Kartenlesegerät mit Trinkgeld-Aufforderung

"Nudging" bei Kartenzahlung Zum Trinkgeldgeben "geschubst"

Stand: 25.01.2025 04:50 Uhr

Kartenlesegeräte, die zu Trinkgeld auffordern, finden immer stärkere Verbreitung. Die Praxis kommt aus den USA - einem Land mit gänzlich anderer Trinkgeldkultur. Ist sowas hierzulande überhaupt gerechtfertigt?

Von Anna Dannecker, BR

"Mit Karte, bitte!" Noch bevor man in einer oberbayerischen Bäckereikette seine Semmeln oder Brezel mit Karte bezahlen kann, leuchtet eine Frage auf: "Möchten Sie ein Trinkgeld geben?" Zur Auswahl stehen in grün entweder fünf oder zehn Prozent Trinkgeld. In der Ecke steht in rot das Wort "nein".

Kundinnen in der Bäckerei reagieren gemischt. "Ich drücke da einfach auf nein, weil - das sehe ich nicht ein", sagt eine. Eine andere Kundin meint: "'Nein' klingt gleich ein bisschen fies, ich gebe dann schon was."

Auch ein Selbstbedienungscafé in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs hat die "automatische Trinkgeldfunktion" am Gerät. Hier zur Auswahl: fünf, zehn oder 15 Prozent Trinkgeld.

Eine Studentin wählt bei ihrem Einkauf die mittlere Option. An der Trinkgeld-Aufforderung hat sie sich bisher noch nie gestört. "Weil ich damit aufgewachsen bin, dass man in Deutschland fünf bis zehn Prozent Trinkgeld gibt", sagt sie. Deswegen finde sie es nicht ungewöhnlich, fast schon folgerichtig, dass sie die Möglichkeit Trinkgeld zu geben nun auch einfach bei der Kartenzahlung hat.

Warum Trinkgeld bei Selbstbedienung?

Doch das geht nicht allen so. Eine ältere Kundin findet die Aufforderung "aufdringlich", weil sie sich ihren Einkauf selbst an der Theke abgeholt hat. "Dann fand ich Trinkgeld nicht notwendig und habe auch keins gegeben", sagt sie.

Für die Geschäftsführerin des Cafés Tanya Naughton ist die Trinkgeldfunktion bei Kartenzahlungen im Durchschnitt aber ein Gewinn. "Die Leute geben dann tatsächlich öfter Trinkgeld!", sagt sie. Das über den Kartenleser gegebene Trinkgeld werde täglich zusammengerechnet und dann - zusammen mit dem Geld aus dem Trinkgeldglas - am Ende der Schicht bar an die Mitarbeitenden ausgezahlt.

In den USA, Australien oder England sei das schon längst üblich. "Deswegen ist es für uns ganz logisch", sagt die Geschäftsführerin. "Gerade weil hierher viele Touristen kommen, die nicht unbedingt Bargeld haben."

 

Die Tendenz zur Mitte

Generell funktioniert die Trinkgeld-Aufforderung also im Sinne der Dienstleister. Vor allem durch die Auswahl der Antwortmöglichkeiten, erklärt Klaus Schmidt, Ökonom an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Die Idee hier ist: Man gibt mehrere Optionen zur Auswahl. Menschen wollen normalerweise nicht die niedrigste wählen, weil man nicht knickrig erscheinen möchte. Man will aber auch nicht unbedingt die höchste wählen, sondern etwas in der Mitte."

Durch entsprechende Auswahl der Antwortmöglichkeiten könne man so die Leute dazu bringen, mehr Trinkgeld zu geben, als sie das sonst vielleicht getan hätten. Vielleicht häufiger zehn statt fünf Prozent. Einfach weil wir eine "Tendenz zur Mitte" haben, so Schmidt.

Eine Frage der sozialen Norm

Der Fachbegriff für diese Form der Beeinflussung lautet "Nudging", erklärt Schmidt, auf deutsch etwa "anstupsen" oder "schubsen". Je nach Situation könne dieses Anstupsen dann als gerechtfertigt oder aufdringlich empfunden werden.

Je nach Typ falle es manchen Menschen auch schwerer als anderen, nicht auf das "Nudging" zu reagieren, so der Ökonom. "Wenn suggeriert wird, dass die soziale Norm besteht, hier Trinkgeld zu geben, dann gibt es einen deutlichen Anteil an Menschen, die das dann machen." Selbst wenn sie eigentlich der Meinung sind, dass an dieser Stelle kein Trinkgeld nötig wäre.

 

In Deutschland gibt es Mindestlohn

Kritisch sieht Schmidt, dass hier eine Entwicklung aus den USA nun auch nach Deutschland kommt. Denn hierzulande gebe es einen gesetzlichen Mindestlohn, und im internationalen Vergleich gäben Deutsche relativ großzügig Trinkgeld. "Die USA haben eine ganz andere Trinkgeldkultur als Deutschland. In den USA werden die Servicekräfte meist sehr schlecht bezahlt, und der überwiegende Teil des Einkommens ist das Trinkgeld."

Dort habe man auch mithilfe des "Nudgings" das Trinkgeld von 15 auf etwa 20 Prozent "geschubst". So ähnlich sei das nun jetzt auch in Deutschland zu beobachten. Obwohl hier eine andere Trinkgeld-Tradition herrsche. "Und das wird möglicherweise durch dieses Instrument geändert", sagt der Ökonom.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 25. Januar 2025 um 05:44 Uhr.