Medizin-Influencer Gesundheitstipps mit Nebenwirkungen
Gesundheitstipps auf Social Media boomen. Doch reichweitenstarke "Medfluencer" haben teilweise keine medizinische Ausbildung. Recherchen von Vollbild zeigen: Neben Werbung propagieren einige auch gesundheitsschädliche Tipps.
Ob Kopfschmerzen, Hautirritationen oder schmerzende Gelenke - viele Menschen googeln ihre Krankheitssymptome oder informieren sich bei sogenannten Medfluencern auf TikTok oder Instagram. "Medical Influencer" haben teilweise mehrere Hunderttausend Follower.
Einige suggerieren im Kittel und mit Stethoskop medizinische Kompetenz, sind aber gar keine ausgebildeten Ärztinnen und Ärzte. Manche machen exzessiv Werbung, möchten eigene Produktreihen verkaufen oder verbreiten sogar Verschwörungsideologien, wie Recherchen des investigativen SWR-Formats Vollbild zeigen.
Selbstoptimierung durch Tees, Diäten und Blutzucker-Tracking
Der Münchner Medizinstudentin Alina Walbrun folgen mehr als 300.000 Menschen allein auf Instagram. Sie ist eine der bekanntesten Medfluencerinnen und teilt unter dem Namen "Doc Alina" fast täglich gesundheitsbezogene Inhalte. Oft geht es dabei auch um das Thema Ernährung.
In "What I eat in a Day"-Videos teilt sie ihre Mahlzeiten, nimmt ihre Follower mit zum Sport und erklärt, wie man die eigene Gesundheit noch optimieren könne: etwa durch die Nutzung von Blutzucker-Messgeräten, die man dauerhaft als Sensor am Arm trägt. Durch das ständige Tracken, so Walbrun, könne man Blutzucker-Spitzen vorbeugen und so leichter abnehmen und Stresshormone reduzieren.
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft warnt jedoch: "Anlassloses Messen von Gewebezuckern bei Gesunden ist nicht indiziert und führt zu nichts. Es ist eine Form von Gesundheitswahn." Das Tracking könne zwanghaft werden. Vollbild sprach mit mehreren jungen Frauen, die sagen, dass sie Tipps von Walbrun angeschaut und befolgt hätten.
Sie behaupten, dass Alina Walbruns "Tipps" sie zeitweise im Kampf gegen ihre Essstörung zurückgeworfen hätten. Eine 18-Jährige, die sich auch den von Walbrun beworbenen Blutzuckertracker angeschafft habe, erzählt: "Ich habe die Tipps von Alina befolgt, immer strenger. Keine Hafermilch mehr, nichts Süßes zum Frühstück oder gar kein Frühstück. Kohlenhydrate habe ich eigentlich gar nicht mehr gegessen."
Walbruns Anwalt teilt auf Anfrage mit, dass Menschen, bei denen eine Essstörung vorliege, "gerade nicht von unserer Mandantin angesprochen" würden. Hierauf würde sie im Einzelfall auch deutlich hinweisen.
Kritik von der Verbraucherzentrale
"Wenn sich jemand hinstellt und sagt, mein Name ist Dr. Müller und erzählt was zum Thema Gesundheit, dann wird ihm das im Regelfall geglaubt. Egal, ob er den Doktortitel tatsächlich hat", sagt Susanne Punsmann, Syndikus-Rechtsanwältin der Verbraucherzentrale NRW, die im Auftrag des Projekts "Faktencheck Gesundheitswerbung" der Verbraucherzentrale NRW Inhalte von Medfluencern überprüft.
Walbrun bewege sich in einem rechtlichen Graubereich, da sie gesundheitsbezogene Inhalte mit kommerziellen vermische. Immer wieder wirbt Walbrun für Produkte wie Haartrockner, Matratzen und Nahrungsergänzungsmittel. Aber auch für Produkte, die sie mit ihrem eigenen Unternehmen vertreibt, wie zum Beispiel Collagen oder Tees.
"Schwierig wird es immer dann, wenn der redaktionelle Content mit einem konkreten Angebot verknüpft wird, mit der Aufforderung, etwas zu kaufen", sagt Punsmann. Walbrun lässt über ihren Anwalt mitteilen, sie lege "größten Wert auf die Trennung von Information und Werbung".
