Ein Marschflugkörper des Typs Taurus KEPD 350
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Marschflugkörper für die Ukraine? Warum wieder über "Taurus" diskutiert wird

Stand: 16.04.2025 00:32 Uhr

Nach dem Vorstoß des wohl künftigen Kanzlers Merz ist die Debatte über mögliche Lieferungen von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine neu entbrannt. Warum ist es plötzlich wieder ein Thema? Und was bedeutet das für die künftige Regierung?

Die Ausgangslage

Deutschland ist nach den USA der wichtigste militärische Unterstützer der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland. Seit Beginn des Krieges ist die Lieferung bestimmter Waffensysteme jedoch umstritten. Über nichts wurde länger und hitziger diskutiert als über die mögliche Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern.

Die Ukraine hofft seit Langem auf die Unterstützung Deutschlands mit dem weitreichenden Waffensystem, das der ukrainischen Luftwaffe Angriffe tief in russischem Territorium ermöglichen würde. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich aber strikt gegen die Lieferung des "Taurus" gestellt. Das könnte sich unter seinem voraussichtlichen Nachfolger, CDU-Chef Friedrich Merz, ändern.

Wie steht Merz zu "Taurus"-Lieferungen?

Merz hatte schon als Oppositionsführer gefordert, der Ukraine auch mit dem "Taurus" zu helfen. Damit könnten Nachschubwege zerstört werden, die Moskau nutzt, um die Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren, lautete sein Argument. Mehrfach brachte die Union Anträge für "Taurus"-Lieferungen im Bundestag ein, scheiterte damit aber an der Ampelkoalition. Besonders an der Ablehnung durch Scholz und die SPD übten Unionspolitiker scharfe Kritik.

Am Sonntagabend sagte der wohl künftige Kanzler in der ARD-Sendung "Caren Miosga" auf die Frage, ob seine Bereitschaft zur Unterstützung der Ukraine mit den Marschflugkörpern noch immer gelte: "Ja, ich habe das genauso gesagt, wie ich es gemeint habe. Nicht, dass wir selbst in diesen Krieg eingreifen, sondern dass wir die ukrainische Armee mit solchen Waffen ausrüsten." Er habe aber immer betont, dass er das nur in Abstimmung mit den europäischen Partnern tun würde. "Das muss abgestimmt werden, und wenn es abgestimmt wird, dann sollte Deutschland sich daran beteiligen."

Merz erklärte: "Ich bin nicht davon überzeugt, dass Putin auf Schwäche und auf Friedensangebote positiv reagiert, er muss irgendwann die Aussichtslosigkeit dieses Krieges erkennen - dafür müssen wir der Ukraine helfen."

Was waren die Argumente von Scholz gegen eine Lieferung?

Das zentrale Argument von Scholz gegen die Lieferung des "Taurus"-Waffensystems lautete: Deutschland liefe dann Gefahr, in den Krieg hineingezogen zu werden, was es zu verhindern gelte. Es sei alles zu unternehmen, damit "wir nicht Kriegspartei werden", sagte Scholz im November vergangenen Jahres im Bundestag. "Ich bin dagegen, dass mit von uns gelieferten Waffen weit in russisches Territorium hineingeschossen werden kann."

Scholz argumentierte, dass für den Einsatz des "Taurus" eine Beteiligung deutschen Personals nötig wäre, was nicht infrage komme. "Es ist für mich ausgeschlossen, bei weitreichenden Waffensystemen solche zu liefern, die nur sinnvoll geliefert werden können, wenn sie auch mit dem Einsatz deutscher Soldaten auch außerhalb der Ukraine verbunden wären", sagte der SPD-Politiker im März 2024 im Bundestag. "Das ist eine Grenze, die ich als Kanzler nicht überschreiten will."

Was sagt der Koaltionsvertrag von Union und SPD zum Thema "Taurus"?

Nichts Konkretes - im Koalitionsvertrag der beiden Parteien heißt es lediglich: "Die Ukraine werden wir umfassend unterstützen, sodass sie sich gegen den russischen Aggressor effektiv verteidigen und sich in Verhandlungen behaupten kann."

An anderer Stelle heißt es, dass die Ukraine als starker, demokratischer und souveräner Staat eigenständig und mit euro-atlantischer Perspektive über seine Zukunft bestimme, sei von zentraler Bedeutung für unsere eigene Sicherheit. "Wir werden deshalb unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen."

Wird der "Taurus" zum Streitthema für Schwarz-Rot?

Der Vorstoß von Merz hat eine erneute öffentliche Diskussion ausgelöst und die Differenzen zwischen den voraussichtlichen Regierungsparteien zutage treten lassen. Zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen hatte SPD-Chef Lars Klingbeil noch gesagt, die Parteien wollten einen öffentlichen Schlagabtausch über einzelne Waffensysteme verhindern. "Alle Entscheidungen werden wir gemeinsam treffen, wenn es darum geht, die Ukraine zu stärken", so Klingbeil.

