Waldbrände in Kalifornien "Das ist praktisch nicht zu bekämpfen"
Das größte Problem der Feuerwehrleute in Kalifornien sind die starken Winde, sagt der Waldbrandexperte Ulrich Cimolino im Interview. Die vergleichsweise geringe Anzahl von Todesopfern weise aber darauf hin, dass die Feuerwehr viel richtig mache.
tagesschau24: Was macht die Brandbekämpfung in diesem Fall so schwierig?
Ulrich Cimolino: Das große Problem in der Lage von Los Angeles sind die sogenannten Santa-Ana-Winde. Das sind Winde, die aus dem Bergbereich, also der trockenen, heißen, hohen Umgebung, sehr schnell Richtung Küste blasen, vom Land aufs Meer, und sich dann in den zum Teil engen Canyons auch noch beschleunigen.
Am Mittwoch gab es Windgeschwindigkeiten von um die 160 Kilometer pro Stunde. Das ist unbezähmbar. Inzwischen ist die Lage etwas besser. Die Wettervorhersagen sagen bis maximal 80 Kilometer pro Stunde voraus, die Hälfte der Geschwindigkeit von gestern.
Aber selbst das ist sehr schwierig in der Brandbekämpfung, weil das Feuer dann praktisch waagerecht kommt und über den Funkenflug sehr schnell weitere Feuer entfacht. Entsprechend schnell haben sich die Feuer ausgebreitet.
"Feuerwehr hat ziemlich viel richtig gemacht"
tagesschau24: Wie geht die Feuerwehr in so einem Fall vor, um die Brände unter Kontrolle zu bekommen?
Cimolino: Das oberste Ziel ist immer, Menschenleben zu schützen. Man muss versuchen, die betroffenen Gebiete zu erkennen, abzuschätzen, wo geht das Feuer als nächstes hin? Windtopographie beachten, Vegetation beachten - was wächst da, wo kann man vielleicht einen Riegel aufbauen - was wahrscheinlich bei den innerstädtischen Lagen in den Einfamilienbereichen überhaupt nicht funktioniert.
Dann werden sie versuchen, die Leute zu evakuieren. Man hat gestern im Fernsehen gesehen, wie man das versucht hat. Man hat versucht, die Autoströme zu steuern, was immens schwierig ist, weil der Verkehr dann sehr schnell zusammenbricht. Dann haben Menschen ihre Autos stehen lassen und sind zu Fuß geflüchtet, und die Autos haben die Straßen blockiert.
Es ist eine sehr schwierige Situation für die Feuerwehr. Aber dass es bislang nur fünf Tote in einer sehr dynamischen Lage gegeben hat, ist ein Zeichen dafür, dass die Feuerwehr ziemlich viel richtig gemacht hat.
"Sinnlos, bei den Windgeschwindigkeiten Schneisen zu legen"
tagesschau24: Wir haben auch gehört, dass es Probleme mit der Löschwasserversorgung gibt. Welche Alternativen hat die Feuerwehr in so einem Fall?
Cimolino: Es ist sinnlos, bei den Windgeschwindigkeiten Schneisen zu legen. Die Schneisen würden alle übersprungen. Man kann nur versuchen, vorhandene Straßen oder Kanäle, Flüsse oder Felsbereiche zu nutzen, um das Feuer dort zu stoppen oder zu verlangsamen, was die Amerikaner gerne und oft machen.
Sie bringen aus der Luft Retardants aus, chemische Mittel, die mit Wasser vermischt werden. Das sind diese typischen roten Abwürfe, die man immer wieder beim Einsatz von Löschflugzeugen sieht. Man wirft das vor dem Feuer ab und bremst es an der Stelle ab, weil die Vegetation mit einem Überzug versehen wird und dann nicht so schnell Feuer fängt.
Aber auch das ist bei diesen Windgeschwindigkeiten nicht wirklich erfolgversprechend. Gestern war das alles erfolglos. Und bei den starken Winden von 160 Kilometer pro Stunde ist auch kein Flugzeug mehr geflogen, weil es zu gefährlich ist.
"Scheindiskussion über vermeintlich giftige Chemikalien"
tagesschau24: Spricht außer einem starken Wind irgendwas anderes dagegen, mit solchen Mitteln zu arbeiten?
Cimolino: Es gibt immer die Diskussion, vor allen Dingen in Deutschland, um Umweltschutz, um das Ausbringen von Sachen in die Natur, die da natürlich nicht vorkommen. Ich versuche, es ein bisschen ganzheitlicher zu sehen.
Wenn man ein Feuer hat mit anschließendem Totalverlust der Vegetation, ist nichts mehr da. Und wenn es ein Feuer gibt in Bereichen, in denen totes Holz bis zu drei Meter hoch liegt, ist das wie ein Glutofen. Der Boden ist anschließend wie ein Ziegel verbackt. Die ganze Vegetation, alle Keimlinge, die ganze Tierwelt ist kaputt.
Wenn ich dagegen den Bereich durch den Einsatz von einer Art Schaummittel schützen kann, das die Oberflächenspannung von Wasser reduziert oder durch den Einsatz von Retardants, die meistens verdünnte Natrium-Ammoniumsalze sind, die die Entzündung verzögern sollen, muss ich mir die Frage stellen, ob der Schutz von Umwelt und Natur, auch die Verhinderung von Erosion, nicht wichtiger ist als eine Scheindiskussion über vermeintlich giftige Chemikalien.
