Atom-Untersuchungsausschuss Scholz verteidigt den Ausstieg - und sein Machtwort
Tagsüber wurde Wirtschaftsminister Habeck neun Stunden lang vom U-Ausschuss zum Atomausstieg befragt, am Abend dann Kanzler Scholz. Der verteidigte sowohl den Atomausstieg selbst als auch das Machtwort, das er 2022 sprechen musste.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat vor dem Atom-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Entscheidung vom Herbst 2022 verteidigt, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke lediglich etwas länger als geplant am Netz zu lassen - trotz der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energieprobleme. Der Ausstieg aus der Atomkraft sei richtig gewesen, sagte der SPD-Politiker. Eine mehrjährige Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wäre "gegen den Konsens" aus den Vorjahren und der vorherigen Bundesregierungen - die von der Union angeführt wurden - gewesen, betonte der Kanzler.
Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs waren Forderungen laut geworden, die drei noch verbliebenen Kernkraftwerke über das Jahresende 2022 hinaus am Netz zu lassen - oder den Atomausstieg sogar rückgängig zu machen. Scholz sagte dazu vor dem U-Ausschuss, er sei im Oktober 2022 nach einer Schalte mit den Betreibern von Atomkraftwerken und den beiden Ministern für Finanzen und Wirtschaft zu dem Schluss gekommen, dass es die "sinnvollste Lösung" sei, die Atomkraftwerke im sogenannten Streckbetrieb noch bis Mitte April 2023 laufen zu lassen. Eine Bestückung der AKW mit neuen Brennstäben, wie sie etwa aus der FDP gefordert wurde, wäre "eine Entscheidung für einen längerfristigen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke" gewesen. Dies habe er damals nicht befürwortet.
Die letzten drei Atomkraftwerke liefen damit ein paar Monate länger als ursprünglich geplant - der Atomausstieg verschob sich vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023.
Union, AfD und FDP bezweifeln ergebnisoffene Prüfung
"Mein Ziel war, die Sicherheit der Energieversorgung unter allen Umständen zu gewährleisten", sagte Scholz. Deshalb sei es sowohl im Umwelt- als auch im Wirtschaftsministerium damals darum gegangen, die Weiternutzung der Atomkraftwerke "ergebnisoffen" zu prüfen.
An dieser ergebnisoffenen Prüfung hegen insbesondere Union, AfD und FDP Zweifel. Sowohl Umweltministerin Steffi Lemke als auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck - beide Grüne - werfen sie vor, längere Laufzeiten von Atomkraftwerken nicht unvoreingenommen geprüft, sondern ideologiegetrieben entschieden zu haben. Das ist ein zentraler Prüfungsgegenstand des Untersuchungsausschusses, der im Sommer des 2024 die Arbeit aufgenommen hatte.
"Das muss ich schon auf meine Kappe nehmen"
Scholz verteidigte auch das Machtwort, das er im Herbst 2022 sprechen musste, um die AKW-Laufzeiten zu verlängern. Um einen Beschluss zu erzwingen, machte Scholz damals von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch - einem Instrument, das zuletzt 1957 der frühere Kanzler Konrad Adenauer eingesetzt hatte.
Scholz betonte, dass es ohne dieses Machtwort nicht möglich gewesen sei, eine Lösung herbeizuführen. Weder mit Habeck noch mit dem damaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hätte es sonst in einer für Deutschland sehr ernsten Lage mit potenzieller Energie-Unterversorgung eine Einigung geben können, sagte Scholz. Ihm sei klar geworden: "Das muss ich schon auf meine Kappe nehmen." Er habe beide Minister vorab über die Entscheidung informiert.
Zuvor war Habeck im U-Ausschuss neun Stunden lang befragt worden. Die Anschuldigungen, er und sein Ministerium hätten einen Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland nicht ergebnisoffen geprüft, wies er zurück. "Es gab keine Denkverbote", sagte Habeck. Für die Versorgungssicherheit hätten die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland nur noch eine geringe Rolle gespielt, so der Minister. Gleichzeitig sei es der Bundesregierung gelungen, die deutsche Energieversorgung ohne russisches Gas sicherzustellen.
FDP: Habecks Erinnerungslücken "unglaubwürdig"
Habeck gab in der Befragung auch an, nicht sicher zu wissen, ob ihn Kanzler Scholz im Herbst 2022 über seine Entscheidung zur Laufzeit der Atomkraftwerke informiert habe. Der FDP-Politiker Frank Schäffler bezeichnete Habecks Erinnerungslücken als "unglaubwürdig". Auch nach fast neun Stunden Anhörung sei es dem Minister nicht gelungen darzulegen, dass sein Haus den Atomausstieg ergebnisoffen geprüft habe.
Habeck warf dem Ausschuss wiederum vor, eine Agenda zu verfolgen und gar nicht in erster Linie an Erkenntnissen zu Entscheidungen interessiert zu sein. "Sollte der Ausschuss genutzt werden, um diese Pro-Atom-Debatte zu befeuern, wäre das meiner Meinung nach nicht sachgerecht", sagte Habeck im Anschluss an seine Befragung. Insgesamt habe er sich aber fair behandelt gefühlt.
Der Ausstieg aus der Atomkraft war in Deutschland 1998 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden. 2009 verlängerte die schwarz-gelbe Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel dann die Laufzeiten der Kraftwerke deutlich. Als es 2011 zur Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima kam, folgte - ebenfalls unter Kanzlerin Merkel - die Kehrtwende und der Ausstieg wurde deutlich beschleunigt.
Mit Informationen von Lothar Lenz, ARD-Hauptstadtstudio