
Finanzagentur des Bundes Wie der Staat Schulden macht
Die staatseigene Finanzagentur beschafft die Milliarden, die das Bundesfinanzministerium zusätzlich zu seinen Steuereinnahmen braucht. Geschäftsführer Tammo Diemer erklärt, wie alte und neue Staatsschulden aufgenommen werden.
tagesschau.de: Vor einem halben Jahr haben Sie angekündigt, dieses Jahr 390 Milliarden Euro zu beschaffen. Das ist ein enormer Betrag - weit mehr als nach der Finanzkrise. Gibt es jemanden in Deutschland, der mehr Geld bewegt als Sie?
Tammo Diemer: Am deutschen Markt nicht. Im Euroraum gibt es aber zwei weitere große Emittenten von Staatsanleihen: Frankreich und Italien. Und zur Einordnung: Das Emissionsvolumen war schon mal höher. Im Jahr 2023 betrug es mehr als 500 Milliarden Euro.

Von 2001 bis 2013 hatte er verschiedene Positionen bei der Aareal Bank AG inne, seit 2008 leitete er als Managing Director den Bereich Treasury. Seine berufliche Laufbahn begann er 1999 als Asset Liability Manager bei der DePfa Deutschen Pfandbriefbank AG.
Tammo Diemer ist promovierter Mathematiker. Er studierte an der Universität Bonn und an der University of Warwick, Großbritannien. Er wurde 1969 in Essen geboren.
Neue Bundesanleihen
tagesschau.de: Mittlerweile hat sich die Erde weitergedreht, der Bund braucht weitere Milliarden für Investitionen. Mit wieviel rechnen Sie jetzt für dieses Jahr?
Diemer: Wir werden unsere Planung für 2025 nicht signifikant ändern. Wenn noch kurzfristig Geld benötigt wird, können wir das mit unseren Puffern gut abdecken. Andererseits werden wir aller Voraussicht nach im zweiten Halbjahr wieder Bundesanleihen mit einer Laufzeit von sieben Jahren einführen. Damit füllen wir die Lücke zwischen unseren Fünf- und den Zehnjährigen. Das wird zusätzliche Erlöse bringen. Aber darüber hinaus erwarte ich keine Änderungen.
"Da ist noch nichts entschieden"
tagesschau.de: Denken Sie auch an länger laufende Bundesanleihen: auf 50 oder 100 Jahre?
Diemer: Die längsten Laufzeiten, die der Bund bisher anbietet, sind 30 Jahre. Lange Anleihen wurden immer wieder geprüft und könnten eine interessante Erweiterung sein. Erstens treffen sie auf Interesse bei Investoren. Zweitens könnten sie gut in unser Portfolio passen.
Was heißt das? Unser Bestreben ist, Zinsausgaben und Risiken zu mindern. Mit Risiken meinen wir künftige Zinsausgaben. Also: Die heutigen Zinsausgaben wollen wir möglichst niedrig halten und das Risiko höherer Ausgaben in der Zukunft ebenfalls möglichst niedrig. Ob langlaufende Anleihen für diese Balance einen guten Beitrag leisten können, ist zu analysieren. Da ist noch nichts entschieden.
Alte Schulden bleiben
tagesschau.de: Viel Geld wird ja gebraucht, um alte Schulden abzulösen und zu erneuern. Wie ist ungefähr das Verhältnis zwischen verlängerten Altschulden und echten neuen Schulden?
Diemer: Aus heutiger Sicht werden wir dieses Jahr rund 340 Milliarden Euro verwenden, um fällige Anleihen zu bedienen - also um Geld nach Ablauf der Anleihefrist zurückzuzahlen. Nun haben wir ja rund 390 Milliarden geplant, plus X aus den neuen siebenjährigen Anleihen. Der Unterschied zu den 340 Milliarden deckt den zusätzlichen Finanzierungsbedarf des Bundes.
Wo das Geld herkommt
tagesschau.de: Wie machen Sie es praktisch, die Schuldscheine des Staates unter die Leute zu bringen?
Diemer: Wir verkaufen Anleihen. Die haben einen festen Zins und eine feste Laufzeit. Diese Anleihen werden Banken angeboten, die sie dann weiterverkaufen, in Fonds legen oder selbst behalten. Die Banken können bei Auktionen für neue Anleihen bieten. Am Auktionstag ist um 11.30 Uhr Annahmeschluss, und wir verkaufen dann die Anleihen an die Höchstbietenden.
tagesschau.de: Der Bund wird in den nächsten Jahren sehr viel mehr neues Geld brauchen. Wo soll das alles herkommen?
Diemer: Wir hatten ja schon Jahre mit höheren Volumina. Insofern ist es kein Problem, dass der Bund größere Angebote macht. Aber: das Verhältnis von Nachfrage und Angebot bestimmt den Preis. Deswegen sind wir auch bestrebt, die Nachfrage hochzuhalten. Dafür ist es wichtig, dass wir in engem Kontakt mit den Investoren sind und unsere Angebote und unseren Auktionskalender fein abstimmen.
Wird es teurer?
tagesschau.de: Ihre Marktarbeit in allen Ehren. Aber wenn Investoren wissen, dass der Staat furchtbar viel Geld braucht, wird es teurer. Womit rechnen Sie?
Diemer: Nachdem die künftige Regierungskoalition ihre Finanzpläne durchgebracht hat, ist die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen um etwa 30 Basispunkte gestiegen, also um ein Drittel Prozentpunkt. Inzwischen ist sie wieder um einen ähnlichen Betrag gesunken.
Zudem geht es aber nicht nur um gestiegenen Finanzbedarf. Die Rendite von Bundesanleihen spiegelt auch die deutsche Volkswirtschaft. Wenn wir eine Rendite von 2,5 Prozent haben, kann man das vereinfacht so lesen: Der Markt erwartet pro Jahr zwei Prozent Inflation und 0,5 Prozent Wachstum. So gesehen kann eine gestiegene Rendite auch eine gestiegene Wachstumserwartung zeigen.
Unternehmensfinanzierung
tagesschau.de: Sehen Sie die Gefahr, dass weniger Geld für Unternehmensfinanzierung bleibt?
Diemer: Nein. Die Investoren, die Bundeswertpapiere kaufen, kaufen nicht so sehr wegen hoher Rendite; sie kaufen, weil sie im Euroraum aktiv sein wollen und einen sehr liquiden Markt suchen. Das ist ein ganz anderer Markt als der Markt für Unternehmensanleihen.
tagesschau.de: Wird Ihnen bei den Riesenbeträgen, mit denen Sie umgehen, manchmal schwummrig?
Diemer: Sie haben vollkommen recht: Es sind große Zahlen und große Beträge, mit denen wir umgehen. Wir haben großen Respekt vor unserer Aufgabe. Und wir machen das mit großer Sorgfalt. Schwummrig wird uns nicht.
Das Gespräch für tagesschau.de führte Ingo Nathusius, hr