
Hisbollah im Libanon Verzicht auf Waffen, um Einfluss zu retten?
Die Umwälzungen im Nahen Osten haben die islamistische Hisbollah-Miliz im Libanon massiv geschwächt. Vom Iran kommt kaum noch Unterstützung, und Israels Angriffe setzen ihr zu. Ist die Hisbollah nun bereit, ihre Waffen abzugeben?
Auf den Straßen in Tyros, einem malerischen Küstenort im Süden des Libanon, weht die Flagge der Hisbollah. Daneben hängen Plakate, die ihren wichtigsten Verbündeten zeigen: Irans Ajatollah Ali Khamenei. Die Hisbollah ist für den Iran eine wichtige Macht in seiner "Achse den Widerstands" im Nahen Osten, die Irans Kampf gegen Israel unterstützt.
Schon in der Vergangenheit hatten die Hisbollah und Israel sich in mehreren Kriegen bekämpft. Der Überfall der Hamas auf Israel und der nachfolgende Ausbruch des Gaza-Krieges entfachten den alten Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel neu, monatelang kam es fast täglich zu heftigem Beschuss auf beiden Seiten, nachdem die Hisbollah am 8. Oktober 2023 Israel aus dem Norden angriff. Es folgten 14 Monate, die sich vor allem für die Menschen im Grenzgebiet wie ein neuer Krieg anfühlten.
Alles verloren und auf sich allein gestellt
In Tyros, rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt, sind rund 100 Häuser zerstört worden, auch die Existenz von Fischer Fadl Reda Badawi. Sein Wohnhaus und Fischereigeschäft wurden durch einen israelischen Angriff stark beschädigt, viele seiner Waren wurden zerstört.
Badawi weiß nicht, wie er sich den Wiederaufbau seines Geschäfts leisten soll. Er sei auf sich allein gestellt, die Gemeinde sei durch das Ausmaß der Zerstörung überfordert. Der Fischer rechnet nicht damit, dass er Geld erhält. Weder vom bankrotten libanesischen Staat und auch nicht von der Hisbollah, die Entschädigungen versprochen hatte. Also helfe sich im Ort jeder selbst.
Immer mehr Menschen im Libanon würden sich nun die Frage nach dem Sinn des letzten Krieges stellen, so Politikwissenschaftler Sami Nader: "Wer wird unsere Häuser wiederaufbauen? Warum haben wir das getan? War es das wert, diesen hohen Preis zu zahlen, um Gaza zu retten?" Mit dem Krieg habe die Hisbollah an Popularität eingebüßt und sei massiv militärisch geschwächt.
Die alte Macht ist dahin
Nach fast täglichem Beschuss im Grenzgebiet kam Mitte September vergangenen Jahres der härteste Rückschlag für die Miliz: Am 17. und 18. September 2024 wurden im Libanon Tausende Pager und Walkie-Talkies von Mitgliedern der Organisation durch Israel zur Explosion gebracht. Mehr als 2.800 Menschen wurden verletzt.
Dann führte die israelische Armee ab dem 23. September im Rahmen der Operation "Northern Arrows" Luftangriffe durch, zerstörte dabei nach eigenen Angaben etwa 80 Prozent des Raketenarsenals der Hisbollah und tötete neben ihrem Anführer Hassan Nasrallah nahezu die gesamte Führungsriege.
Die Hisbollah reagierte, feuerte Raketen auf Israel ab. Sie fand nach diesem Rückschlag jedoch nicht mehr zu ihrer alten Macht zurück.
Keine neuen Waffen, kein Geld mehr
Bislang galt die Miliz als stärkste Kraft im Libanon, stärker noch als die libanesische Armee. Hochgerüstet durch den Iran wurde ihr Waffenarsenal vor dem Krieg auf etwa 150.000 Raketen geschätzt. Ihre Nachschublinie an Geld und Waffen lief maßgeblich über Syrien, denn die Hisbollah unterstützte das Assad-Regime. Auch durch den Sturz des Diktators Baschar al-Assad Assads ist sie nun geschwächt.
Laut Politikwissenschaftler Nader ist die Hisbollah heute in einer ernsten finanziellen Krise, da sie nicht mehr über die Hilfen verfüge, die sie früher vom Iran bekommen habe. Sie habe ihre Nachschublinien verloren und sei isoliert. Die Organisation erhalte nun über das Nachbarland keine neuen Kämpfer mehr, Waffen, oder Geld.