In beiden Parteien gibt es weiterhin beschwichtigende Stimmen. So setzt der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul auf ein Einvernehmen mit der SPD. "Friedrich Merz hat seine Bereitschaft wiederholt, den "Taurus" auch als Hebel für eine Politikänderung durch Russland einzusetzen. Das ist ein wichtiges Signal", sagte er der Mediengruppe Bayern. "Auch die SPD weiß - nicht zuletzt seit den erneuten russischen Kriegsverbrechen in Sumy -, dass man mit Putin anders umgehen muss." Er glaube nicht, "dass die SPD-Zustimmung ein Knackpunkt ist", so Wadephul weiter.

Bei der SPD herrscht jedoch weiter eine eher skeptische Grundhaltung. Der geschäftsführende - und wohl auch künftige - Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte bei einer SPD-Konferenz in Hannover, für die Lieferung des "Taurus" gebe es zwar gute Argumente, es gebe aber auch "viele Argumente, gute Argumente dagegen". Nur einen Teil davon könne man öffentlich diskutieren.

Auch zur von Merz angesprochenen Abstimmung mit den Verbündeten äußerte sich Pistorius: "Ich kenne keinen europäischen Partner mit einem solchen System. Von daher ist das mit der Abstimmung auch so eine Sache."

Der SPD-Linke Ralf Stegner kritisierte Merz: "Die öffentliche Erörterung solcher Fragen wie des Einsatzes einzelner Waffensysteme war, ist und bleibt unvernünftig", sagte er dem Tagesspiegel. Im Übrigen sollten die Anstrengungen, den Krieg so bald wie möglich zu beenden und zu einem tragfähigen Friedensschluss zu kommen, erste Priorität haben.

Wie positionieren sich die anderen Parteien?

Die Grünen und die im neuen Bundestag nicht mehr vertretene FDP hatten bereits in der Ampelkoalition - entgegen der Position der SPD - die Lieferung des "Taurus" ins Gespräch gebracht. Nach dem Vorstoß von Merz sprachen sich die Grünen-Politiker Anton Hofreiter und Robin Wagener erneut dafür aus. "Angesichts der schrecklichen Angriffe Putins auf Zivilisten in der Ukraine am vergangenen Wochenende ist die Lieferung von Flugabwehr und weiteren Waffen die einzig richtige Antwort", sagte Europapolitiker Hofreiter dem Tagesspiegel. Die von Merz angekündigte europäische Abstimmung solle daher "zügig erfolgen".

Merz habe recht, die Ukraine brauche "Taurus"-Marschflugkörper, schrieb Grünen-Verteidigungspolitiker Wagener im Internetdienst Bluesky. Wichtig sei nun aber, "dass es nicht bei Sonntagsreden bleibt, sondern schnell und entschieden gehandelt wird".

Gegen "Taurus"-Lieferungen wandten sich erneut AfD, Linkspartei und BSW. Damit "droht Deutschland zur Kriegspartei zu werden", warnten die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla. Linken-Fraktionschef Sören Pellmann sagte dem Tagesspiegel: "Die Bundeswehr wäre an der Zielkoordinierung direkt beteiligt und 'Taurus'-Raketen würden Moskau in Reichweite der ukrainischen Armee bringen." Von einer "ungeheuren Gefahr für Deutschland" sprach BSW-Chefin Sahra Wagenknecht gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Was macht den Taurus für die Ukraine so interessant?

Der "Taurus" gilt als einer der modernsten Flugkörper der Bundeswehr. Mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern müssen Piloten nicht in den feindlichen Luftraum eindringen, um ihn abzufeuern. Die rund fünf Meter langen, fast 1.400 Kilogramm schweren Flugkörper sind mit einem eigenen Triebwerk sowie vier unabhängigen Navigationssystemen ausgestattet. Im autonomen Tiefflug in weniger als 50 Metern Höhe können sie nur schwer von der gegnerischen Flugabwehr getroffen werden.

Beim Aufschlag können nach Angaben der Bundeswehr "stark gehärtete Zielstrukturen" wie etwa Bunkeranlagen durchbrochen werden. Die Ukraine könnte mit den Marschflugkörpern auch Ziele auf russischem Gebiet angreifen, etwa Militärbasen, von denen Russland seine Angriffe mit Raketen und Drohnen startet. Die von der Ukraine bereits mehrfach angegriffene und beschädigte, aber nicht zerstörte Brücke auf die Halbinsel Krim wäre ebenfalls ein potenzielles Ziel. "Taurus"-Marschflugkörper können theoretisch bis Moskau fliegen. Für einen derartigen Einsatz wäre jedoch eine Freigabe durch die westlichen Verbündeten der Ukraine nötig.

Verfügt die Ukraine schon über ähnliche Waffensysteme?

Großbritannien hat Marschflugkörper vom Typ "Storm Shadow" geliefert, Frankreich das baugleiche System "SCALP". Auch hierbei handelt es sich um Marschflugkörper für Angriffe auf Ziele wie Bunker oder kritische Infrastruktur. Sie werden von Kampfflugzeugen aus eingesetzt und haben eine Reichweite von über 250 Kilometern. Damit liegt ihre Reichweite aber deutlich unter der des "Taurus".

Außerdem haben die USA der Ukraine ATACMS-Kurzstreckenraketen geliefert, die vom Boden aus abgefeuert werden. Ihre Reichweite beträgt bis zu 300 Kilometer. Nach dem Abschuss fliegen sie eine ballistische Kurve und detonieren dann am Boden.

Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. April 2025 um 07:28 Uhr.