Bilanz der Waffenruhe "Die Hisbollah ist in diesem Krieg besiegt worden"
60 Tage dauerte die Feuerpause zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Militärexperte Assaf Orion erklärt, welche Chancen er jetzt für die Region sieht - und welche Rolle Donald Trump dabei spielt.
tagesschau.de: Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah läuft an diesem Wochenende nach zwei Monaten aus. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Assaf Orion: Tatsächlich war der einzige Angriff der Hisbollah Anfang Dezember ein kleiner mit zwei Raketen oder Mörsern. Währenddessen war Israel sehr aktiv, weitere Verletzungen gegen das Abkommen zu verhindern. Wahrscheinlich wurden seitdem etwa 50 Hisbollah-Mitglieder im Grenzgebiet getötet, dazu Waffendepots und militärische Infrastruktur von ihr zerstört. Aber weitgehend hat die Feuerpause gehalten.
"Hisbollah ist noch in der Region"
tagesschau.de: Israels Armee sollte sich binnen der 60 Tage aus dem Südlibanon zurückziehen und die libanesischen Streitkräfte dort stationiert werden. Zur gleichen Zeit sollte die Hisbollah sich bis hinter den Litani-Fluss zurückziehen. Haben sich die Parteien daran gehalten?
Assaf Orion: Wir wissen, dass die Hisbollah noch in der Region ist. Es gibt unterschiedliche Auslegungen, wie ihr Rückzug aussehen soll. Darf sie ihre Waffen mit sich nehmen? In Israels Interpretation ist das nicht der Fall. Nicht weniger wichtig ist, dass die libanesischen Streitkräfte zu langsam sind, gegen Verletzungen des Abkommens vorzugehen. Die israelische Armee wird nun also in manchen Orten länger bleiben - gegen Hisbollahs Drohungen, dass es, um es mit ihren Worten zu sagen, erneut Widerstand von ihnen geben wird.
tagesschau.de: Was bedeutet das für das Abkommen?
Orion: Israel sagt, es könne seine Streitkräfte nicht zurückziehen ohne die Garantie, dass die Hisbollah nicht zurückkommt. In vielen Fällen versucht die Hisbollah aber, zu ihrem Vorkriegsstatus zurückzukehren. Die 2006 verabschiedete UN-Resolution 1701 (Anm. d. Redaktion: die die Entwaffnung aller Gruppen außer der libanesischen Armee im Süden fordert) hat sie erfolgreich umgangen, indem sie die UN-Friedenstruppen (UNIFIL) eingeschüchtert hat, und die libanesische Armee die Augen verschlossen oder mit ihnen kooperiert hat. Und Israel hat das alles geschehen lassen.
Israel jedoch hat sich am 7. Oktober verändert und wird nicht noch einmal hinnehmen, was es in der Vergangenheit akzeptiert hat. Die Hisbollah muss sich entscheiden, ob sie das akzeptieren oder zum bewaffneten Kampf zurückkehren will.
tagesschau.de: Die Hisbollah ist in einem Jahr Krieg erheblich geschwächt worden. Welche Gefahr geht noch von ihr aus?
Orion: Die Hisbollah ist in diesem Krieg besiegt worden. Sie hat ihre komplette Führung, etwa 4000 Kämpfer verloren und 80 Prozent ihrer Raketenbestände. Das ist eine Organisation, die am Boden liegt, wenn sie auch nicht ganz vernichtet ist. Zurückzukommen wird für sie schwierig werden. Israel war an dieser Front siegreich. Wir müssen jetzt anfangen, die Gemeinschaften im Norden wieder aufzubauen.
Tektonische Verschiebungen
tagesschau.de: Die Hisbollah war im Libanon nicht nur eine Miliz, sondern auch eine starke politische Kraft. Sehen Sie die Chance, dass sich das jetzt ändert?
Orion: Politischer Wandel passiert bereits. Es gibt einen neuen Präsidenten und Premierminister, die nicht die erste Wahl der Hisbollah waren. Die Hisbollah ist nicht mehr in der Position, den ganzen libanesischen Staat als Geisel zu halten. Sie hat auch ihr syrisches Hinterland und Assad als Unterstützer verloren. Irans Einfluss ist ebenfalls stark geschwächt. Saudi-Arabien scheint wieder ein Faktor zu sein.
