
Reformen gegen Fachkräftemangel OECD empfiehlt Abschaffung von Ehegattensplitting
Die Bundesregierung wird die Wirtschaftsflaute nach OECD-Einschätzung nur mit starken Reformen beenden können. Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, empfiehlt sie die Abschaffung von Frührente und Ehegattensplitting.
Mit Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel muss Deutschland Frauen und ältere Menschen nach Einschätzung der Industrieländer-Organisation OECD besser in den Arbeitsmarkt integrieren. Die deutsche Wirtschaft kranke an der immer weiter steigenden Teilzeitbeschäftigung, heißt es in dem heute in Berlin vorgestellten Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In allen Teilen der Bevölkerung werde mehr in Teilzeit gearbeitet - vor allem aber bei Frauen, Eltern und Älteren.
"Hemmnis für das Wirtschaftswachstum"
Unter anderem würden bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gebraucht, damit auch Eltern wieder die Möglichkeit hätten, Vollzeit zu arbeiten. "Der Fachkräftemangel droht zu einem großen Hemmnis für das Wirtschaftswachstum zu werden", heißt es in dem Bericht. Deutschland bevorzuge mit seinem Steuermodell ungleiche Verdienste zwischen Ehepartnern, sodass es sich für Frauen häufig nicht lohne, mehr zu arbeiten. Die OECD empfiehlt die Abschaffung des sogenannten Ehegattensplittings - und der Anreize für einen früheren Renteneintritt.
Wie stark das Problem die Unternehmen trifft, zeigt eine Erhebung zu den Jahren 2022 und 2023. Über 81 Prozent der befragten deutschen Firmen kämpften demnach mit einem Mangel an Arbeitskräften. Rund 36 Prozent der Firmen berichteten sogar von einem "erheblichen Mangel". Damit ist das Problem in Deutschland so akut wie nirgendwo sonst in den 34 untersuchten Volkswirtschaften. Laut OECD sollten auch mehr Menschen durch Einwanderung in den Arbeitsmarkt gebracht werden.
OECD-Generalsekretär Mathias Cormann und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche stellten den mehr als 150 Seiten starken Bericht am Vormittag in Berlin vor. Die deutsche Wirtschaft steckt seit zwei Jahren in der Rezession. Für dieses Jahr erwarten viele Experten eine Stagnation. Die OECD ist etwas optimistischer und sagt ein Wachstum von 0,4 Prozent voraus. 2026 dürften es dann der Prognose zufolge 1,2 Prozent sein.
Plädoyer für höhere Grundsteuer
Impulse erwartet die OECD durch steigende Investitionen sowie den Konsum der privaten Haushalte und auch des Staates. Der Export dürfte dagegen - angesichts des schwelenden Handelsstreits mit den USA - schwierig bleiben. Hier wird 2025 mit einem Minus von 0,3 Prozent gerechnet, 2026 dann mit einem kleinen Plus von 0,6 Prozent. "Eine weitere Beschleunigung von Strukturreformen ist entscheidend, um das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu beleben", sagte Cormann.
Um die Einnahmen der Kommunen zu steigern, sprechen sich die Experten für eine höhere Grundsteuer aus. Bislang seien die Einnahmen niedrig, "obwohl die Gebäude- und Grundstückspreise stark gestiegen sind". Es müssten "aktualisierte Immobilienwerte" zur Festsetzung der Steuer herangezogen werden. Zudem kritisiert die OECD diverse Ausnahmen bei der Besteuerung etwa von Erbschaften oder auch bei der Mehrwertsteuer. Hier brauche es Änderungen, um dann im nächsten Schritt "eine Senkung der hohen Steuern auf Arbeit" zu ermöglichen.
Auch zum Thema Energiepolitik äußern sich die OECD-Experten und sprechen sich unter anderem für niedrigere Netzentgelte in Gegenden aus, in denen viel "grüner" Strom produziert wird. "Da viele dieser Regionen eher wirtschaftsschwach sind, könnte eine Angleichung der Netzentgelte oder eine weitere Verbesserung der Netzentgeltanreize für die Übersiedlung von Unternehmen in Gebiete, die mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden, die Ziele der Regionalentwicklungspolitik und die ökologische Transformation unterstützen."
Lob für Energiepolitik der Ampel
Handlungsbedarf gibt es laut OECD bei der mangelnden Digitalisierung der Verwaltung. Außerdem gebe es insgesamt zu viele bürokratische Hürden. Das sorge für weniger wirtschaftliche Dynamik und geringere Sprünge bei der Produktivität.
Die neue Regierung aus Union und SPD müsse auch für Planbarkeit sorgen und so den Konsum stützen. Dazu würden auch schnelle Beschlüsse zum Haushalt für 2025 beitragen. Diese plant Schwarz-Rot Ende Juni, zusammen mit dem Errichtungsgesetz für den 500 Milliarden Euro schweren Sondertopf zur Modernisierung der Infrastruktur. Er ist neben der Grundgesetz-Anpassung zur stärkeren Aufrüstung der Bundeswehr der Kern der Finanzpläne.
Der ehemaligen Ampel-Regierung stellte die OECD ein solides Zeugnis aus. Auf die Energiekrise etwa habe sie entschieden reagiert: "Umfassende staatliche Unterstützungsmaßnahmen und das schnelle Handeln der Regierung, um russisches Pipelinegas durch Gas aus anderen Quellen zu ersetzen, haben einen drastischeren Konjunkturabschwung verhindert." Auch den "raschen Ausbau der erneuerbaren Energien" hebt der OECD-Report positiv hervor. "Es bestehen jedoch nach wie vor strukturelle Herausforderungen, die das Wachstum bereits vor der Pandemie gebremst hatten."