Reichweitenstarke Medfluencer teilen Verschwörungserzählungen
Die Verbraucherzentrale NRW berichtet Vollbild von einem auffälligen Instagram-Account, zu dem bereits mehrere Beschwerden eingegangen seien: Der von "Medfluencerin" Gloria Bormann. Die Zahnärztin und angehende Heilpraktikerin mit mehr als 75.000 Followern bietet nach eigenen Angaben "umfassende Gesundheitsberatung" zu verschiedenen medizinischen Fragen und teilt unter anderem verschwörungsideologische Inhalte, etwa zu Impfungen oder zu Krebstherapien.
Bormann ist zudem Veranstalterin eines Krebskongresses bei einer Online-Akademie, den sie auch bei ihren Instagram-Followern bewirbt. Die Deutsche Krebshilfe äußert auf Anfrage "große Bedenken hinsichtlich der Seriosität des Krebskongresses". "Aus unserer Sicht bewirbt der Kongress alternativmedizinische 'Behandlungsverfahren', deren medizinischer Nutzen nicht belegt ist." Zudem erscheinen die Qualifikationen der Kongressreferenten "teilweise zweifelhaft".
Nach Vollbild-Recherchen wird gegen mehrere Referenten des Krebskongresses ermittelt, gegen einen von ihnen unter anderem wegen fahrlässiger Tötung, nachdem mehrere Patientinnen nach einer Behandlung bei ihm verstorben waren. Bormann wollte sich auf Anfrage zu den Vorwürfen nicht äußern.
In den Unterlagen des "Krebskongresses" bewirbt Bormann Mikronährstoffe wie Vitamin C als Mittel in der Krebstherapie. Der Kinderonkologe und Medfluencer Florian Babor sieht das kritisch: "Wir haben Kinder, die an ihrer Krebserkrankung verstorben sind, weil die Eltern die Therapie im Krankenhaus abgelehnt haben, da ein Heilpraktiker oder eine Heilpraktikerin gesagt hat, ihr Kind brauche hochdosierte Vitamin-C-Infusionen."
Bormann bietet gesundheitliche Beratungsgespräche an, für 180 Euro pro Stunde. Vollbild nahm undercover teil. Dort äußerte sich Bormann gegenüber der Reporterin kritisch über etablierte ärztliche Behandlungsverfahren wie Krebsbehandlung durch Chemotherapie. In der Gesundheitsberatung rät sie der undercover teilnehmenden Reporterin außerdem, es sei allgemein der bessere Ansatz, zu einem Heilpraktiker als zu einem Arzt zu gehen.
"Medfluencer" ersetzen keinen Arztbesuch
Der Bedarf an medizinischen Ratschlägen im Internet ist hoch. Das erlebt auch der Kinderonkologe und "Medfluencer" Nibras Naami. Mit seinem Kollegen Florian Babor betreibt er einen Instagramkanal mit rund einer Viertelmillion Followern. Täglich erhalten die beiden auf ihrem gemeinsamen Account zahlreiche Nachrichten mit Fragen zu Symptomen und Krankheiten.
Kinderonkologe Naami betreibt seinen Instragramkanal zur Aufklärung. Einen Arztbesuch ersetzt das nicht.
Im Interview warnt Naami: "Das, was wir tun, ist wirklich rein der Aufklärung gedacht und ersetzt auf keinen Fall, dass man sich richtigen und vernünftigen ärztlichen Rat beim direkten Ansprechpartner sucht."
Die Expertin der Verbraucherzentrale, Susanne Punsmann, rät, genau hinzuschauen und zu hinterfragen, welcher "Medfluencer" seriös ist - und wer sich nur professionell inszeniert. Es bleibe das Problem mangelnder Kontrolle - eine zuständige Aufsicht gibt es nicht.
Verbraucherzentralen und Landesmedienanstalten kommen bei der Flut von Posts offenbar nicht hinterher. Ärztekammern sind nur für Ärztinnen und Ärzte zuständig und werden nur auf Hinweise aktiv. Studienarzt Stefan Kabisch von der Charité Berlin sagt, es gebe "letztlich einen Überlauf an Patienten, der sich andere Wege sucht. Und da haben 'Medfluencer' ein leichtes Spiel."