klar definierte Gruppen aufgerufen" werde.
2016 kritisierte Höcke bei einem Auftritt in Gera die Haftstrafe für die mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilte Holocaust-Leugnerin und kürzlich verstorbene Ursula Haverbeck. Sie hatte mehrmals abgestritten, dass das Konzentrationslager Auschwitz ein Vernichtungslager gewesen ist und dort ein Massenmord stattgefunden hat. Nach Schätzungen von Historikern ermordeten die Nazis allein im KZ Auschwitz-Birkenau mindestens 1,1 Millionen Menschen.
Aktuell steht im Entwurf des AfD-Wahlprogramms für die Bundestagswahl, der am Wochenende beschlossen werden soll, dass die AfD Rechtsextremismus, Linksextremismus sowie den religiösen, meist islamistisch geprägten Extremismus bekämpfen will. Allerdings kritisiert der Entwurf im weiteren Textverlauf lediglich Linksextremismus und einen islamistischen Extremismus. Die Thüringer AfD selbst wird vom Thüringer Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft, weil sie verfassungsfeindliche Positionen vertritt.
Höcke begründet seinen Vorstoß dem MDR damit, dass "ich in der Lage bin, meine Arbeit zu verrichten und die Sorgen und Nöte der Menschen deutlich artikulieren kann". Meinungsfreiheit werde aus seiner Sicht auch "über Strafrechtsparagrafen immer weiter ausgehebelt beziehungsweise eingeschränkt". Der Tatbestand "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen" sei ihm zu unbestimmt. Er gehe davon aus, dass sein Antrag beim Bundesparteitag angenommen wird und dass alle Thüringer AfD-Delegierten den Antrag auch unterstützen. Im Bundesvorstand gibt es dem Vernehmen nach keinen offenen Widerstand gegen den Antrag.
Falls der Antrag in das Wahlprogramm der AfD aufgenommen werden sollte, bleibt eine Umsetzung auf absehbare Zeit quasi ausgeschlossen. Denn für eine Gesetzesänderung müsste die Partei im Bundestag an der Mehrheit beteiligt sein. Doch keine der anderen Parteien, die im Bundestag sitzen, will mit der AfD aktuell zusammenarbeiten.
Höcke stand wegen beider Straftaten bereits vor Gericht
Wegen beider Vorwürfe wurde Höcke bereits angeklagt oder erstinstanzlich verurteilt. Das Landgericht Halle verurteilte Höcke im Vorjahr zweimal zu einer Geldstrafe, weil er jeweils die verbotene Parole "Alles für Deutschland" der paramilitärischen Sturmabteilung (SA) verwendet hatte. Höcke hatte zuvor seine Unschuld beteuert und spricht gegenüber dem MDR von einer "Willkürerfahrung" und "politischen Prozessen gegen einen führenden Oppositionspolitiker".
Während er beim ersten Mal vor Gericht erklärt hatte, dass er den Spruch als Parole im Nationalsozialismus nicht kannte, argumentierte er dann beim zweiten Mal, dass die Parole nur eine untergeordnete Bedeutung bei der SA gespielt habe. In beiden Fällen läuft eine Revision, weil das Urteil angefochten wurde.
Was bedeutet Volksverhetzung? (zum Aufklappen):
Wer zu Hass oder zu Gewalttaten aufruft oder derartige Äußerungen verbreitet, wer gegen einen oder mehrere Menschen einer bestimmten Gruppe, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung aufhetzt oder zu Gewalttaten aufruft, macht sich strafbar. Er begeht Volksverhetzung. Er stört, wie es im amtlichen Deutsch heißt, den öffentlichen Frieden. Insbesondere fällt hier auch die Leugnung oder Verharmlosung des Holocausts oder die "Auschwitz-Lüge" hinein. Seit 2022 fällt darunter auch die Leugnung oder Verharmlosung von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mit dem Straftatbestand sollen auch Minderheiten vor rassistischen Angriffen geschützt werden.
Für Volksverhetzung drohen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren - oder Geldstrafen.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, kujas-strafverteidigung
Am Landgericht Mühlhausen ist seit dem Vorjahr ein Verfahren wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gegen Höcke anhängig. Er wird verdächtigt, in den Sozialen Medien Migranten pauschal als Kriminelle stigmatisiert zu haben. Laut Landgericht ruht nach dem Regierungswechsel in Thüringen das Verfahren vorläufig, weil erst der Justizausschuss des neuen Landtages erneut die Immunität von Höcke aufheben muss, um das Verfahren fortzusetzen.
Eine Anzeige des Ex-Umweltministers Bernhard Stengele (Grüne) gegen Höcke wegen des Verdachts der Volksverhetzung verwarf die Staatsanwaltschaft dagegen im vergangenen November. Hintergrund waren Textzeilen eines Liedes eines nationalsozialistischen Lyrikers und Hitler-Verehrers, das dem Programm der AfD zur Landtagswahl im September vorangestellt worden war.
Wann gilt das Verwenden verfassungswidriger oder terroristischer Kennzeichen als Straftat? (zum Aufklappen):
Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen Grußformen, Propagandamaterial stehen unter Strafe, wenn:
- sie einer Partei zuzuordnen sind, die das Bundesverfassungsgericht verboten hat
- eine Vereinigung gerichtlich endgültig verboten ist, weil sie verfassungswidrig ist
- sie von einer von der EU als Terrororganisation aufgeführten Vereinigung stammen
- oder es sich um eine ehemalige NS-Organisation handelt
Die Verbote gelten jeweils auch für Ersatzorganisationen der verbotenen Vereinigungen und für Kennzeichen, die den verbotenen ähneln.
Parteien werden vom Bundesverfassungsgericht verboten, Vereine durch das jeweilige Innenministerium. Es gibt keine offizielle Liste aller verbotenen NS-Zeichen oder NS-Parolen. Dies entscheiden letzten Endes Gerichte.
