Bundestagswahl 2025
CDU-Kandidat Friedrich Merz Mit Disziplin zur späten Genugtuung
Altkanzlerin Merkel attestiert ihm den unbedingten Willen zur Macht: Nach Jahrzehnten in der Politik will Friedrich Merz endlich CDU-Kanzler werden. Er stellt hohe Ansprüche - an sich selbst, seine Mitarbeiter und die Bürger.
"Gehen Sie schon, Herr Merz?", rufen die Journalisten dem CDU-Vorsitzenden zu. Es ist Anfang Januar, eine Hotelbar in Hamburg. Dort in einem Separee hat sich die CDU-Spitze zurückgezogen, um ihre Jahresauftaktklausur ausklingen zu lassen. Friedrich Merz ist später dazugestoßen, er hat noch Interviews gegeben.
Gerade einmal eine Dreiviertelstunde später, gegen 23 Uhr, verlässt er die Runde bereits wieder: Er habe noch einen Berg Akten zu lesen. Während der Parteichef sich in sein Zimmer zurückzieht, werden die anderen Mitglieder des Parteivorstandes, darunter einige Ministerpräsidenten, noch ein oder mehr Gläser trinken. Es ist ein ausgelassener Abend, für Merz gilt aber: Solange es noch Pflicht gibt, kommt kein Vergnügen.
"Tugendhaft" - ein Begriff, der irgendwie aus der Zeit gefallen scheint und doch so gut zu Friedrich Merz passt. Jeder seiner Mitarbeiter weiß, dass der Chef auf strikte Pünktlichkeit pocht. Egal, ob alle da sind oder nicht: Merz eröffnet die Sitzungen zur angekündigten Zeit. Wer später dazustößt, bekommt den Missmut des Chefs zu spüren.
Merz erwartet Disziplin
Auch wenn sich das Konrad-Adenauer-Haus nach außen einen modernen Look gegeben hat, statt im alten Merkel-Orange präsentiert sich die CDU nun in Türkis und Blau, geht es in der CDU-Zentrale doch sehr konservativ zu. Den Chef dürfen nur sehr wenige duzen, selbst engste Mitarbeiter sagen "Sie".
Merz stellt hohe Ansprüche an sich selbst, seine Mitarbeiter, aber auch an die Bürger. Beispiel Bürgergeld: Die Union will es nach der Wahl in seiner jetzigen Form wieder abschaffen. Es ist eine der prominentesten Forderungen im Wahlkampf. Der Tenor, den die Partei dabei anschlägt: Nichts tun dürfe nicht belohnt werden. Wer arbeiten könne, solle es auch tun.
Generell müssten sich die Wähler auf unbequeme Wahrheiten einstellen, meint Merz immer wieder. Wegen der strauchelnden Wirtschaft gelte es nicht weniger, sondern mehr zu arbeiten.
Merz erwartet Disziplin. Das zeigt sich auch in seiner Art, zu führen. Seitdem er an der Spitze der Bundestagsfraktion steht, enden die Sitzungen teilweise überpünktlich. Ausschweifende Debatten wie unter Ralph Brinkhaus, dem Vorgänger von Merz, gibt es nicht mehr. Strittige Punkte räumt Merz vorher ab. Er führt von vorn, heißt es von einem führenden Fraktionsmitglied.
Frust über seine Ansprechhaltung
Eine Szene aus dem Sommer 2023 macht es deutlich. Hinter dem CDU-Chef lag einer Serie rhetorischer Pannen. So hatte er öffentlich Kinder mit Migrationshintergrund als "kleine Paschas" bezeichnet. Im Zusammenhang mit ukrainischen Geflüchteten hatte Merz von "Sozialtourismus" gesprochen.
Dafür entschuldigte er sich zwar, doch über die Monate hatte sich zunehmend Frust in der Union angestaut. Der Vorwurf: Die Ansprechhaltung des Vorsitzenden sei unangemessen, teils populistisch.
Als dann auch noch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst in einem Gastbeitrag in der FAZ schrieb, das Herz der CDU schlage in der Mitte, und sich, so interpretierte man es damals auch in der Union, gegen Merz richtete, reichte es dem CDU-Chef offenbar. In der letzten Fraktionssitzung vor der Sommerpause machte er eine feurige Ansage und verordnete Geschlossenheit. Wer etwas zu kritisieren habe, könne ihn jederzeit kontaktieren.
