Nach Trumps Begnadigungen Schlägt nun die Stunde der "Proud Boys"?
Kaum im Amt, hat US-Präsident Trump alle Beteiligten am Sturm auf das Kapitol begnadigt oder ihnen die Strafe erlassen. Milizen wie die "Proud Boys" jubeln darüber. Stärkt Trumps Entscheidung die rechtsextreme Szene?
Als US-Präsident Donald Trump die Begnadigungen für die Kapitolstürmer unterschrieb, überraschte das Ausmaß selbst die eigene Partei. Rund 1.500 Begnadigungen oder Strafmaßreduzierungen verfügte Trump zu Beginn seiner zweiten Amtszeit.
Es waren nicht viele Republikaner, die die Entscheidung öffentlich kritisierten, aber der republikanische Senator Lindsay Graham sagte auf CNN, ihm gefalle das nicht.
Unter den Demokraten war der Aufschrei groß. "Wenn Sie im Namen des Präsidenten der Vereinigten Staaten schreckliche Gewalttaten begehen und dieser Präsident dafür sorgt, dass Sie damit davonkommen, dann macht das unser Land unsicherer", warnte der demokratische Senator Chris Murphy.
"Eine klare Botschaft"
Für die Kapitol-Stürmer sind alle strafrechtlichen Konsequenzen vom Tisch. Auch für die Anhänger der rechtsextremen Gruppen "Oath Keeper" und "Proud Boys" - allen voran deren Anführer Enrique Tarrio und Stewart Rhodes, die zu 22 beziehungsweise 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden waren.
Tarrio war am 6. Januar 2021 nicht selbst in Washington. Aufgrund eines Gerichtsurteils durfte er nicht nach Washington reisen. Aber für den Richter war klar, dass er den Angriff der "Proud Boys" auf das Kapitol aus der Ferne leitete.
Die Begnadigungen hätten eine ziemlich klare Botschaft gesendet, sagt Extremismusforscher Jon Lewis, nämlich: "Euer Handeln war in Ordnung." Dadurch dürften sich viele ermutigt fühlen.
Die Verurteilungen hätten die "Oath Keeper" und "Proud Boys" geschwächt, erklärt Lewis, aber die Begnadigungen änderten die Situation. "Das ist eine Chance für diese Gruppen, ihren früheren Status wiederzuerlangen. Wir dürfen nicht vergessen: Das waren zwei der bekanntesten Inlands-Extremistengruppen in den USA", so Lewis.
Viele der Begnadigten hätten ihre Jobs verloren, Freunde hätten sich abgewandt. Ein großer Teil von ihnen habe einen Hass auf die Regierung. "Und wenn sie eine Mainstream-Gesellschaft sehen, von der sie sich im Stich gelassen und abgelehnt fühlen, die sie als inländische Terroristen bezeichnet hat, treibt sie das geradezu in die Arme der 'Proud Boys', von Neonazi-Gruppen oder von extremen Anti-Government-Terroristen."
Gleich nach seiner Haftentlassung sprach Tarrio auf einer Pressekonferenz - und stieß kaum verhüllte Drohungen aus.
"Sie müssen dafür bezahlen"
"Proud Boys"-Chef Tarrio drohte in einem Interview mit dem rechten Online-Portal InfoWars: "Jetzt sind wir dran. Die Leute, die das getan haben, müssen hinter Gitter gebracht werden. Sie müssen für das, was sie getan haben, bezahlen."
In einem anderen Interview schwächte er das ab, sagte, er meine damit nicht Gewalt. Extremismusforscher Lewis gibt darauf nichts. Tarrio müsse nicht explizit sagen, "übt Gewalt aus", damit diese Botschaft sehr deutlich ankomme.
Die Proud Boys glauben, dass nun die Zeit der rechtsextremen Milizen anbricht - hier beobachtet ein Mitglied Tarrio während der Pressekonferenz.
Was, wenn Namen veröffentlicht werden?
Alarmierend für viele ist, dass die Trump-Regierung angeordnet hat, eine Liste mit Informationen zu allen FBI-Mitarbeitern zu erstellen, die an den Ermittlungen gegen Trump und den Ermittlungen zum Sturm auf das Kapitol beteiligt waren.
Groß ist die Sorge nicht nur vor Entlassungen - auf FBI-Führungsebene und auch im Justizministerium wurden bereits unter anderem Staatsanwälte gefeuert -, sondern auch davor, dass die Namen der FBI-Mitarbeiter veröffentlicht werden könnten.
Der ehemalige stellvertretende FBI-Direktor Andrew McCabe sagte auf CNN, diese loyalen Regierungsmitarbeiter, die nur ihren Job gemacht hätten, würden Rache und möglicherweise Gewalt ausgesetzt, wenn man sie den Anhängern des Präsidenten ausliefere, die bereit wären, wer weiß was zu tun, um sich an ihnen zu rächen. Darunter könnten auch die kürzlich begnadigten Angeklagten vom 6. Januar sein, so McCabe.
Stewart Rhodes war zu 18 Jahren Haft verurteilt - nach seiner Freilassung tauchte er auf einer Trump-Veranstaltung auf (hintere Reihe links).
Kapitolstürmer spricht von Justizreform
Extremismusforscher Lewis spricht außerdem von der ganz persönlichen Bedrohungsebene. Es habe eine beträchtliche Zahl von Fällen gegeben, in denen ein Kapitolstürmer aufgrund eines Hinweises eines Kollegen, eines Freundes oder eines Familienmitgliedes verhaftet worden sei. Einige von ihnen hätten auch Zeugenaussagen gemacht.
Auf dieser sehr individuellen Ebene dürfte es eine Menge Leute geben, die sich nach den Begnadigungen in ihrem Alltag weniger sicher fühlten.
Stewart Rhodes war kürzlich zu Gast bei Republikanern im Kapitol, war auch auf einer Veranstaltung von Trump zu sehen. Tarrio hat erklärt, er würde sich gerne mit dem Präsidenten über eine Justizreform austauschen. Eine Einladung ist - bisher zumindest - nicht erfolgt.
Aber wer weiß, was noch kommt. Extremismusforscher Lewis ist mit einer Vorhersage vorsichtig. Es wäre nicht überraschend, wenn Rhodes und Tarrio und wer auch immer sie noch unterstütze, versuchten, sich bei der Regierung beliebt zu machen. "Inwieweit das erwidert wird, ist schwer zu sagen. Das ist die große Frage für die Zukunft", so Lewis.