
Kampf gegen Kindesmissbrauch Innenminister stützen umstrittene Polizeipraxis
Deutsche Strafverfolger lassen Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder massenhaft im Netz, obwohl sie einfach zu löschen wären. Den Innenministern ist das Defizit bekannt - ändern wollen sie das laut NDR-Recherchen nicht.
Betroffene fordern schon lange, dass die Ermittlungsbehörden Darstellungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder in Darknetforen aktiv und systematisch entfernen lassen. Immer wieder hatten verantwortliche Politikerinnen und Politiker zuletzt zugesagt, sich des Problems anzunehmen. Doch offenbar bleibt vorerst alles wie gehabt.
Reportern des ARD-Politikmagazins Panorama und des Investigativformats STRG_F (NDR/funk) liegen die Beschlussvorlagen vor, die die Innenministerinnen und Innenminister von Bund und Ländern auf ihrer heute beginnenden Konferenz in Bremerhaven verabschieden wollen. Darin betonen sie zwar "die Notwendigkeit der Verfügbarkeitsreduzierung von Missbrauchsabbildungen im Internet". Sie verpflichten die Polizeibehörden aber weiterhin nicht, in Darknetforen systematisch nach Bildern und Videos zu suchen, um diese zu löschen.
Damit bleibt ein umstrittener Beschluss aus dem Jahr 2023 in Kraft. Damals war die Innenministerkonferenz (IMK) den Empfehlungen einer Arbeitsgruppe gefolgt und ließ die Polizeipraxis nicht umstellen. Die Innenministerinnen und Innenminister ließen ihren Beschluss aber als vertraulich einstufen. Er stand im Widerspruch zu öffentlichen Versprechen, die Missstände in der Löschpraxis beheben zu wollen.
Pro-aktives Löschen würde kaum Personal benötigen
Panorama und STRG_F hatten im Februar über die Inhalte des vertraulichen Beschlusses berichtet - und stellten außerdem das Argument in Frage, dass aktives Löschen viel Personal benötigte: Zwei Reportern war es gelungen, in allen großen Darknetforen die dort verbreiteten Aufnahmen löschen zu lassen. Sie suchten in den Foren automatisiert nach Links zu Speicherdiensten, bei denen Pädokriminelle ihre Bilder und Videos verschlüsselt hochgeladen hatten.
Diese Links meldeten sie den Unternehmen, die die Aufnahmen löschten. Die Methode war so erfolgreich, dass Pädokriminelle aus Frust über die Löschungen kaum noch Missbrauchsdarstellungen verbreiteten und mehrere Darknetforen den Betrieb einstellten.
Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, forderte daraufhin die Innenministerien auf, das Löschen der Bilddateien verbindlich zu regeln. Zu den Befürwortern des pro-aktiven Löschens zählt auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker ließ das Thema für die Konferenz in Bremerhaven auf die Tagesordnung setzen.
Missbrauchsbeauftragte: Beschluss "reicht nicht"
Claus zeigt sich nun enttäuscht über das, was die IMK plant: "Der aktuelle Beschluss der Innenministerkonferenz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er reicht aber nicht", sagte die Missbrauchsbeauftragte auf Anfrage. Der Fokus dürfe nicht allein darauf liegen, gemeldete oder in den Ermittlungen gefundene Inhalte zu löschen. "Um Betroffene besser vor dieser Form der fortgesetzten sexuellen Ausbeutung zu schützen, müssen wir pro-aktiv systematisch Missbrauchsdarstellungen identifizieren." Claus kündigte an, die neue Bundesregierung zu drängen, das pro-aktive Löschen künftig zu ermöglichen.
Ähnlich äußerte sich Sabine Andresen, Präsidentin des Kinderschutzbundes. "Die Innenministerinnen und Innenminister sollten nicht den Fehler machen, zu resignieren oder sich aus der Verantwortung zu ziehen. Das ist leider der Eindruck, der nun entsteht", so Andresen. Betroffene sexualisierter Gewalt müssten das Erlebte oftmals in einem langen und schmerzvollen Prozess aufarbeiten: "Das Wissen darum, dass Abbildungen ihres Leids nach wie vor im Netz kursieren, erschwert den Prozess der Aufarbeitung erheblich."
In den pädokriminellen Darknetforen zirkulieren mittlerweile wieder große Mengen an Missbrauchsdarstellungen. Panorama und STRG_F hatten ihr Projekt Ende 2024 beendet und die Ergebnisse im Februar veröffentlicht. Die Pädokriminellen begannen danach, illegale Aufnahmen zu verbreiten, weil sie niemand mehr daran hinderte. "Es ist alles wieder normal", bestätigte ein langjähriger Administrator eines großen Darknetforums vor wenigen Tagen in einem anonymen Chat. "Normal" heißt für Pädokriminelle, dass sie niemand am Verbreiteten ihres Materials hindert.
Hin und Her zwischen Bund und Ländern
Die Recherchen hatten bundesweit Empörung ausgelöst. In Niedersachsen setzte die oppositionelle CDU die rot-grüne Landesregierung mit einem Entschließungsantrag unter Druck. Demnach solle die Landesregierung die Polizeibehörden anweisen, "eigeninitiativ im Internet gezielt nach kinderpornografischem Bild- und Videomaterial zu suchen", um es löschen zu lassen. Niedersachsen brachte nun Vorschläge für die Innenministerkonferenz ein. Demnach solle das Bundesinnenministerium das Bundeskriminalamt (BKA) stärken, um "die technischen Lösungen zur Automatisierung der Abläufe im Hinblick auf eine wirkungsvolle Löschung von Missbrauchsdarstellungen weiter zu verbessern".
Auch Nordrhein-Westfalen wird wohl kein eigenes Programm starten, um die Darknetforen nachhaltig durch Löschungen zu bekämpfen. Nach Informationen von Panorama und STRG_F hatte Reul das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bereits vor einiger Zeit prüfen lassen, selbst ein Löschprogramm zu entwickeln. Die Ermittler sahen jedoch zahlreiche Probleme und schoben ebenfalls dem Bund die Verantwortung zu. Das BKA wiederum ist zwar in den pädokriminellen Darknetforen aktiv, um die Betreiber zu identifizieren. Es ist aber offensichtlich nicht gewillt, darin aktiv nach Bildern und Videos zu suchen, um sie löschen zu lassen.
Letzter Ausweg Europa?
Immerhin bittet die Innenministerkonferenz nun das Bundesinnenministerium, sich auf EU-Ebene für eine Verabschiedung einer Verordnung einzusetzen, mit denen Kinder und Jugendliche im Netz besser vor Gefahren geschützt werden sollen. Das Gesetzespaket steckt jedoch wegen eines Streits zwischen den Mitgliedsstaaten um die sogenannte Chatkontrolle seit Jahren fest.
Claus und Andresen begrüßten die Initiative der Bundesländer, die EU-Verordnung zeitnah verabschieden zu wollen. Neben der Chatkontrolle enthält das Gesetzespaket diverse Regelungen, die Kinderschützer seit Jahren fordern. Dass diese EU-Regeln aber die Situation in den Darknetforen verändern würden, ist unwahrscheinlich. Es müsste sich weiterhin eine Behörde finden, die in den Foren aktiv nach Fotos und Videos sucht. Auf EU-Ebene hat keine Polizeibehörde derartige Befugnisse. Auch mit der neuen Verordnung wäre dies wohl Aufgabe der EU-Staaten.