Emmanuel Macron und Olaf Scholz
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Weltordnung in Bewegung Europa allein zu Haus

Stand: 20.02.2025 16:59 Uhr

Die transatlantischen Beziehungen von einst sind vorbei: Das Handeln der US-Regierung nach gerade einmal einem Monat im Amt muss Europa aufrütteln. Denn es geht um die Zukunft des Kontinents.

Ein Kommentar von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

Zeitenwende. Erinnert sich noch wer? Am 24. Februar, einen Tag nach dieser Bundestagswahl, jährt sich der Einmarsch in die Ukraine zum dritten Mal. Damals, 2022, erlebte die neue Bundesregierung diese Zeitenwende zwei Monate nach ihrem Amtsantritt. Ein Schock. Heute ist es anders - noch dramatischer. Heute erlebt die künftige Bundesregierung, wie immer sie auch aussehen wird, schon wenige Tage vor der Wahl die nächste, die neue Zeitenwende. Die USA, wie wir es kannten, sind kein Partner mehr.

US-Präsident Donald Trump, der die Lüge zu seiner machtpolitischen Währung zählt, lacht über unser Gerede von regelbasierter Ordnung. Regelbasierte Ordnung? Für Trump ist das nur ein anderes Wort für Schwäche. Werte und Prinzipien? Für Trump ist es das Recht des Stärkeren. Die transatlantischen Beziehungen von einst sind vorbei. Aus einem Partner droht ein unberechenbarer Akteur mit ausschließlichem Eigeninteresse zu werden. Haben wir das alle wirklich begriffen?

Es geht längst nicht nur um die Zukunft der Ukraine

War vor einem Jahr vorstellbar, dass ein deutscher Vizekanzler namens Robert Habeck in der ARD vor Imperialismus warnt - aber nicht nur Wladimir Putin, sondern vor allem den amerikanischen Präsidenten meint? Haben wir verstanden, dass der Luxus, sich über das Pistorius-Wort der "Kriegstüchtigkeit" aufzuregen, ein Luxus war?

Deutschland ist im Endspurt eines Bundestagswahlkampfes. Es wird über Renten, über das Deutschlandticket, über den Klimaschutz gestritten. All das ist wichtig. Aber wer sagt uns auch trotz Wahlkampf, dass wir möglicherweise gerade einen Epochenbruch erleben, von dem der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, spricht?

Hier geht es längst nicht mehr nur um die Zukunft der Ukraine, die den Geschäftsmann Trump in all seiner Boshaftigkeit nur noch als Rohstofflager interessiert. Hier geht es um die Sicherheitsarchitektur unseres Europas.

Krisengipfel - die verpasste Chance

Apropos Europa: Stell sich das einer vor - Europa trifft sich in Paris zum Krisengipfel wie am Montag und es passiert: Nichts. Wo war das eine Bild von europäischen Staatenlenkern, die danach gemeinsam vor ein Mikrofon treten und sagen: Seht her, wir sind Europa, geeint, entschlossen, stark.

Stattdessen schreibt der britische Premier Zeitungsaufsätze über Friedenstruppen, der Kanzler mahnt zur Zurückhaltung und in Berlin glaubt Friedrich Merz, dieser Trump sei "berechenbar".

Allgemeine Besorgnis angebracht

Der amerikanische Vizepräsident JD Vance hat uns mit kalter Offenheit zuletzt tief ins Innere der verquasten Gedankenwelt dieser Trump-Regierung blicken lassen. Er mache sich keine Sorgen über Russland oder China. Er, Vance, sorge sich vielmehr um Europa. Ernsthaft?

Europa sollte schleunigst anfangen, sich auch Sorgen zu machen. Um diese USA, aber vor allem um die eigene Zukunft des europäischen Kontinents. Und Deutschland sollte endlich aufwachen aus dem schönen Traum: Wird schon irgendwie gut gehen. Oder wie der SPD-Politiker Michael Roth düster formulierte: Europa ist ab jetzt allein zu Haus. Und zwar mit einer neuen, einer zweiten Zeitenwende. Mit allen Konsequenzen.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 20. Februar 2025 um 17:00 Uhr.