Keine Erfahrung im Regierungsamt
Sollte Merz es ins Kanzleramt schaffen, fragen sich auch einige in der Union, wie dieser Führungsstil bei einem Kabinett ankommen wird. Denn in dem werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur seine Parteifreunde sitzen.
Trotz Jahrzehnten in der Politik hat Merz damit keine Erfahrung. Er war weder Kabinettsmitglied, noch hat er je eines angeführt. Dabei hat Merz die parteiinterne Ochsentour durchlaufen, die für viele andere im Regierungsamt endete: Mitglied der Jungen Union, Abgeordneter im Europäischen Parlament, dann Bundestagsmitglied, später sogar Vorsitzender der Bundestagsfraktion.
Auch sein persönliches Profil ist ein CDU-typisches: Mann aus Nordrhein-Westfalen, Jurist, katholisch, verheiratet, drei Kinder. Doch mit Mitte vierzig bekommt Merz' Karriere einen Knick, und zwar in dem Moment, als an die Spitze der Partei eine Frau tritt, die auf den ersten Blick so gar nicht zur CDU passen will: Angela Merkel. Frau, ostdeutsch, kinderlos.
2002 beanspruchte sie auch den Fraktionsvorsitz für sich, den bis dahin Merz innehatte. Merkel setzte sich gegen Merz durch. Er zog sich infolgedessen von der politischen Bühne zurück und arbeitete nun vor allem in der Wirtschaft. So saß er zum Beispiel im Aufsichtsrat des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock. Ein Unternehmen, das international mit Milliardenbeträgen hantiert.
Rolle rückwärts in die Vor-Merkel-Zeit
Als Merz sich vor Jahren in einem Interview in die gehobene Mittelschicht eingruppierte, erntete er dafür viel Spott. Abgehoben: Ein Attribut, das ihm immer wieder zugeschrieben wird. Auch als er mit seinem Privatflugzeug nach Sylt zur Hochzeit von FDP-Chef Christian Lindner flog. Merz verwehrt sich stets dagegen: Das Fliegen sei ein Jugendtraum und Hobby.
Erst als Merkel ihren Rückzug ankündigte, kehrte Merz auf die bundespolitische Bühne zurück. Da war er bereits Mitte sechzig. Allerdings funktionierte es für ihn mit dem Parteivorsitz erst im dritten Anlauf. Zunächst musste er sich der Merkel-Vertrauten Annegret Kramp-Karrenbauer geschlagen geben - und auf sie folgte Armin Laschet.
Dass er es nun Angela Merkel gleichtun und ins Kanzleramt einziehen könnte, dürfte eine Genugtuung für Merz sein. Ihren Namen erwähnt er öffentlich nur selten. Unter ihm hat die CDU gar eine Rolle rückwärts gemacht, zurück in die Vor-Merkel-Zeit. Er hat das konservative Profil wieder geschärft, liberale Wirtschaftspolitik in den Fokus gerückt sowie beim Thema Migration eine härtere Gangart angekündigt.
Die Rolle von Frauen in der Merz-CDU
Die Merz-CDU ist zudem deutlich männlicher, zumindest nach außen: Carsten Linnemann, Thorsten Frei und Jens Spahn sind neben dem Parteichef die Gesichter der Partei. Zwar heißt es von den Frauen in der Union, Merz würde ihnen keine Steine in den Weg legen. Dass er allerdings dafür sorgt, Frauen den Weg freizuräumen, hört man selten.
Die Frage, ob er sein Kabinett denn paritätisch besetzen würde, hat Merz zuletzt in Interviews mit "nicht zwingend" beantwortet. In erster Linie gehe es ihm um "richtig gute fachliche Expertise". Es wird also spannend, wie vielen Frauen Merz in seiner Partei ausreichend Kompetenz zutraut, um ein Ministeramt zu übernehmen.
Angela Merkel, die bereits gezeigt hat, dass sie Kanzlerin kann, weigert sich zwar, Wahlkampf für Merz zu machen. Sie gestand ihm bei ihrer Buchpremiere vor ein paar Wochen allerdings zu: Für das Kanzleramt brauche man einen unbedingten Willen zur Macht. Und: "Friedrich Merz hat ihn."