Parteitag in Riesa Der neue Tonfall der AfD
Ein Wahlprogramm, eine neue Jugendorganisation - und eine Rede der Kanzlerkandidatin, die von vielen als Richtungswechsel gedeutet wird. Die AfD hat auf ihrem Parteitag in Riesa keinen Hehl aus ihren Absichten gemacht.
Alice Weidel steht auf der Bühne, blauer Hintergrund, umgeben von 16 Deutschland-Fahnen. Sie breitet die Arme aus, schaut in die Menge, diese verstummt. "Schwarz-rot-gold, liebe Freunde. Schwarz-rot-gold", sagt sie. Mehr nicht. Die AfD-Mitglieder jubeln. Es ist ein Auftritt, so raumgreifend, wie man ihn bisher noch nicht von ihr gesehen hat.
Kanzlerkandidatin per Akklamation
Kurz zuvor war sie offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt worden, eine Sache von nur wenigen Minuten. AfD-Co-Chef Tino Chrupalla stellte sie in einer Rede vor, betonte, dass er ihr den Rücken freihalte, dass er gerne in den Hintergrund trete für ihren Erfolg, für den Erfolg der AfD. Es gibt keine Gegenkandidaten, gewählt wird per Akklamation: Wer gegen Weidel ist, soll aufstehen. Alle bleiben sitzen. Keine geheime Wahl also - vielleicht wollten die Organisatoren keine Zustimmung unter 100 Prozent sehen, wird selbst unter Parteimitgliedern spekuliert.
Denn die AfD-Chefin wird innerhalb ihrer Partei bewundert wie gefürchtet: Sicherlich stehen die meisten unverrückbar hinter ihr, aber manche sind auch immer wieder vor den Kopf gestoßen durch ihren oft als dominant beschriebenen Führungsstil. Dennoch, die Inszenierung sitzt: Als Weidel die Bühne betritt, schwenken die Menschen AfD-Fähnchen in blau-rot und Schilder, auf denen "Kanzlerin der Herzen" steht. Es wird gejubelt und geklatscht - und dann holt die Kanzlerkandidatin zu einer Rede aus, die danach von manchen Beobachtern als Richtungswechsel gedeutet wird.
Ein neuer Sound
Die Rede von Weidel nach ihrer Kür: Hart in der Wortwahl, klar in den Absichten. Windräder im hessischen Reinhardswald? "Nieder mit diesen Windmühlen der Schande!". Grenzen? "Dicht!" EU? "Austritt aus dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem!". Gender Studies? "Schaffen wir ab und schmeißen diese Professoren raus!". Migranten? Sollen konsequent abgeschoben werden, wenn sie kein Bleiberecht haben. Und dann fällt der Begriff, den Weidel bisher eher gemieden hatte: "Und wenn das dann Remigration heißt, dann heißt das eben Remigration!"
Der Ton von Weidel: Wie immer schneidend, ihre Gestik ausladend. Der Sound wirkt dennoch neu, hatte die Parteichefin doch bisher eher versucht, die Anschlussfähigkeit der AfD zu wahren. Was hilft es, Kanzlerkandidatin einer Partei zu sein, mit der niemand zusammenarbeiten will?
Der Gegner: CDU
Doch an diesem Tag versucht sich Weidel gar nicht erst in Zurückhaltung. Der Gegner? Ganz klar die CDU, "Betrüger-Partei" nennt Weidel sie. Nachdem die AfD jahrelang vor allem Stimmung gegen die Grünen gemacht hat, vollzog sich dieser politische Kurswechsel nach Bruch der Ampel innerhalb weniger Tage. Kaum jemand, auch nicht Weidel, spricht bei diesem Parteitag über Baerbock oder Habeck, es geht fast ausschließlich gegen die CDU, gegen Friedrich Merz.
Die CDU, die Anträge der AfD kopiert, Ziele aus dem AfD-Wahlprogramm übernimmt und Forderungen nun selbst aufstellt, für die sie AfD unlängst an den Pranger stellen wollte wie etwa die Rückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen. Als Weidel ihre Rede beendet, ruft das Publikum "Alice für Deutschland" - es ist nur eine kleine Verschiebung in der Betonung zur verbotenen SA-Losung "Alles für Deutschland", für deren Nutzung Björn Höcke im vergangenen Jahr zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.
