
Vorwürfe gegen Huawei Ermittlungen gegen EU-Abgeordnete weiten sich aus
Ist im Huawei-Skandal Geld an einen Mitarbeiter deutscher Abgeordneter im EU-Parlament geflossen? Ein Bezug nach Deutschland findet sich laut ARD-Recherchen in Ermittlungsunterlagen. An den aktuellen Maßnahmen gegen Korruption gibt es weiter Kritik.
Mitte März durchsuchten circa 100 Polizisten 21 Räumlichkeiten in Portugal, Flandern, Wallonien und Brüssel - darunter auch Büros im Europäischen Parlament. Zwei davon wurden versiegelt. Der Verdacht: Mitarbeiter des chinesischen Tech-Konzern Huawei sollen mit Geschenken, Einladungen zu Fußballspielen und auch mit Geld EU-Abgeordnete und deren Mitarbeiter bestochen haben. Das mutmaßliche Ziel: die EU-Politik im Sinne von Huawei zu beeinflussen.
Die Ermittler sprechen von einer "kriminellen Organisation", die schon seit ungefähr vier Jahren unter dem "Deckmantel des Lobbyings" aktiv sei. Nach gemeinsamen Recherchen von Report München, Kontraste und dem SWR kam der entscheidende Hinweis bereits 2023 vom belgischen Geheimdienst. Mittlerweile hat die belgische Staatsanwaltschaft Anklagen gegen acht Verdächtige erhoben. Ihnen wird unter anderem Bestechung, Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Einfluss auf Gesetzgebung im Sinne von Huawei?
Die belgische Staatsanwaltschaft hat im Zuge der Ermittlungen die Aufhebung der Immunität mehrerer EU-Abgeordneter beantragt, darunter die des italienischen EU-Abgeordneten von Forza Italia, Fulvio Martusciello. Dieser hatte im Januar 2021 einen Brief von acht Europaabgeordneten an die EU-Kommission unterzeichnet. Darin loben sie die Vorteile der 5G-Technologie und kritisieren, so wörtlich, die "unbegründete Angst" einiger EU-Mitgliedstaaten vor Sicherheitsrisiken. Adressiert war der Brief unter anderem an die damalige EU-Kommissarin für Wettbewerb und Digitales, Margrethe Vestager.
Einer der Unterzeichner, der EU-Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei, Herbert Dorfmann, erklärte auf Anfrage gegenüber dem Team von Report München, Kontraste und dem SWR, die Initiative, diesen Brief auch zu unterzeichnen, sei vom Büro Martusciello ausgegangen. Schriftlich erklärt Dorfmann, dass er den Brief niemals unterschrieben hätte, wenn ihm "eine Gegenleistung angeboten worden wäre".
Auffällig ist: der Name Huawei fällt in dem "5G-Brief" nicht. Die Wortwahl ist aber ungewöhnlich scharf - so war etwa von "technologischem Rassismus" und "Diskriminierung" die Rede. Ermittler fanden laut den Recherchen den Brief auf dem Computer des Huawei-Lobbyisten in Brüssel, Valerio O. Er soll den Brief im Wesentlichen verfasst haben. Eine entsprechende Anfrage blieb bisher unbeantwortet. Offenbar ging es aber dem chinesischen Konzern nicht nur um einen Brief.
Abgehörtes Gespräch
In dem Dokument der belgischen Justiz, das dem SWR, Report München und Kontraste vorliegt, wird ein abgehörtes Gespräch zwischen dem Huawei-Mitarbeiter Valerio O. und seinem polnischen Kollegen wiedergegeben. Darin soll er behauptet haben, dass der chinesische Techkonzern "oft Grenzen überschreite und selbst für Änderungsanträge bezahle."
Laut den Recherchen hat mindestens ein EU-Abgeordneter aus dem Umfeld des 5G-Briefes Änderungsanträge mit China-Bezug ins EU-Parlament eingebracht. So wollte der italienische EU-Abgeordnete Martusciello im Februar 2021 in einer Resolution zur EU-Wettbewerbspolitik Begriffe wie "chinesische Wettbewerbsverzerrung" streichen lassen.
Auch das Ziel, chinesische Firmen als Lieferant von 5G zu berücksichtigen, taucht in seinen Vorschlägen auf. Laut belgischen Ermittlern soll Martusciello im Zeitraum von Februar bis Juni 2021 vier Überweisungen über einen Mittelsmann von Huawei erhalten haben. Bislang hat der italienische EU-Abgeordnete auf Fragen zum Huawei-Bestechungsskandal nicht geantwortet.
Geldfluss an Mitarbeiter deutscher Abgeordneter?