Ich denke, wir sehen in Folge dieses Kriegs tektonische Verschiebungen in der Region. Der Schaden im Libanon begrenzt sich größtenteils auf die schiitischen Gebiete, wo die Hisbollah militärisch operiert hat. Wir haben also das Potenzial für Wandel. Ist es eine Garantie? Natürlich nicht. Es wird ein langer Weg für die Libanesen.
"Komplette Führung verloren": Auch Hisbollah-Chef Nasrallah wurde von Israel im Krieg getötet.
tagesschau.de: Das Abkommen nach dem letzten Libanonkrieg 2006 hat die Grenze nicht nachhaltig befrieden können. Was lässt sich aus dem Scheitern von damals lernen?
Orion: Die Hisbollah konnte sich damals südlich des Litani und im ganzen Libanon wiederbewaffnen. Weil die libanesische Regierung unfähig, unwillig und uninteressiert war, die Vereinbarung umzusetzen. Das komplette Versagen des Abkommens haben wir dann seit dem 8. Oktober gesehen. Wir müssen diesmal wirklich das Wiedererstarken der Hisbollah verhindern - zuerst dadurch, dass Libanons Regierung nach eigener Souveränität strebt.
tagesschau.de: Welche Rolle wird UNIFIL, den UN-Friedenstruppen im Libanon zukommen?
Orion: Bei einem Besuch des UN-Generalsekretärs zuletzt hieß es, UNIFIL habe über hundert illegale Waffendepots und andere militärische Plätze der Hisbollah ausgehoben. Wie kann es sein, dass sie hundert solcher Plätze in zwei Monaten finden, während sie zuvor 18 Jahre lang nicht dazu in der Lage war? Wir müssen uns fragen, ob sie nach israelischen Informationen gehandelt haben, mit neuer Autorität oder Unterstützung der Armee, oder ob sie einen politischen Willen gefunden haben, der vorher nicht da war.
Dann stellt sich die Frage, was mit den konfiszierten Waffen passiert. Werden sie sicher zerstört? Kommen sie in ein Waffendepot, wo unklar ist, was damit passiert? Oder bekommt die Hisbollah sie zurück, so wie es vor dem Krieg üblich war? Das ist ein heikler Punkt. Ein anderer ist die Rolle der USA. Ich denke, sie werden der Schlüssel für die weitere Entwicklung sein.
Welchen Einfluss hat US-Präsident Trump?
tagesschau.de: Donald Trump ist in den USA nun wieder Präsident. Er hat in den vergangenen Wochen immer wieder über seine Pläne mit der Region gesprochen.
Orion: Wir haben alle seine Antrittsrede gehört, in der er von sich als Friedensstifter gesprochen hat: der Kriege beendet und keine neuen anfängt, der Frieden durch Stärke bringt. Ich denke, die erste Folge davon war die Feuerpause in Gaza. Viele würden zustimmen, dass sie nicht ohne seinen Druck auf Premier Benjamin Netanjahu zustande gekommen wäre. Das war ein sehr wichtiger Schritt.
Die Frage wird sein, ob diese Waffenruhe hält. Innerhalb Israels ist immer noch politischer Druck da, und taktische Manöver können immer auch schiefgehen. Aber es liegt auch ein großes Versprechen darin, wenn Trump über die Ausweitung der Abraham Accords spricht.
Viele Fragen: UN-Friedenstruppen im Libanon
tagesschau.de: … einem Abkommen zur Zusammenarbeit in der Region, das bislang Israel, Bahrein, Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate und Sudan unterzeichnet haben. Nun wird auch der Beitritt Saudi-Arabiens diskutiert.
Orion: Saudi-Arabien ist einer der wichtigsten Player im Nahen Osten, hat aber seinen Beitritt zum Abkommen an klare Verbesserungen für die Palästinenser geknüpft. Das heißt, der Krieg in Gaza muss ein Ende finden und es muss ein Bekenntnis zu einer politischen Lösung für die Zukunft der Palästinenser geben. Ich denke, das alles tritt ein, wenn die Hamas nicht mehr an der Macht ist.
Außerdem muss Iran von der Produktion nuklearer Waffen abgehalten werden, ebenso vom Wiederaufbau seines Stellvertreterunternehmens mit den Huthi, irakischen Milizen und anderen Elementen. Die Unterstützung der USA ist für Israels Sicherheit also lebensnotwendig. Trumps Amtseinführung und der Gaza-Deal haben die Schleusentore für viele Dinge in der Region geöffnet, die ins Stocken geraten waren.
Das Gespräch führte Anne Armbrecht, Tel Aviv