SOS-Kinderdorf im Gazastreifen Nur noch ein Trümmerhaufen
In einer spektakulären Aktion wurden im März 68 Kinder aus einem SOS-Kinderdorf in Rafah evakuiert. Nach der Waffenruhe konnte die Leiterin nun erstmals nach Rafah zurückkehren. Doch von der Einrichtung ist nichts übriggeblieben.
"Wir haben unser Kinderdorf verloren." Reem Alrequeb schildert in einer Sprachnachricht aus dem Gazastreifen ihre ersten Eindrücke von ihrer Rückkehr nach Rafah, zum ersten Mal nach Monaten.
Nichts stehe mehr, sagt die kommissarische Direktorin des SOS-Kinderdorfes im Gazastreifen. Das Dorf, eigentlich ein Ort für bedürftige Kinder, sei nur noch ein riesiger Trümmerhaufen. Sie fühle sich krank nach diesen Eindrücken, berichtet Alrequeb, viele ihrer Kolleginnen und Kollegen hätten geweint.
Als die Kämpfe dort zu heftig wurden, flüchteten alle Betreuer, Ärzte und Erzieher im März nach Khan Yunis, wo sie seither in einem Zelt- und Hüttenlager untergebracht waren. Doch auch dort seien sie immer wieder in Gefahr geraten, sagt Alrequeb.
Vor einigen Wochen habe es in der Nähe Bombardierungen gegeben - Teile der explodierten Raketen seien im Camp gelandet. Glücklicherweise sei keiner verletzt worden.
Erleichterung nach Waffenruhe
Es sei für die Kinder und das Betreuungspersonal ein Leben in Angst gewesen, viele Monate lang. Gerade die Kinder seien den Grausamkeiten des Krieges unmittelbar ausgesetzt gewesen. Umso größer, berichtet Direktorin Alrequeb, sei die Freude gewesen, als in der vergangenen Woche die Waffenruhe verkündet wurde.
Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich wir über diese Nachricht im Camp waren. Die Kinder waren sehr aufgeregt, haben laut geschrien und geweint. Ohne Angst und Bombardements zu leben, ohne dass man Angst haben muss, seine Lieben und die Familie zu verlieren, ist für alle hier im Camp ein Traum. Die Waffenruhe gibt uns die Möglichkeit, die Verwandten der Kinder zu suchen und sie zusammenzubringen.
In Khan Yunis hat das SOS-Kinderdorf eine notdürftige Bleibe gefunden. Doch der Krieg ist auch hier ganz nah.
Der Wunsch nach Sicherheit
Der Krieg im Gazastreifen hat Tausende Familien auseinandergerissen. Das SOS-Kinderdorf in Gaza, das von der Dachorganisation in Deutschland verwaltet wird, hat viele der verwaisten oder alleinstehenden Kinder aufgenommen. Von der Waffenruhe, die noch fast sechs Wochen gelten soll, erhofft sich Alrequeb, dass mehr Hilfsgüter das Kinderdorf erreichen.
Vor allem aber erhofft sie sich, dass die Kinder ohne Angst leben können: "Was wir am dringendsten brauchen und was wir uns am meisten wünschen, ist Sicherheit."
Hier stand einmal das SOS-Kinderdorf. Von den Gebäuden ist nichts übrig geblieben.
Den Heimatort nicht mehr wiedererkannt
Wie viele andere im Gazastreifen machen sich nun auch Alrequeb und ihre Mitarbeiter im SOS-Kinderdorf in den Tagen der Waffenruhe auf den Weg, um Familienmitglieder zu finden, aber auch um zu sehen, was andernorts noch steht. Wohnungen, Häuser, Geschäfte. Viel wird es nicht sein, darüber macht sich die 36-jährige Palästinenserin keine Illusionen.
Nachdem das israelische Militär ihre Heimatstadt Khan Yunis verlassen hatte, habe sie zum ersten Mal das Ausmaß der Zerstörung gesehen, erzählt sie: "Ich fand den Weg zu meinem Zuhause nicht mehr. Ich erkannte die Stadt nicht mehr."
So sei es ihr auch gegangen, als sie das frühere SOS-Kinderdorf sah, das nun in Schutt und Asche liegt. Und doch hat die Palästinenserin die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es in Rafah irgendwann einen Neuanfang geben könne.
"Vielleicht können wir in Zukunft das Kinderdorf wieder aufbauen", erzählt sie. Dass sich diese Hoffnung erfüllt, ist angesichts der Zerstörung und der Trümmerberge in Rafah nur schwer vorstellbar.