Friedrich Merz sitzt nach der Abstimmung des Uniosnantrags zur Migrationspolitik auf seinem Platz im Bundestag

Reaktionen auf Migrationsabstimmung "Ein schwarzer Tag für unsere Demokratie"

Stand: 30.01.2025 01:47 Uhr

Es ist ein beispielloser Vorgang: Erstmals hat ein Antrag im Bundestag mithilfe der AfD eine Mehrheit bekommen. Die Partei stimmte für die Migrationspläne der Union. Während AfD-Chefin Weidel jubelt, sind SPD, Grüne und Linke empört.

Nach dem Bundestagsvotum für mehr Zurückweisungen an den Grenzen haben sich Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei erschüttert gezeigt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wertete die Umstände der Abstimmung als "schlechtes Zeichen für das Parlament und Deutschland". "Ich werde noch eine Zeit brauchen, zu verarbeiten, was wir heute gemeinsam erlebt haben", schrieb Scholz auf X. Der Tag der Abstimmung werde sicherlich von manchen als historisch beschrieben werden.

Nach dem heutigen Tag könne er Merz (CDU) nicht mehr trauen, bekräftigte Scholz in der ARD-Talksendung Maischberger. Es habe klare Aussagen von Merz gegeben, dass "genau das, was heute passiert ist, nicht passieren würde" - nun habe er aber anders gehandelt. 

Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Dieser Tag werde sich ins Gedächtnis der Demokratie und wohl auch in die Geschichte des Landes eingraben. "Unsere Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, ist empört." Die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katharina Dröge, sagte: "Aus unserer Sicht ist dieser Tag ein Einschnitt, eine Zäsur für den Deutschen Bundestag, für unser Parlament, aber auch wirklich ein schwarzer Tag für unsere Demokratie."

CDU und CSU hatten zuvor im Bundestag gemeinsam mit Stimmen der AfD und der FDP ihren Migrationsantrag verabschiedet, der unter anderem mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und konsequentere Abschiebungen vorsieht. Dass die Union für das Durchsetzen ihres Antrags die Zustimmung der AfD in Kauf nahm, war bereits im Vorfeld auf breite Kritik gestoßen, unter anderem bei den Kirchen.

"Die Brandmauer muss wieder aufgerichtet werden"

Dröge sagte in einem Appell an CDU und CSU: "Es braucht die Union in der Mitte der Gesellschaft, es braucht die Union in der Mitte der demokratischen Parteien, es braucht die Zusammenarbeit mit der Union." Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der Union, wolle sie gern wieder glauben, sagte die Co-Fraktionschefin der Grünen. Dafür müsse er etwas tun. "Und dafür muss die Brandmauer wieder aufgerichtet werden. Das ist die Glaubwürdigkeit, die Friedrich Merz wiederherstellen muss." Es brauche eine Zusage von ihm, dass er so etwas künftig nicht wiederhole.

Christoph Mestmacher, ARD Berlin, über Zustimmung vom Bundestag für Unionsantrag zur Migration

tagesschau24, 29.01.2025 20:00 Uhr

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte den mit Stimmen der AfD beschlossenen Antrag der Union leichtfertig und wahrheitswidrig. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar entscheide sich, ob es sich nur um einen leichtfertigen, unverantwortlichen Fehler handele, "oder ob die Rutschbahn noch weitergeht", so Mützenich. Zu seinem Statement hatte sich die gesamte SPD-Fraktion im Bundestag hinter ihrem Vorsitzenden versammelt.

Linke spricht von Dammbruch

Auch die Linke kritisierte die Union scharf. Die Spitzenkandidatin der Partei für die Bundestagswahl, Heidi Reichinnek, sagte im Bundestag nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses: "Herr Merz, aller politischen Differenzen zum Trotz, hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert."

Die Mehrheiten mit der AfD seien nicht in Kauf genommen worden und keine Zufallsmehrheiten, so Reichinnek. "Sie haben diese Mehrheiten gesucht, gemeinsam mit der FDP haben sie diese Mehrheiten gezielt gesucht und das ist das verdammte Problem und Sie verstehen es bis jetzt noch nicht!", rief die Linken-Politikerin in Richtung Union.

Merz bedauert Mehrheit mit der AfD

Merz selbst bot SPD und Grünen nach der Abstimmung über den Unionsantrag neue Verhandlungen an. Er suche "keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte unseres Parlaments", sagte der Kanzlerkandidat der Union. "Wenn es hier heute eine solche Mehrheit gegeben hat, dann bedaure ich das." 

Der Parlamentsgeschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, sagte später dem ZDF, CDU und CSU hätten sich gewünscht, dass die Bundesregierung in der Asylpolitik gehandelt hätte. Er verneinte die Frage, ob die heutige Abstimmung eine Vorbereitung für eine CDU-Minderheitsregierung nach der Wahl sei. "Wir haben hier so große Entscheidungen von so großer Tragweite zu treffen, dass wir dafür eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit benötigen."

FDP-Vize Wolfgang Kubicki verteidigte die Zustimmung seiner Fraktion. Diese werde "ihre Entscheidungen immer davon abhängig machen, was in der Sache richtig ist und nicht, wer sich wie verhält." Die Demokratie nehme nicht durch das Abstimmungsverhalten Schaden, sondern dadurch, dass sich die demokratische Mitte im Bundestag zerlege. Sozialdemokraten und Grüne machten durch ihr Verhalten die AfD stärker statt schwächer - weil sie Probleme zwar beschrieben, aber nicht lösen würden.

Weidel spricht von "großartigem Tag"

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel feierte das Bundestagsvotum für mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen als "großartigen Tag für die Demokratie". "Wir sehen, dass bürgerliche Mehrheiten da sind und vernünftige Anträge beschlossen werden können", sagte sie. Weidel rief die Union zum Nachdenken darüber auf, "ob man die Brandmauer, die aus unserer Sicht undemokratisch ist, weiter aufrechterhält."

Die Union habe die Begrenzung der Migration selbst lange abgelehnt, sagte Weidel. Nun habe sie Forderungen der AfD übernommen. Sie gehe davon aus, dass sich die Mehrheiten weiter zugunsten von "bürgerlichen Mehrheiten von Blau-Schwarz" verschieben würden. 

AfD-Fraktions- und Parteichef Tino Chrupalla sprach von einer "Zeitenwende in der Migrationspolitik". Er hoffe darauf, dass Friedrich Merz am Freitag den angekündigten Gesetzentwurf zur Migration auch wirklich zur Abstimmung stelle.

Demonstration vor CDU-Zentrale in Berlin

Vor der CDU-Parteizentrale in Berlin demonstrierten am Abend mehrere hundert Menschen gegen das gemeinsame Abstimmen von Union und AfD für eine schärfere Migrationspolitik. Zu der Kundgebung unter dem Motto "Brandmauer statt Brandstiftung" hatten unter anderem Amnesty International, Seebrücke und andere Organisationen aufgerufen. Die Polizei sprach zunächst von rund 650 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Januar 2025 um 20:00 Uhr.