Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen Mangelhafte Betreuung
Die Betreuung von Geflüchteten mit psychischen Störungen ist mangelhaft, sagen Experten. Psychosoziale Zentren können die große Nachfrage nicht bedienen und nicht jeder Geflüchtete hat Anspruch auf Kassenleistungen.
Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Suizid-Gedanken: Ein beachtlicher Anteil der Menschen, die Claudia Kruse Tag für Tag zusammen mit zwei Kolleginnen betreut, ist psychisch krank. Kruse ist Integrationsbeauftragte in der Gemeinde Odenthal bei Bergisch Gladbach. Rund 570 Geflüchtete leben hier, etwa ein Viertel von ihnen hat psychische Probleme, schätzt Kruse. Doch für sie akut Hilfe, eine Therapie zu bekommen, sei nahezu unmöglich. Wartezeiten für psychotherapeutische Behandlungen seien in Deutschland generell sehr lang.
Und längst nicht jeder Geflüchtete hat überhaupt Anspruch. "Asylbewerber haben einen sehr erschwerten Zugang zu Gesundheitsleistungen. Weil das Asylbewerberleistungsgesetz nur eine Akutversorgung vorsieht, nicht die Heilung einer Krankheit. Im vergangenen Jahr ist die Zeit, die man sich in Deutschland aufgehalten haben muss, bevor man Leistungen aus der Kassenversorgung erhält, auch nochmals erhöht worden. Von 18 auf 36 Monate", sagt Kruse.
Claudia Kruse ist Integrationsbeauftragte in der Gemeinde Odenthal.
Überlastete Versorgungszentren
Hilfe können Asylbewerber mit psychischen Störungen in den psychosozialen Zentren für Geflüchtete bekommen - theoretisch. Denn die sind unterfinanziert und überlastet, sagt Erik Leidgens. Er sitzt im Vorstand der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) und leitet die Medizinische Flüchtlingshilfe in Bochum.
"Wir bekommen in Bochum jeden Monat Dutzende Anfragen. Wir müssen mindestens ein Drittel davon absagen und woanders hin verweisen, leider auch in dem Wissen, dass sie oftmals wahrscheinlich keine ausreichende Versorgung woanders finden werden." Dabei handele es sich auch um schwerst traumatisierte Menschen, die zum Beispiel Gewalt erlebt haben oder vergewaltigt wurden. Doch statt das Angebot in Deutschland auszuweiten, stünden wieder finanzielle Kürzungen an, sagt Leidgens.
Etwa 30 Prozent der Geflüchteten psychisch krank
Laut einer Auswertung der BAfF sind etwa 30 Prozent der Geflüchteten in Deutschland psychisch krank. Es sind Ergebnisse, die sich in etwa mit Studien-Ergebnissen von Frank Neuner decken. Neuner ist Professor für klinische Psychologie an der Universität Bielefeld und hat für mehrere Studien stichprobenartig Geflüchtete in Erstaufnahme-Einrichtungen befragt. Er diagnostizierte bei etwa 40 Prozent eine psychische Störungen. In der Gesamtbevölkerung liege der Anteil bei 25 Prozent.
Frank Neuner ist Professor für klinische Psychologie an der Universität Bielefeld.
Das Problem, so Neuner: "Viele Geflüchteten befinden sich in krisenhaften Zuständen und es wird nicht erkannt. Wir haben bei unserer Befragung bei sechs bis sieben Prozent einen akuten Behandlungsbedarf festgestellt. Aber nur weil das zufälligerweise von uns erkannt wurde." Denn standardisierte Screenings, die Aufschluss geben über die psychische Verfassung von Geflüchteten, gibt es nicht. Weder in den Erstaufnahmeeinrichtungen noch in den Flüchtlingsheimen.
Mehr Dolmetscher und standardisierte Screenings
Das bestätigt Claudia Kruse, Integrationsbeauftragte aus Odenthal. "Es finden Gespräche statt bei der Aufnahme und auch in Terminen danach. Allerdings sind wir alle nicht entsprechend ausgebildet, um eine psychische Erkrankung festzustellen, die sich eventuell auch erst im späteren Verlauf deutlicher zeigt."
Frank Neuner ist überzeugt, dass sich das leicht ändern ließe. Durch Fortbildungen und standardisierte, kurze Fragebögen. Gleichzeitig bräuchte es aber auch mehr Dolmetscher, um bei Geflüchteten überhaupt eine psychotherapeutische Behandlung durchführen zu können. Denn auch Sprachbarrieren seien ein Grund, so Neuner, warum derzeit nur ein verschwindend geringer Prozentteil der Geflüchteten mit psychischen Störungen überhaupt behandelt wird.