Straftaten können mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden. Wird ein Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt, kann das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden, gewählt zu werden oder zu wählen, für bis zu fünf Jahre aberkannt werden.
"Frontalangriff auf Verfassung": Scharfe Kritik der anderen Parteien im Thüringer Landtag
Die CDU kritisierte Höckes Vorstoß scharf. Er attackiere damit die Grundfesten der Demokratie, heißt es in einer Mitteilung. Höcke wolle ein Deutschland, das Hass und Spaltung über Freiheit und Verantwortung stellt, sagte Andreas Bühl, CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag. Diese Pläne seien ein Frontalangriff auf die Verfassung.
Auch das Thüringer BSW lehnt den Antrag ab. Es sei unbestritten, dass der Schutz der Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, sagte Fraktionsvorsitzender Frank Augsten und ergänzt. "Straftatbestände wie Volksverhetzung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dienen dem Schutz der Demokratie und des gesellschaftlichen Friedens." Eine Abschaffung oder Beschränkung könne rechtliche wie gesellschaftliche Unsicherheiten hervorrufen.
Die SPD-Landtagsfraktion wertet Höckes Vorstoß, Straftaten zu legalisieren, als weiteren Beleg für Angriffe der AfD auf die Verfassung. Die innenpolitische Sprecherin der SPD, Janine Merz, sprach von einer unerhörten Grenzüberschreitung. Die AfD wolle damit Regeln verändern und verbiegen, um künftig ungestraft Hass und Hetze zu streuen, wie es die Partei ständig tue.
Die Thüringer Linke-Vorsitzende und -Abgeordnete Ulrike Grosse-Röthig distanzierte sich ebenfalls scharf. Sie erklärte: "Wenn der Faschist Höcke nun Volksverhetzung und das Verwenden von rechtsradikalen und verfassungsfeindlichen Kennzeichen abschaffen will, dann ist sein Ziel durchsichtig." Laut Grosse-Röthig will Höcke damit den "Faschismus wieder salonfähig machen" und, dass immer mehr auch wieder sagbar werde. Sie fragt: "Würde es die Gesellschaft zulassen, wenn der Einbrecher die Strafbarkeit von Diebstahl abschaffen will? Wohl kaum."
Größere Diskussion um Volksverhetzung
Zu den beiden Straftatbestände der Volksverhetzung und der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen gibt es inzwischen unzählige Urteile, aber auch weiter Diskussionen. Bei der Anwendung der beiden Paragrafen muss laut dem Strafrechtler Edward Schramm größte Vorsicht gelten. Die juristische Praxis gehöre "eher zum Giftschrank des politischen Strafrechts". Beides seien "hochkomplexe Tatbestände". Und es finde in der Tat eine starke Einschränkung der politischen Meinungsfreiheit statt.
Diese ist aber aus Sicht des Professors an der Uni Jena aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands nötig: "Die historischen Fakten sind einfach erdrückend." Er fragt: Was würde es für den gesellschaftlichen Frieden und die öffentliche Ordnung bedeuten, wenn das Leugnen des Holocaust in Deutschland straflos wäre und etwa in den Sozialen Medien massenhaft praktiziert würde?
Professor Edward Schramm ist Strafrechtler an der Universität Jena.
Als Volksverhetzung gilt das Bestreiten, dass im Nationalsozialismus Menschen in Gaskammern ermordet wurden, explizit erst seit 1994. Zuvor wurde dies allenfalls als Beleidigung geahndet. Schramm verweist auch darauf, dass noch bis 1960 der Tatbestand "Anreizung zum Klassenkampf" hieß und praktisch vor 1945 Urteile wegen Volksverhetzung vor allem gegen Sozialisten oder Kommunisten fielen. Erst nach 1945 und dann in den 90er-Jahren gab es vorrangig Urteile gegen Menschen aus der rechtsextremen Szene."
Eine politische und wissenschaftliche Diskussion gab es nach einer Gesetzesverschärfung im Jahr 2022. Kritik kamen von Linkspartei und AfD, als FDP-Justizminister Marco Buschmann nach Druck durch die EU vorschlug, dass nicht nur die Verharmlosung des Holocaust sowie die Billigung von "Straftaten aller Art" ausdrücklich strafbar ist, sondern auch die Leugnung und gröbliche Verharmlosung von Völkermorden und Kriegsverbrechen in Deutschland als Volksverhetzung gelten sollten, wenn dabei zu Hass oder Gewalt aufgestachelt und der öffentliche Frieden gestört wird. AfD und Linke stimmten damals im Bundestag gegen die nichtsdestotrotz verabschiedete Gesetzesänderung.
Die Rechtspolitikerin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, erklärte damals gegenüber dem Onlinemagazin "Legal Tribune Online", dass durch die neue Regelung die Gefahr bestehe, die Meinungsfreiheit zu beschränken, weil ein tatsächlich strafbares Verhalten nicht vorliegen müsste. Auch von der AfD gab es damals schon Kritik. Der Geraer Bundestagsabgeordnete und Rechtspolitiker Stephan Brandner bemängelte demnach auch den Volksverhetzungs-Paragrafen, weil "etwa unbestimmte Rechtsbegriffe wie 'gröblich verharmlost'" verwenden würden.
Der Jenaer Jurist Schramm verweist darauf, dass die juristischen Diskussionen zu der Gesetzesänderung fortdauern. Denn Gerichte müssten zum Beispiel über eine Volksverhetzung entscheiden, obwohl etwa noch gar nicht völkerstrafrechtlich entschieden worden sei, ob Kriegshandlungen wie aktuell im Nahen Osten völkerrechtswidrig sind.
MDR (kk/rom)