"Remigration" nun im Wahlprogramm
Die Deutungshoheit über den Begriff "Remigration" beschäftigt die AfD ebenfalls auf diesem Parteitag. Vor ziemlich genau einem Jahr waren in Deutschland Hunderttausende auf den Straßen, um gegen das "Remigrations"-Konzept zu demonstrieren. In extrem rechten bis rechtsextremen Kreisen ist damit die massenhafte Abschiebung nicht nur von abgelehnten Asylbewerbern, sondern auch von Deutschen mit Migrationshintergrund gemeint.
Seitdem hat die AfD den Begriff erst weit von sich gewiesen, dann mit stolzem Trotz an sich gezogen und umzudeuten versucht. Dennoch tauchte er im ersten Entwurf des Programms für die Bundestagswahl 2025 nicht auf.
Erst in Riesa ändert sich das: Ein Antragssteller begründet, dass die AfD mit dem Begriff "große Erfolge gefeiert" habe und weiter: "Wir waren überrascht, dass dieser Begriff im Leitantrag nicht vorgekommen ist." Die AfD dürfe sich "von außen nicht vorgeben lassen, was wir unter diesem Begriff zu verstehen haben".
Die Delegierten folgen dem Antrag, er steht nun im Wahlprogramm, inklusive Definition: "Remigration" bedeute für die AfD die konsequente Abschiebung Ausreisepflichtiger, die Rückführung von Geflüchteten, wenn der Fluchtgrund im Heimatland entfalle - etwa von Syrern, sowie die Rückführung von Straftätern, Gefährdern und Menschen, die "ausländische Konflikte auf deutschem Boden" austragen.
Paradebeispiel für die Diskursverschiebung
Der Vorgang ist ein Paradebeispiel für die Diskursverschiebung, die die AfD seit ihrem Bestehen vorantreibt: Sie weicht Begriffe wie "rechts", "rechtsextrem" und nun auch "Remigration" auf und nimmt ihnen gezielt die Schärfe, deutet sie um, wirft politischen Gegnern oder unliebsamen Medien eine Hysterie vor, mit der die Partei doch gar nichts am Hut habe, so radikal habe man das doch alles nicht gemeint.
Eine Taktik, die funktioniert, die Partei ist mittlerweile zweitstärkste Kraft im Land. Für ihr Wahlprogramm legt die AfD außerdem fest: Wiedereinführung der Wehrpflicht, Wiedereinstieg in die Kernkraft, Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, bessere Beziehungen zu China und den USA, Senkung der Einkommenssteuer, Kopftuchverbot, Abschaffung des Bürgergelds.
AfD trennt sich von Jugendorganisation
Ein großes Thema war auch die Zukunft der bisherigen AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, die vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird. Das Problem aus Sicht der Partei: Die JA war nicht an die Partei angegliedert, sondern ein eigenständiger Verein. Das bedeutet: Schlägt ein JA-Mitglied über die Stränge, fällt das auf die Partei zurück, die aber gleichzeitig keinerlei Einflussmöglichkeit auf den ihr nicht zugehörigen Verein hat. Solche Anlässe gab es in der Vergangenheit öfter.
Der AfD-Bundesvorstand beantragte deswegen, dass künftig jedes Mitglied der Jugendorganisation auch Mitglied der Partei sein muss. Das hätte den Effekt, dass die AfD über ihr parteieigenes Schiedsgericht bei Verfehlungen Disziplinarmöglichkeiten hätte, beispielsweise Mitglieder rauswerfen könnte.
Neue Jugendorganisation soll kommen
Der Antrag geht allerdings noch weiter: In letzter Konsequenz bedeutet er, dass die AfD sich komplett von der Jungen Alternative trennt und eine neue Jugendorganisation gründen will. Entsprechend groß ist die Diskussion darum, der JA droht neben der finanziellen Zuwendung durch die Partei auch deren Strahlkraft auf eine junge Zielgruppe zu entgehen. Am Ende wird dem Antrag des AfD-Bundesvorstands mit großer Mehrheit zugestimmt. Neu gegründet werden soll also eine der Partei zugehörige Jugendorganisation, der Name "Patriotische Jugend" steht im Raum.
Chrupalla freut sich nach dem Votum: "Ich denke, dass nach fast zwölf" Jahren Partei auch eine Jugendorganisation am Start sein sollte, die professioneller agiert. Das sind unsere Nachfolger in unseren Ämtern, und da sollte die Partei einen Einfluss haben." Das Gründungsdatum der neuen Organisation steht schon fest: der erste April.