
Ertrunkene Flüchtlinge Anklage gegen griechische Küstenwache erhoben
Im Juni 2023 starben im Mittelmeer Hunderte Flüchtlinge. Augenzeugen-Berichte deuteten auf eine mögliche Mitschuld der griechischen Küstenwache hin. Nun wurden führende Mitarbeiter angeklagt.
Im Fall einer der größten Katastrophen auf dem Mittelmeer in den vergangenen Jahren, bei der schätzungsweise mehr als 600 Menschen gestorben sind, ist nun erstmals Anklage gegen hochrangige Beamte der griechischen Küstenwache erhoben worden.
Im Juni 2023 war ein mit etwa 750 Menschen überladener Fischkutter vor der griechischen Hafenstadt Pylos gekentert, nachdem die griechische Küstenwache das Boot stundenlang beobachtet hatte, schließlich ein Seil daran befestigte und offenbar versuchte, das Boot zu ziehen. Dieses Ziehen durch die Küstenwache führte möglicherweise zum Kentern des Schiffs.
Nun hat die zuständige Staatsanwältin des Seegerichts nach Aussagen von Anwälten der Überlebenden Anklagen gegen 17 Mitarbeiter der Behörde erhoben, wie STRG_F (NDR/Funk) erfuhr. Sie richten sich unter anderem gegen den damaligen Chef der Küstenwache sowie den Kapitän des Bootes 920, das die tödlich geendete Rettungsmission durchführte.
Anklage gegen Kapitän
Die Anklage gegen den Kapitän der Küstenwache lautet unter anderem "Verursachung eines Schiffbruchs, der Menschenleben gefährdete und zum Tod einer hohen Anzahl von Personen führte" sowie "unterlassene Hilfeleistung". Der gesamten Crew der Küstenwache wird Mittäterschaft bei diesen Taten des Kapitäns vorgeworfen.
Zudem wird zwei Offizieren der Küstenwache und dem damaligen Chef der griechischen Küstenwache vorgeworfen, Menschen gefährdet zu haben, "obwohl sie die juristische Pflicht hatten, sie zu retten". Dabei wird von "mindestens 82 Toten" gesprochen - das ist die Anzahl der Leichen, die gefunden wurden. Es wird von weiteren Hunderten Toten ausgegangen.
In einem separaten Beschluss zu weiteren Mitarbeitern der Küstnwache befand die Staatsanwaltschaft des Seegerichts Piräus, dass die Beweise nicht für eine weitere Untersuchung ausreichten. Es ging dabei um den derzeitigen Chef der Küstenwache und drei weitere hochrangige Offiziere, die an dem tödlichen Vorfall beteiligt waren.
"Verpflichtung zum Schutz menschlichen Lebens"
Die griechische Menschenrechtsanwältin Eleni Spathana von der griechischen Organisation Refugee Support Aegean vertritt gemeinsam mit weiteren Organisationen die Angehörigen der Todesopfer sowie die Überlebenden der Katastrophe. Gegenüber Strg_F sprach sie von einer wichtigen Entwicklung, denn "erstmals gibt es eine Strafverfolgung hochrangiger Beamter der griechischen Küstenwache".
Dies erinnere an etwas, das eigentlich selbstverständlich sei, aber mittlerweile vergessen werde, nämlich "dass alle Formen der Abschreckung, die durch die EU beschlossen und von ihren Mitgliedsstaaten umgesetzt werden, nicht die Verpflichtung zum Schutz menschlichen Lebens verletzen dürfen." Auf Anfrage von Strg_F äußerte sich das Ministerium für maritime Angelegenheiten, das für die Küstenwache zuständig ist, nicht zu den Anklagen.
Berichte von 26 Überlebenden
Schon kurz nach dem tödlichen Unfall hatte eine Recherche von STRG_F und dem ARD-Magazin Panorama gemeinsam mit einer internationalen Recherche-Kooperation eine mögliche Mitschuld der griechischen Küstenwache am Kentern des Schiffes ergeben. Insgesamt 26 Überlebende hatten dem Recherche-Team von den Stunden und Minuten vor dem Kentern berichtet.
Sie alle hatten entweder selbst gesehen, dass maskierte Männer der griechischen Küstenwache ein Seil befestigt hatten oder den Zug gespürt, der durch das Ziehen an ihrem Boot verursacht wurde. Mehrere Augenzeugen erklärten gegenüber STRG_F, dass die griechische Küstenwache das Boot in italienische Gewässer ziehen wollte, um sie loszuwerden. Italien war auch das ursprüngliche Ziel der Menschen an Bord.
Der Fall wurde nun von der Staatsanwältin des Seegerichts zur Hauptuntersuchung geschickt, da sie die Beweise als ausreichend empfunden hat, um Anklagen zu erheben. Im nächsten Schritt muss der Untersuchungsrichter über die Zulässigkeit der Anklage entscheiden.