Bewohner des Flüchtlingslagers Nuseirat im Gazastreifen betrachten die Überreste ihrer Häuser, die bei einem israelischen Angriff zerstört wurden.
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Krieg im Gazastreifen Welche Folgen haben die israelischen Angriffe?

Stand: 18.03.2025 21:20 Uhr

Erstmals seit zwei Monaten hat Israel wieder massiv Ziele im Gazastreifen bombardiert. Was bedeutet der Bruch der Waffenruhe für die Friedensbemühungen? Wie reagiert die Hamas? Und warum hat Israel gerade jetzt angegriffen?

Wie ist die Lage im Gazastreifen?

Erstmals seit Beginn einer Waffenruhe vor zwei Monaten hat die israelische Luftwaffe in der Nacht auf Dienstag wieder massiv Ziele im Gazastreifen bombardiert. Mehr als 400 Menschen wurden nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bei den verheerenden Angriffen getötet und Hunderte weitere verletzt. Palästinensische Medien berichteten auch von vielen getöteten Frauen und Minderjährigen.

Palästinensische Zivilisten im Norden und Süden des Gazastreifens, die während der Waffenruhe in ihre Wohngebiete zurückgekehrt waren, wurden von der Armee erneut zur Flucht aufgerufen. Die neuen Bombardements verschärfen die Sorge vor dramatischen Auswirkungen für die im eineinhalbjährigen Krieg bereits schwer geschundene Zivilbevölkerung. 

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, zur Lage im Gazastreifen nach erneuten israelischen Angriffen

tagesthemen, 18.03.2025 22:20 Uhr

Galt nicht eigentlich eine Waffenruhe?

Ja. Die Feuerpause, auf die sich Israel und die militant-islamistische Hamas Mitte Januar unter der Vermittlung von Ägypten, Katar und den USA geeinigt hatten, war Teil eines dreistufigen Plans. Dessen erste Phase endete bereits vor zwei Wochen.

In der ersten Phase übergab die Hamas wie vereinbart 25 lebende Geiseln und die sterblichen Überreste von acht weiteren Geiseln im Austausch für die Freilassung von fast 2.000 palästinensischen Gefangenen. Außerdem zogen sich die israelischen Streitkräfte in Pufferzonen innerhalb des Gazastreifens zurück. Zudem durften Hunderttausende vertriebene Palästinenser in den nördlichen Gazastreifen zurückkehren, wo zuvor besonders heftig gekämpft worden war.

Während der Gespräche über die zweite Phase sollte die Waffenruhe der Vereinbarung zufolge andauern.

Wie liefen die Verhandlungen?

Die Verhandlungen, die einen langfristigen Waffenstillstand, einen vollständigen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen und die Rückgabe aller von der Hamas bei ihrem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 verschleppten Geiseln zum Ziel hatten, kamen nicht voran.

Vor zwei Wochen stellte Israel alle Lieferungen von Lebensmitteln, Medikamenten, Treibstoff, Strom und anderen Gütern an die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens ein, um die Hamas zur Annahme eines neuen Vorschlags zu drängen, der von dem im Januar vereinbarten Drei-Stufen-Plan abweicht.

Dieser neue Plan sah vor, dass die Hamas die Hälfte ihrer verbleibenden Geiseln freilässt im Gegenzug für eine Verlängerung der Waffenruhe und das Versprechen, einen dauerhaften Waffenstillstand auszuhandeln. Die Freilassung weiterer palästinensischer Gefangener - eine Schlüsselkomponente der ersten Phase - wurde von Israel nicht erwähnt. Die Hamas lehnte den neuen Vorschlag ab und beschuldigte Israel, das bestehende Abkommen sabotieren zu wollen.

Ist eine Waffenruhe damit wieder in weite Ferne gerückt?

Wenn die internationalen Vermittler nicht einschreiten, sieht es sehr danach aus. Netanjahu hat bereits eine fortschreitende Steigerung der massiven Angriffe im Gazastreifen angekündigt. "Wir haben den Kampf wieder mit aller Macht aufgenommen", sagte er in einer Videoübertragung. "Von jetzt an werden Verhandlungen nur unter Feuer geführt." Zu den Angriffen der Nacht sagte er: "Dies ist erst der Anfang." Israel werde weiter gegen die islamistische Hamas kämpfen, bis alle Kriegsziele erreicht seien.

Das israelische Militär ordnete außerdem die Räumung östlicher Gebiete des Gazastreifens an, was auf neue Bodeneinsätze im Gazastreifen hindeuten könnte.

Die Hamas warf Netanjahu vor, das Waffenruheabkommen gebrochen zu haben, und forderte die internationalen Vermittler auf, ihn dafür voll verantwortlich zu machen. Issat al-Rischek, Mitglied des politischen Büros der Hamas, sprach von einem "Todesurteil" für die verblieben Geiseln im Gazastreifen.

Wie steht Netanjahu innenpolitisch da?

Netanjahu ist unter enormem Druck. Die eigentlich geplanten Gespräche über die zweite Phase der Waffenruhe, gegen die sich Israel sperrte, hätten möglicherweise zu Kompromissen geführt, die Netanjahu seinen rechtsextremen Bündnispartnern in der fragilen Regierungskoalition nicht hätte verkaufen können. Diese wollen nichts weniger akzeptieren als eine komplette Zerstörung der Hamas.

Der ultrarechte Finanzminister Bezalel Smotrich begrüßte denn auch die Wiederaufnahme der Angriffe. Nach der Militäroffensive traten zudem einige rechtsextreme Politiker Netanjahus Koalition wieder bei. Sie hatten als Bedingung für diesen Schritt das Ende der Waffenruhe gefordert. Darunter befindet sich auch der frühere Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, der nun wieder seinen Posten bekommen soll.

Die Rückkehr dieser Politiker sichert Netanjahu seine Mehrheit bei einer wichtigen Abstimmung über den Haushalt in der kommenden Woche. Andernfalls hätte die Gefahr bestanden, dass die Regierung zerbricht.

In der israelischen Bevölkerung ist der Unmut über Netanjahu allerdings groß. Unter anderem waren große Kundgebungen geplant, um ihn für das Schicksal der nach wie vor festgehaltenen Geiseln verantwortlich zu machen. Auch seine Entscheidung, Ronen Bar, den Direktor des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, zu entlassen, sorgte für Aufregung. Kritiker werfen ihm vor, unabhängige Institutionen in Israel aushöhlen zu wollen, während er gleichzeitig wegen Korruption vor Gericht steht.

Welche Folgen drohen für die Region?

"Das palästinensische Volk wird in diesem Kampf nicht allein gelassen werden", betonte die vom Iran unterstützte Huthi-Miliz im Jemen und stellte damit eine Wiederaufnahme ihrer Angriffe auf Schiffe im Roten Meer und im Golf von Aden in Aussicht, die vor Beginn der Waffenruhe den internationalen Schiffsverkehr beeinträchtigt hatten.

Die USA bombardierten am Wochenende auch Huthi-Ziele. US-Präsident Donald Trump drohte dem Iran, er werde die Konsequenzen tragen, sollten die Huthi ihre Angriffe wieder aufnehmen.

Auch die im vergangenen November geschlossene Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon könnte in Gefahr geraten. Die militant-islamistische Gruppe hatte sich nach Beginn des Gaza-Kriegs monatelange Gefechte mit Israel geliefert.

Mit Informationen von Julio Segador, ARD Tel Aviv

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 18. März 2025 um 22:20 Uhr.