Es gibt überall Untersuchungen dazu, die zeigen: Das ist alles harmlos. Es gibt nicht einen Fall, wo es nachgewiesen ist, dass es Schäden gegeben hätte. Da sind wir immer päpstlicher als der Papst, gerade in Deutschland. Wir versuchen gerade in Deutschland eine Diskussion um Sonderlöschmittel in der Natur voranzubringen, aber es ist ein langer Weg.
"Wenn die Holzhäuser in Feuer geraten, reichen ein paar Funken"
tagesschau24: Es ist nicht das erste Mal, dass in dieser Region solche Brände wüten. Welche Umstände sind es außer den Winden, die solche verheerenden Feuer immer wieder möglich machen?
Cimolino: Zwei Bereiche sind da extrem wichtig. Das eine ist die Bauweise. Die US-Amerikaner bauen nach wie vor sehr viel in Holz. Fernsehbilder zeigen, wie komplette Häuser aus Holz in Flammen stehen und dann abbrennen. Man sieht nach Wirbelstürmen, wie von solchen Häusern nur der Kamin stehen bleibt.
Diese Bauweise ist historisch bedingt. Sie geht schneller, ist billiger, die Häuser können mit örtlichem Holz einfach erstellt werden. Und es entspricht auch dem Lebensgefühl der US-Amerikaner. Man sitzt gerne im Holzhaus. Viele alte Bestandshäuser bleiben so erhalten. Wenn die in Feuer geraten, reichen ein paar Funken und das ganze Gebäude brennt. Man muss also über die Bauweise nachdenken.
Außerdem muss man noch stärker darüber nachdenken, wie geht man mit brennbarer Umgebung oder an einem Objekt um? Wie geht man um mit trockenem Laub in Dachrinnen, trockenen Palmwedeln, trockenen Büsche um die Häuser? Die haben da gute Empfehlungen für die Bevölkerung. Aber es halten sich viele nicht dran.
Ich habe bei meinem letzten Besuch dort gesehen, wie viele trockene, abgebrochene Palmwedel in der Umgebung von Einfamilienhäusern liegen, nachdem es Monate nicht geregnet hat. Dann reichen da ein paar Funken, dann brennt der Vorgarten und vom Vorgarten geht es aufs Haus. Sie müssen noch mehr dafür tun, die Empfehlungen der Bevölkerung zu vermitteln.
Das gleiche Problem hatten wir in Deutschland 2018: Da sprang das Feuer auf der Bahnstrecke bei Siegburg von einem Bahndamm auf die Häuser über. Wir müssen alle gemeinsam daran arbeiten, dass das der Bevölkerung besser vermittelt wird.
"Die Amerikaner sind uns weit voraus"
tagesschau24: Gibt es bei dieser Vermittlung in Kalifornien schwere Versäumnisse?
Cimolino: Nein, die Feuerwehr gibt sich größte Mühe. Um die Leute dazu zu bringen, die sehr guten Empfehlungen zu lesen und auch zu befolgen, muss man in die Schulen gehen, ins Fernsehen, aber das machen die alles. Vielleicht müsste es noch intensiviert werden. Ich habe festgestellt, wenn die Feuerwehr in der Gegend herumfährt und bestimmte Sachen wie Rauchmelder erklärt, hat das für einen bestimmten Bereich für einen bestimmten Zeitraum einen Effekt.
Unterlassen sie das wieder, weil es dafür kein Geld oder keine Zeit mehr gibt, lässt der Effekt sofort nach. Das können die US-Amerikaner anhand ihrer Statistiken gut nachvollziehen. Wenn sie also mehr lokal machen würden oder könnten, wofür sie mehr Leute bräuchten, würden bestimmte Sachen besser funktionieren. Aber auch da muss ich sagen: Die Amerikaner sind uns weit voraus und wir weit hinterher.
tagesschau24: Wie ist es um die Ausstattung der Feuerwehr in der Region Los Angeles bestellt, was Personalstärke, Ausrüstung und finanzielle Ausstattung angeht?
Cimolino: Die konkrete Stärke kann ich Ihnen nicht sagen. Im Augenblick sind mehrere tausend Einsatzkräfte aus mehreren Bundesstaaten vor Ort. Los Angeles selber hat sehr gute Vegetationsbrandbekämpfungseinheiten, die super ausgestattet sind, die auch über eigene Flugzeuge und Helikopter verfügen, die auch sehr gut trainiert sind.
Die Amerikaner sind auch sehr gut überregional organisiert. Die haben Stäbe, die in ganz Amerika eingesetzt werden. Die haben 22 Stäbe, die fliegend im Austausch sind. In Deutschland diskutiert man so etwas erst im Ansatz - wir sind auch da weit hinterher.
tagesschau24: Wie viele Tage wird uns das Thema noch beschäftigen, und wie weit wird sich das Feuer möglicherweise noch vorfressen können?
Cimolino: Ich lehne mich mal ein bisschen weit aus dem Fenster: Nach den Wettervorhersagen vermute ich, dass es heute noch mal richtig kritisch wird, aber im Laufe der nächsten Tage die Windstärken abnehmen. Und dann hat die Feuerwehr wieder eine Chance.
Aber bis dahin wird es noch sehr kritisch. Die Amerikaner ziehen jetzt aus mehreren Bundesstaaten Einheiten zusammen, aber das ist eigentlich auch nur Unterstützung und Austausch von erschöpften Kräften. Das ist eine Dimension, das können wir uns gar nicht vorstellen in Deutschland.
Das Gespräch führte Gerrit Derkowski, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht überarbeitet.
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