
Lage am Arbeitsmarkt Zwischen Jobabbau und Personalmangel
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt, besonders in der Industrie wollen zahlreiche Unternehmen Stellen abbauen. Neue Jobs entstehen vor allem im Dienstleistungsbereich und sind oft schlechter bezahlt.
Der Arbeitsplatz von Lukas Emmerich ist einigermaßen ungewöhnlich: Der 21-Jährige arbeitet auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens. Er ist Aircraft Loading Supervisor und überwacht für die Lufthansa, dass die Flugzeuge richtig beladen sind. Denn die nehmen nicht nur Passagiere und deren Koffer mit, sondern auch andere Fracht - so wird etwa Post mit Passagiermaschinen transportiert.
Dass das alles richtig verladen ist, überwacht Lukas Emmerich: "Es ist schon ein cooles Gefühl, so als junger Bursche vorm Flieger zu stehen. Jeder ist älter, und du hast die Macht, Flugzeuge rauszuschicken. Du unterschreibst dafür, dass alles sicher ist. Das ist schon cool."
Mehr als 10.000 Neueinstellungen bei der Lufthansa
Der 21-Jährige hat Kfz-Mechatroniker gelernt, doch die Faszination für Flugzeuge war schon immer größer als für Autos. Nach der fertigen Ausbildung bewarb er sich bei der Lufthansa, machte dort innerhalb kurzer Zeit die nötigen Qualifikationen und darf nun alle Passagiermaschinen beladen. "Die größte Herausforderung an dem Job ist das Zeitmanagement - zu garantieren, dass alles fertig verladen ist und der Flieger wieder pünktlich starten kann, kann manchmal knifflig sein."
Derzeit arbeiten 120 Aircraft Loading Supervisor für die Lufthansa am Frankfurter Flughafen - nicht genug, um die Flugzeuge zu beladen. Deshalb will der Konzern in diesem Jahr 60 weitere Belader am Frankfurter Flughafen einstellen. Weltweit plant die Lufthansa Group in diesem Jahr sogar, rund 10.000 Kolleginnen und Kollegen in den verschiedensten Berufsgruppen neu einzustellen. Mehr als die Hälfte aller Neueinstellungen soll in Deutschland erfolgen.
Unternehmen wollen Stellen reduzieren
Damit ist die Lufthansa momentan aber eher die Ausnahme: Eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln) zeigt, dass in diesem Jahr nur 17 Prozent der Unternehmen hierzulande mehr Mitarbeiter einstellen, 38 Prozent wollen dagegen die Beschäftigung reduzieren. Besonders in der Industrie sind die Aussichten schlecht: Hier wollen 44 Prozent der befragten Unternehmen Stellen abbauen, nur 14 Prozent planen mit Neueinstellungen.
"Damit dürfte sich der bereits seit geraumer Zeit sichtbare Beschäftigungsabbau im deutschen Verarbeitenden Gewerbe auch im neuen Jahr fortsetzen", heißt es vom IW Köln dazu. Die Arbeitsplätze in der Industrie seien zum Stand November 2024 auf gut 7,4 Millionen Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt gefallen, von knapp 7,8 Millionen Personen im Jahresschnitt 2019. Das ist ein Rückgang von gut 350.000 Erwerbstätigen in der Industrie.
Wirtschaftskrise zeigt sich am Arbeitsmarkt
Enzo Weber ist Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Auch er beobachtet seit längerem, dass sich die Situation am Arbeitsmarkt in der Folge der Wirtschaftskrise verschlechtert: "Deutschland befindet sich in einem zähen Wirtschaftsabschwung, und das schlägt mittlerweile auch auf den Arbeitsmarkt durch. Die Arbeitslosigkeit steigt im dritten Jahr in Folge." Tatsächlich lag die Arbeitslosenquote in Deutschland im Jahresschnitt seit 2017 immer unter sechs Prozent. Im vergangenen Jahr stieg sie dann erstmals seit Jahren wieder auf sechs Prozent, im Januar und Februar diesen Jahres lag sie bei 6,4 Prozent.
"Angesichts der konjunkturellen Situation, wo wir beim Wirtschaftswachstum ein Minus zu verzeichnen haben, steht die Beschäftigung immer noch wirklich gut da", urteilt Experte Weber mit Blick auf die Zahlen. Doch das liege nur daran, dass gerade der Dienstleistungsbereich aktuell die Beschäftigungsverluste, die vor allem in der Industrie auftreten, kompensieren würde: "Im Moment entwickeln sich verschiedene Branchen so verschieden wie selten."
Verlust von "10.000 Jobs pro Monat"
Vor allem die Industrie steckt in der Krise: Bei ZF, Continental, Thyssenkrupp Steel und VW sind in den kommenden Jahren rund 70.000 Jobs vom Stellenabbau bedroht. Auch Schaeffler, Porsche, Bosch und Ford wollen Tausende Stellen streichen. "Da gehen im Moment mehr als 10.000 Jobs pro Monat verloren", sagt Weber mit Blick auf die Entwicklungen in der Industrie.
Es sind Jobs wie seiner, die derzeit auf der Kippe stehen: Pablo Ole Schmidt ist Softwareentwickler bei ZF in Friedrichshafen, lebt und arbeitet seit fast 20 Jahren am Bodensee. Nun fürchtet der Entwickler um seinen Job, den er in der E-Division - der Sparte, die laut Handelsblatt-Informationen ausgegliedert werden soll, hat. "Meine Lebenspartnerin und ich arbeiten beide in der E-Division - wir bangen also gerade beide um unseren Job", erzählt er im Gespräch mit plusminus.
