Landwirtschaft Was der Milchpreis mit dem Ölpreis zu tun hat
Wer im Supermarkt Milch kauft, merkt es: Der Preis ist 2024 um fast ein Viertel gestiegen. Das bedeutet auch: Landwirte verdienen damit wieder gutes Geld. Doch der Preis schwankt stark.
In Ottobeuren im Unterallgäu, einer der viehreichsten Gegenden Bayerns, betreibt Manfred Schneider einen konventionellen Milchvieh-Hof mit rund 150 Kühen. Vom Verkauf seiner Milch kann er gut leben, zumindest im Moment. Planbar sind die Einnahmen aber nicht.
Der Milchpreis sei mit seiner Molkerei in der Regel monatlich festgelegt. Je nachdem, wie die Molkerei die Produkte verkaufen konnte, werde am Ende ausgezahlt. Im Moment gibt es gut 50 Cent für den Liter konventionell erzeugter Milch. Das ist, wenn man sich die Preisentwicklung in den vergangenen zehn Jahren ansieht, deutlich im oberen Bereich. 2016 etwa erreichte der Milchpreis einen Tiefpunkt von nur noch knapp über 22 Cent. Gegen Ende 2022, mit einem vorangehenden steilen Anstieg nach Beginn des Ukraine-Kriegs, lag er bei knapp 60 Cent.
Mit der Abrechnung kommt die Überraschung
Man könne sich schon am Vormonat orientieren, aber "dann kommt meistens zur Milchabrechnung die Überraschung: Steigt er oder fällt er oder bleibt er gleich, der Milchpreis?", sagt Schneider. Für viele Bauern wird diese Unwägbarkeit zum Problem: Als Wirtschaftsunternehmen müssen sie knallhart kalkulieren, etwa wenn Kredite abbezahlt werden müssen - für einen neuen Stall oder ein neues Silo. Entscheidungen für solche Investitionen müsse man daher immer auch mit "Bauchgefühl" treffen, sagt der Milchbauer. Denn: "Wenn du heute entscheidest, einen neuen Stall zu bauen, musst du sicher sein, dass du die nächsten 25 Jahre das Ganze bedienen kannst."
Ebenfalls im Unterallgäu, in Bad Grönenbach, hält Siegfried Villing sein Vieh. Er hat vor fünf Jahren auf Bio-Landwirtschaft umgestellt und dafür unter anderem einen neuen Stall gebaut. Er hat mit Blick auf die Entwicklung seiner Einnahmen einen Vorteil: Im Biobereich schwanken die Preise weniger stark. Biomilch und verarbeitete Biomilch-Produkte werden weniger international, dafür mehr regional beziehungsweise national gehandelt und hängen daher weniger am Weltmarktpreis, sagt er.
"Das ist gegenüber der Bank oder wem auch immer eine gewisse Sicherheit, wenn man sagen kann, man hat mit brauchbaren Ergebnissen am Ende des Monats zu kalkulieren", sagt Villing. Der durchschnittliche, deutschlandweite Biomilch-Preis schwankte in den vergangenen zehn Jahren zwischen knapp 47 und knapp 62 Cent, mit deutlich weniger starken Ausschlägen nach oben oder unten als im konventionellen Bereich.
Berg- und Talfahrt der Preise
Laut Thomas Schmidt, Referent für Milcherzeugung beim Bayerischen Bauernverband, schwankt der Milchpreis im Allgemeinen in etwa gleich mit dem Ölpreis. "Im Blick auf die Täler der Milchpreise etwa im Jahr 2016 war nach dem Ölpreishoch der Jahre 2011/2012 ein Frackingboom ausgelöst worden, der zu höheren Fördermengen und zusammen mit Streitigkeiten innerhalb der OPEC zu einem steilen Preisabsturz führte", sagt er. Indirekt habe dies "über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung" dann auch die Milchpreise betroffen.
Das nächste Tal im Milchpreis sei "dann mit der Coronakrise im Jahr 2020 erreicht" worden, "ähnlich wie beim Öl, aber nicht mehr ganz so tief". Zuletzt entkoppele sich die Entwicklung des Milchpreises etwas von der des Ölpreises.
Landwirte wünschen sich mehr Einfluss am Markt
Trotz einer vergleichsweisen Stabilität der Preise für Biomilch wünscht sich Biobauer Siegfried Villing ein stärkeres Gewicht der Landwirte gegenüber dem Handel. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) erklärt dazu auf Anfrage: "Das BMEL setzt sich (...) dafür ein, fairen Wettbewerb mit fairen Preisen im Lebensmittelmarkt zu unterstützen. Dazu gehört auch, das Gefälle in der Lebensmittelkette - viele kleine Erzeuger stehen umsatzstarken Verarbeitungs- und Handelsunternehmen gegenüber - zu schmälern."
Dieses Gefälle besteht auch laut Bauer Villing: "Fakt ist, dass es hier wenige große Konzerne gibt, die den Markt dominieren im Lebensmitteleinzelhandel. Und wenn diese Situation nicht geändert wird, wird das weiterhin ein Problem sein, dass kleinere Molkereien diesen drei oder vier großen Konzernen gegenüberstehen."
Die Macht der Supermarktketten
Den Vorwurf des Preisdumpings weisen die großen Supermarktketten zurück. Von Rewe heißt es auf Anfrage, man wehre sich "gegen den Begriff der ‚Dumpingaktionen‘". Es gebe "keine direkte Verbindung zwischen Verbraucherpreisen und dem Preis, den der Erzeuger erhält". Außerdem sei die "Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel" gut für die Kunden: "Durch den intensiven Wettbewerb gibt es europaweit kaum niedrigere Verbraucherpreise als in Deutschland."
Edeka erklärt außerdem, man habe im Rahmen der Branchen-Initiative Tierwohl (ITW) "seit dem Start im Jahr 2015 dreistellige Millionenbeträge eingezahlt und damit einen wichtigen Beitrag dafür geleistet, dass die teilnehmenden Landwirte ihre Ställe tierwohlgerecht umbauen konnten".
Lidl verweist auf seinen "Anspruch, unseren Kunden hervorragende Qualität, Frische sowie eine große Vielfalt an Produkten des täglichen Bedarfs zum gewohnt günstigen Lidl-Preis anzubieten". Die Preisgestaltung unterliege dabei "einer Vielzahl an Einflüssen". Aldi teilt mit, "dass wir uns zu Preisgestaltungen generell nicht äußern".
Was bringt mehr Stabilität?
Für mehr Preisstabilität auf Seiten der Erzeuger könnte ein Entwurf des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Änderung der Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Verordnung sorgen. Dieser soll Molkereien verpflichten, ihren Lieferanten für mindestens 80 Prozent der gelieferten Milchmenge ein Angebot über einen bestimmten Zeitraum zu machen. Der Milch-Industrie-Verband (MIV) der deutschen Molkereien kritisiert jedoch, eine solche Regelung untergrabe "die Prinzipien der Vertragsfreiheit sowie privatwirtschaftlicher und genossenschaftlicher Autonomie". Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen.
Für Bauer Manfred Schneider aus Ottobeuren ist die Situation im Moment nicht schlecht. Man könne bei der aktuellen Einnahmesituation sogar "Rücklagen bilden" für schlechtere Zeiten, sagt er. Denn wenn morgen früh der Tanklaster die Milch abholt, weiß er, dass er für den Liter einen guten Preis bekommen wird. In einem Monat kann das aber schon wieder ganz anders sein.