Palästinenser versammeln sich in Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen, um Hilfsgüter zu erhalten.

Katastrophale Lage in Gaza "Es ist sicher, dass sie uns vergessen haben"

Stand: 19.06.2025 13:49 Uhr

Während sich alle Blicke auf den Krieg zwischen Israel und dem Iran richten, gerät der Gazastreifen in Vergessenheit. Doch die humanitäre Lage bleibt dramatisch. Und die Menschen fühlen sich von der Welt im Stich gelassen.

Während die Welt auf diesen neuen Krieg schaut, auf die Raketen und Drohnen, die auf Israel abgefeuert werden und die schweren israelischen Luftangriffe im Iran, ist das, was im Gazastreifen passiert, fast in Vergessenheit geraten. Darauf weisen unter anderem auch israelische Menschenrechtsorganisationen hin.

Shai Parnes, Sprecher der israelischen Nichtregierungsorganisation B'Tselem, sagt gegenüber dem ARD-Studio Tel Aviv: "Israel nutzt es aus, dass die gesamte Welt auf den neuen Krieg zwischen Israel und Iran schaut und dass sich die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit auf die Front verlagert hat. Nur um die Kriegsverbrechen fortzusetzen, die Israel an den Menschen in Gaza begeht."

Weiterhin Geiseln im Gazastreifen

Auch Vicky Cohen, ebenfalls Israelin, hält es für einen Skandal, dass der Krieg in Gaza weitergeht. Schon seit über 620 Tagen ist ihr Sohn Nimrod nicht bei ihr. Er war als Soldat auf einem Panzer, als ihn Terroristen am 7. Oktober 2023 aus dem Gazastreifen verschleppt haben. Damals war er 19, im Juli wird er 21 Jahre alt. Seine Mutter hofft, dass er noch am Leben ist: "Der andauernde Krieg riskiert das Leben meines Sohnes Nimrod und anderer Geiseln." Für beide Seiten wäre es besser, diesen Alptraum zu beenden, findet Cohen.

53 Geiseln des 7. Oktober sind noch im Gazastreifen, davon noch rund 20 lebende - auch sie sind in Vergessenheit geraten, sagt Vicky Cohen.

Tote, Verletzte und Hungernde

Ganz zu schweigen von der humanitären Lage - den vielen Toten und Verletzten, den Hungernden im Gazastreifen. Mehr als 300 Tote gab es nach palästinensischen Angaben bereits seit Freitag, als der Krieg zwischen Israel und dem Iran begann.

Mohammed Abu Silmiyah hat damit jeden Tag zu tun. Er ist der Direktor des Al-Schifa-Krankenhauses, das die israelische Armee mehrmals angegriffen hat, weil von dort aus Terroristen operiert haben sollen. Täglich gebe es Tote und Verletzte, berichtet der Direktor einem ARD-Team. "Und die Welt bekommt das nicht mit - als ob der Krieg in Gaza vorbei wäre. Man muss sich daran erinnern, dass der Krieg weiter geht, der Genozid und das Aushungern des Gazastreifens."

Menschen müssen wieder fliehen

Auch in den letzten Tagen mussten Menschen in Gaza weitere Gebiete verlassen. Die Bevölkerung soll offenbar in kleinen Bereichen konzentriert werden. Nur dort soll es dann Hilfsgüter geben. Fast 700 Lkw-Ladungen sind in den letzten sechs Tagen nach Gaza gekommen. Vor dem 7. Oktober waren es rund 500 Lkw - an einem Tag.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass Israel nicht die humanitäre Lage in Gaza im Blick hat, sondern nur seine Kriegsziele. Hunger werde als Kriegswaffe eingesetzt, so lautet der Vorwurf. An den wenigen Verteilstellen gibt es immer wieder Schießereien, Massenpaniken, Tote - wenn verzweifelte Menschen versuchen, an etwas Essen zu kommen.

Menschen versammeln sich, um Mahlzeiten von einer Wohltätigkeitsküche in Rafah zu erhalten.

Seit dem 7. Oktober 2023 kommt nur noch ein Bruchteil der Hilfslieferungen im Gazastreifen an.

Besonders wenig Hilfslieferungen im Norden

Im Norden, wo Sahad Ahmad lebt, kommt besonders wenig Hilfe an. Ihr Mann und ihre Brüder sind tot. "Es ist sicher, dass sie uns vergessen haben, angesichts des Kriegs zwischen Israel und dem Iran. Alle schauen nun dorthin, um uns kümmern sie sich nicht." Sie fordere alle Länder auf, Mitgefühl zu haben, denn der Krieg sei noch heftiger geworden.

Abu Ahmad Shamala war mal ein Bauer, doch sein Land gibt es nicht mehr, sein Haus wurde zerstört: "Dieser Krieg zwischen dem Iran und Israel hat die Welt vergessen lassen, was hier passiert. Trotz der täglichen Toten, den Tausenden Verletzten. Niemand schaut hier hin. Es scheint, sie haben Gaza vergessen."

Israel jedenfalls hat den Gazastreifen nicht vergessen. Soldaten rücken dort weiter vor. Jeden Tag gibt es Angriffe und weitere Tote. Die humanitäre Lage dort ist eine einzige Katastrophe.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Juni 2025 um 05:40 Uhr.