Folgen auch im Privaten spürbar
Bereits jetzt habe die Krise bei ZF auch Folgen für sein Privatleben: "Mein größter persönlicher Impact war, dass im letzten Jahr alte Freunde gegangen sind, die Aufhebungsverträge angenommen haben. Mit denen habe ich ein Jahrzehnt und länger zusammengearbeitet." Auch seiner bester Freund nahm einen Aufhebungsvertrag an, lebt jetzt in der Nähe von Berlin. Dabei sei es früher kaum vorstellbar gewesen, dass man ZF vor der Rente verlässt.
"Für mich ist das auch jetzt keine Option", so Pablo Ole Schmidt. Er wolle am Bodensee bleiben - dort, wo sich die Familie etwas aufgebaut hat. "Ich werde bald 50, ich weiß nicht, ob ich noch die guten beruflichen Perspektiven habe." Zumal es auch für gut ausgebildete Fachkräfte wie ihn immer schwerer wird, denn gerade in der Industrie geht der Fachkräftemangel zurück: Laut einer Umfrage des ifo-Instituts klagen im Januar 2025 nur noch rund 18 Prozent aller Industrieunternehmen über zu wenig Fachkräfte. Im dritten Quartal 2022 lag die Zahl noch bei 44,5 Prozent.
Fachkräftemangel in Deutschland geht zurück
Auch insgesamt geht der Fachkräftemangel zurück: Hatten im dritten Quartal 2022 noch etwa die Hälfte aller Unternehmen Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, waren es im Januar 2025 nur noch 28,3 Prozent. Bei Dienstleistern ist der Bedarf noch überdurchschnittlich: Suchten im dritten Quartal 2022 54,2 Prozent der Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte, waren es zuletzt immer noch 35,1 Prozent.
Enzo Weber betont, dass das nicht nur an den Problemen bestehender Unternehmen liege: "Die neu gemeldeten Stellen sind zum Beispiel so niedrig wie noch nie. Die Gründungen in der Industrie sind so niedrig wie noch nie. Die neuen Investitionen, die sinken seit Jahren."
Mit ein paar Ausnahmen: Die Rüstung zum Beispiel, die boomt. So konnte etwa Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall seinen Umsatz in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres um mehr als 30 Prozent steigern. Und zwei der Werke, in denen aktuell zivile Komponenten für Fahrzeuge gefertigt werden, könnten bald auf Rüstung umstellen.
Finanzielle Einbußen
Auch ehemalige ZFler haben in der Rüstungsindustrie mittlerweile neue Jobs gefunden. Für Pablo Ole Schmidt ist das aber keine Option. Trotzdem versteht er, dass Kollegen gehen - auch, weil die Krise bei ZF schon im Geldbeutel spürbar ist. "Die ersten finanzielle Einschnitte gab es ja schon: Ich wurde mit einem 40 Stunden-Vertrag angestellt, dieser Vertrag wurde schon aufgehoben, auf 35 Stunden." Und wie die Arbeitszeit sank auch das Gehalt: Inklusive Zusatzzahlungen habe er jetzt rund 14 Prozent weniger in der Tasche.
Trotz der bereits spürbaren Einschnitte gehören die Arbeiter in Industriebetrieben nach wie vor zu den besser Bezahlten: Laut Statistischem Bundesamt verdienten Vollzeitbeschäftigten im April 2024 hierzulande durchschnittlich 4.634 Euro brutto. In der Industrie ließen sich überdurchschnittliche Gehälter verdienen: Das monatliche Bruttogehalt lag bei 4.732 Euro im Schnitt. Schlechter bezahlt sind nach wie vor wirtschaftliche Dienstleistungen wie das Gastgewerbe oder im Verkehrssektor. Dort lag der monatliche Bruttoverdienst im April 2024 bei durchschnittlich 4.603 Euro.
Perspektiven hängen von der Branche ab
Verschwinden nun also Zehntausende Jobs in der Industrie, gehen damit vor allem gut bezahlte Jobs verloren, während gleichzeitig entstehende Dienstleistungsjobs das Lohnniveau nur bedingt halten können. "Natürlich: Am höchsten bezahlt sind die Industriejobs. Und das liegt daran, dass sich dort die Produktivität über Jahrzehnte besonders stark entwickelt hat", betont Enzo Weber im Gespräch mit plusminus.
Nun liege die Herausforderung darin, das zu kompensieren: "Wir werden Jobs verlieren, in der Automobilindustrie wird es in Zukunft nicht mehr genauso viel Beschäftigung geben wie heute. Das ist unumstößlich." Gleichzeitig biete die ökologische Transformation die Möglichkeit, an andere Stelle neue Jobs zu schaffen.
Und auch in Dienstleistungsberufen lassen sich gute Gehälter erzielen: Lukas Emmerich profitiert davon, dass die Lufthansa Zuschläge zahlt, zum Beispiel wenn er nachts oder am Wochenende arbeitet. Gute Gehälter und sichere Jobs hängen aktuell also stark von den Branchen ab: Während in der Industrie Arbeitnehmer bangen, sind die Aussichten bei Dienstleistern besser, obwohl die Gehälter geringer sind.