Krieg im Gazastreifen Der lange Weg zum Geisel-Deal
Vor mehr als einem Jahr griff die Hamas Israel an. Terroristen verschleppten Hunderte Menschen. Nun sollen einige Geiseln im Rahmen eines Abkommens freikommen. Bis dahin war es ein weiter Weg. Eine Chronologie.
7. Oktober 2023. Der Tag beginnt mit Sirenengeheul. Raketenalarm. Die Terrororganisation Hamas und andere militante Palästinenser überfallen an diesem Morgen Israel. Sie ermorden in den Ortschaften an der Grenze zum Gazastreifen mehr als 1.200 Menschen. Sie vergewaltigen, plündern, brennen Häuser nieder. Und sie verschleppen etwa 250 Geiseln nach Gaza.
Israel reagiert noch am selben Tag mit Luftangriffen auf den Gazastreifen und beginnt mit der Mobilisierung von Reservisten. Die Kämpfe und Bombardierungen werden in den kommenden Monaten nach palästinensischen Angaben mehr als 45.000 Palästinenser das Leben kosten, mehr als 100.000 werden verletzt.
Neben der Zerschlagung der Hamas ruft Israel die Befreiung der Geiseln als eines seiner Kriegsziele aus.
Vermittler ringen um ein Abkommen
Ende November 2023. Israel stimmt unter internationaler Vermittlung einer mehrtägigen Waffenruhe und der Freilassung von 240 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen zu. Im Austausch kommen 105 Geiseln aus der Gewalt der Terroristen frei.
Israels Premier Benjamin Netanjahu wendet sich an die Bevölkerung: "Wir haben einen Teil unserer Kinder, Mütter und Frauen zurückgeholt", sagt er. "Aber ich versichere Ihnen, den Familien, den Bürgern Israels: Wir sind fest entschlossen, alle unsere Entführten zurückzuholen."
Nach der kurzen Atempause geht der Krieg in Gaza weiter - und auch die Gespräche um ein neues Abkommen. Unterhändler aus den USA, Ägypten und Katar versuchen, zwischen Israel und Hamas zu vermitteln. Immer wieder scheint ein Abkommen nah. Zustande kommt es aber nicht.
Angehörige demonstrieren jede Woche
Mitte Dezember 2023. Bei Kämpfen im Norden des Gazastreifens erschießen israelische Soldaten versehentlich drei Geiseln. Der Schock in Israel ist groß.
Woche für Woche drängen Menschen in den Städten auf die Straßen, protestieren lautstark für einen neuen Deal. Plakate mit Namen und Gesichtern der Entführten hängen überall. Die Geiselangehörigen und ihre Unterstützer fordern "Bring them Home now!" - Holt sie jetzt nach Hause.
Und sie kritisieren zunehmend die Regierung, weil kein Deal zustande kommt. Sie werfen Netanjahu vor, die Gespräche mit immer neuen Forderungen zu torpedieren - um sein eigenes politisches Überleben zu sichern und der Frage nach der Zukunft des Gazastreifens aus dem Weg zu gehen. Denn seine ultrarechten Partner um Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir drohen mit einem Scheitern der Koalition, sollte es ein erneutes Abkommen mit der Hamas geben.
Bidens Plan geht nicht auf
Unterdessen rückt die israelische Armee in weite Teile des dicht besiedelten Gazastreifens vor. Erst im Norden, später auch in der südlich gelegenen Stadt Rafah. Es gibt massive Luftangriffe und viel zu wenig humanitäre Hilfe. Fast die gesamte Bevölkerung des Küstenstreifens ist auf der Flucht.
Mai 2024. Israel übernimmt die Kontrolle über den sogenannten Philadelphi-Korridor, eine entmilitarisierte Zone entlang der Grenze zu Ägypten. Dies wird zu einem weiteren Streitpunkt in den Verhandlungen: Israel will dort auch nach dem Krieg die Kontrolle behalten. Die Hamas lehnt das ab.
Ebenfalls im Mai macht US-Präsident Joe Biden einen israelischen Vorschlag für einen Geisel-Deal öffentlich: Auf eine sechswöchige Feuerpause soll ein dauerhafter Waffenstillstand folgen. Und schließlich der Wiederaufbau des Gazastreifens. "Es ist Zeit, dass dieser Krieg endet", sagt Biden. "Und dass der 'Tag danach' beginnt."
Der Plan kommt nicht zustande.
Nur wenige werden befreit
8. Juni 2024. Israels Armee gelingt es, in einer groß angelegten Operation vier Geiseln aus Nuseirat im Zentrum des Gazastreifens zu befreien. Die Frau und drei Männer waren am 7. Oktober von dem Nova-Musikfestival bei Re'im entführt worden. Bei der Militäraktion kommen nach palästinensischen Angaben mehr als 200 Menschen ums Leben. Überprüfen lässt sich die Zahl nicht. Doch der Druck auf Israels Regierung steigt weiter.
Insgesamt kann Israel während des Kriegs militärisch nur wenige Geiseln lebend befreien. Weitere werden aus dem Gazastreifen tot geborgen.
20. August 2024. Während eines Einsatzes in Chan Yunis entdecken israelische Soldaten die Leichen von sechs Verschleppten.
Es kommt Bewegung in die Gespräche
1. September 2024. Bei Rafah bergen israelische Soldaten erneut die Leichen von sechs Entführten. Nach israelischen Angaben sollen die Männer und Frauen kurz vor dem Eintreffen der Armee noch am Leben gewesen sein.
In Tel Aviv und anderen Städten demonstrieren Zehntausende für ein Abkommen, um die verbleibenden Geiseln nach Hause zu holen. Noch immer werden etwa 100 im Gazastreifen gefangen gehalten. Wie viele von ihnen noch am Leben sind, ist jedoch unklar.
16. Oktober 2024. Hamas-Chef Jihia Sinwar wird von Israels Armee bei Rafah durch einen Kopfschuss getötet. Der Tod des Drahtziehers des Massakers vom 7. Oktober macht in Israel vielen Menschen Hoffnung, dass ein Deal nach Monaten stockender Verhandlungen nun doch möglich ist.
In den folgenden Wochen scheint in die Gespräche tatsächlich Bewegung zu kommen. Es gibt Treffen mit Vermittlern in Doha und Kairo.
Einigung auf Abkommen
Die Hamas ist nach den andauernden Kämpfen zunehmend geschwächt. Ebenso wie der große Unterstützer Iran, nachdem in Syrien auch noch das Assad-Regime gestürzt wurde - und die verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon einer Waffenruhe mit Israel zugestimmt hat.
Im Januar häufen sich Meldungen über einen bevorstehenden Durchbruch bei den Verhandlungen - mehr als ein Jahr nach der letzten Einigung.
Am 15. Januar 2025 berichten mehrere Medien, dass sich Israel und die Hamas auf ein Abkommen geeinigt haben. In der ersten Phase einer Waffenruhe sollen demnach innerhalb von sechs Wochen 33 israelische Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge freikommen. Währenddessen soll über weitere Phasen und die Freilassung weiterer Geiseln verhandelt werden.
Nach israelischen Angaben werden zu diesem Zeitpunkt noch 98 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Wie viele von ihnen noch leben, ist unklar.