Report München, Kontraste und dem SWR liegt ein Dokument der belgischen Justiz vor, in dem es unter anderem um Zahlungen von rund 46.000 Euro an verschiedene Beteiligte im Zusammenhang mit den Huawei-Ermittlungen geht. Ein Empfängerkonto, auf die Teile dieser Summe geflossen sind, wird den Unterlagen zufolge auch einer Person zugeordnet, die für deutsche EU-Abgeordnete tätig war.
Auf Anfrage des SWR erklärte die Person, dass nicht gegen sie ermittelt würde und die erhobenen Vorwürfe falsch seien. "Ich habe in meinen beinah 20 Jahren im EP nicht nur noch nie für Huawei gearbeitet oder gar Geld von Ihnen angenommen, sondern nicht einmal eine Veranstaltung von Huawei besucht", heißt es in der Mail. Ihr ehemaliger Arbeitgeber, ein deutscher EU-Abgeordneter, habe sich gegenüber der chinesischen Regierung äußerst kritisch geäußert und man habe sich u.a. stark für die Rechte der Uiguren eingesetzt.
Kritisches Rechtsgutachten
Nach dem "Katargate"-Fall, der Ende 2022 bekannt wurde und dem Bestechungsskandal um den AfD-Abgeordneten Maximilian Krah 2024, ist dies bereits der dritte Skandal, der das EU-Parlament innerhalb kürzester Zeit erschüttert. Vor zweieinhalb Jahren ging es um mutmaßliche Versuche der Bestechung von EU-Abgeordneten durch das Golfemirat und Marokko. Als Konsequenz hatte das Europaparlament seine Lobbyregeln 2023 verschärft.
Experten bezweifeln die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen. "Viele Abgeordnete und Assistent*innen nehmen die Verhaltensregeln des EU-Parlaments nicht ernst, weil sie kaum je kontrolliert oder gar sanktioniert werden. Das kann sich das EU-Parlament aber nicht leisten", so Nina Katzemich, von der Transparenzorganisation LobbyControl.
Dem SWR, Report München und Kontraste liegt exklusiv der Entwurf zu einem bislang unveröffentlichten Rechtsgutachten zu Ethik-Regeln in der EU vor. Es wurde von LobbyControl in Auftrag gegeben. Das vorläufige Fazit: Fälle wie der aktuelle Huawei-Korruptionsfall oder der Katargate-Skandal haben erhebliche Systemmängel offengelegt und seien mit den bestehenden Kontrollinstanzen nicht zu verhindern.
Das Rechtsgutachten zeichnet das Bild eines zersplitterten und zahnlosen Systems: Jede EU-Institution hat ihre eigenen Ethikstandards und eigene Kontrollverfahren. Verstöße werden, wenn überhaupt, nur intern überprüft. Konkret befürwortet das Gutachten daher eine EU-Aufsichtsbehörde - mit klaren Zuständigkeiten, Ermittlungsbefugnissen und in bestimmten Fällen auch der Möglichkeit, Sanktionen auszusprechen.
Forderung nach besseren Kontrollen
"Rings um Europa haben Autokraten großes Interesse daran, die EU zu delegitimieren und mit allen Mitteln Einfluss zu nehmen. Wenn das EU-Parlament sich nicht selbst abschaffen will, muss es mit den Missständen endlich aufräumen und für unabhängige Kontrollen der Verhaltensregeln sorgen", sagt Katzemich.
Daher fordert Daniel Freund (Grüne), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Anti-Korruption im Europaparlament und Berichterstatter für das unabhängige Ethikgremium, Erfolge beim Kampf gegen Korruption im EU-Parlament: "Die Ermittlungen der belgischen Polizei dürfen nicht im Sande verlaufen. Wir brauchen schnell Gewissheit darüber, wer wen wann und warum bestochen hat", sagte Freund dem SWR. "Wer in Brüssel schmiert oder geschmiert wird, gehört ins Gefängnis. Gleichzeitig muss sich die EU viel besser vor Korruption und unlauterer Einflussnahme schützen. Und geltende Regeln endlich entschieden durchsetzen."
Auf Anfrage von Report München, Kontraste und dem SWR erklärte der chinesische Konzern Huawei, dass er infolge der mutmaßlichen Korruptionsaffäre zwei Mitarbeiter entlassen und einen suspendiert habe. Bislang hätten sich die belgischen Behörden nicht bei Ihnen gemeldet. Der Konzern Huawei erklärt darüber hinaus, er nehme "die Anschuldigungen ernst". Man verfolge eine "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Korruption.
Mehr zum Thema sehen Sie in der Dokumentation "China und wir. Ein riskantes Spiel" in der ARD-Mediathek.