Ein Staat im Staate
Die Hisbollah wird von vielen westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Doch im Libanon sitzt sie seit 2005 als Partei im Parlament, ist eine wichtige politische Kraft und agiert wie ein staatlicher Akteur, der soziale Verantwortung wahrnimmt. Sie ist einer der größten Arbeitsgeber im Land, unterhält eine eigene Infrastruktur mit Krankenhäusern, Schulen und eigenen Institutionen, die von Beobachtern als "Staat im Staate" beschrieben wird.
Abschied von den Durchhalteparolen
In den südlichen Vororten von Beirut, den Dahiye, die sie kontrolliert, ist der Rückhalt bei ihren Anhängern trotz der Rückschläge auch deshalb weiter groß. Hunderte pilgern täglich zum Grab von Hassan Nasrallah und der Einschlagsstelle der bunkerbrechenden Bombe, die ihn tötete.
Am Gedenkstand verteilt eine junge Frau Andenken gegen Spenden. Zwar hätten viele weiter Angst vor israelischen Angriffen - aber man bleibe standhaft, bekräftigt sie: "Wir werden mit Würde sterben und uns nicht ergeben", so Rawan Khalil.
Eine vollständige Entwaffnung lehnen ihre Anhänger weiter ab. Doch der politische Arm der Hisbollah schlägt inzwischen andere Töne an. Ihab Hamade, Abgeordneter der Partei, beteuert eine gute Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee: Es habe bislang keinerlei Probleme gegeben, es gebe Versuche von außen, einen Konflikt zwischen der Hisbollah und der libanesischen Armee herbeizureden, doch das sei eine reine Illusion.
Israel attackiert weiter
Trotz der vereinbarten Waffenruhe im November greift Israel weiterhin Ziele im Libanon an. Das libanesische Innenministerium zählt seit Beginn der Waffenruhe rund 2.700 Verstöße seitens der israelischen Armee.
Große Vergeltungsschläge bleiben von der Hisbollah aber inzwischen aus, auch nach einem Angriff Ende April, wieder in einem der südlichen Vororte von Beirut. Und auch in den vergangenen Tagen im Süden des Landes. Immer wieder werden auch Zivilisten durch die Angriffe Israels getötet.
Die Hisbollah soll im Grenzgebiet im Südlibanon bereits einen Großteil ihrer Waffen an die israelische Armee übergeben haben. Vergangene Woche meldete zudem die UN-Friedenstruppe UNIFIL auf X, sie habe seit Beginn der Waffenruhe 225 Waffenlager der Hisbollah beschlagnahmt und an die israelische Armee übergeben.
Wird die UN-Resolution 1701 endlich umgesetzt?
Die Hisbollah ist unter Druck, die UN-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 endlich vollständig umzusetzen. Die Vereinbarung sieht unter anderem vor, dass sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss etwa 30 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze zurückzieht.
Die libanesische Armee soll die Einhaltung der Vereinbarung überwachen. Im Gegenzug soll sich Israel vollständig aus dem Libanon zurückziehen.
Der Druck von innen und außen wächst
Die USA und Golfstaaten wie Saudi-Arabien und Katar haben ihre Unterstützung beim Wiederaufbau des Libanon an die Entwaffnung der Hisbollah geknüpft.
Auch Generalstabschef Joseph Aoun, der seit Januar neuer Präsident des Landes ist, will das Gewaltenmonopol wiederherstellen. Immer wieder spricht er von einer "neuen Ära", in der er keine Waffen außerhalb der Kontrolle des libanesischen Staates mehr dulde. Nach mehr als zwei Jahren politischer Blockade, wurden seine Wahl und eine neue Regierungsbildung auch möglich, weil die Hisbollah sich nicht mehr querstellte.
Hoffnung auf Einsicht
Politikwissenschaftler Nader geht davon aus, dass die Entwaffnung weiter gehen wird, auch wenn die Hisbollah versuchen wird, einige Bestände im Inneren des Landes zu halten.
Versuche, das Problem in den vergangenen Jahren durch Dialog zu lösen, hätten nicht funktioniert. Der Knackpunkt sei: "Man kann keinen funktionierenden Staat haben, wenn die Hisbollah ihre Waffen behält."
Wenn man aber Gewalt anwende, um sie zu entwaffnen, könne das das ganze Land in einen Bürgerkrieg stürzen. "Die einzige Lösung ist also für die Hisbollah, selbst zu dieser Entscheidung zu kommen - für sich selbst, für ihre eigene Wählerschaft und für eine Einheit für das Land."