Bundestag zur Asylpolitik Ein Tabubruch mit Ansage
Der Bundestag hat einen Antrag der Union angenommen, der eine härtere Migrationspolitik fordert - mit Stimmen von Union, FDP und AfD. Damit wird eine in Teilen rechtsextreme Partei zum ersten Mal zur Mehrheitsbeschafferin.
"Pfui" wird gerufen, als CDU-Chef Friedrich Merz ans Rednerpult tritt. Gerade hat der Bundestag den Antrag der Union angenommen. Es ist der Moment, in dem die AfD vor Kraft kaum laufen kann und Parteichefin Alice Weidel umarmt und geherzt wird. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, spottet, Merz habe "schlotternde Knie". Jetzt beginne etwas Neues.
Rolf Mützenich, Fraktionschef der SPD, fordert, die Sitzung zu unterbrechen. Jetzt könne man nicht zur Tagesordnung übergehen.
Tagesordnung - ein Wort, das über dem Tag steht. Auch kurz vor 14 Uhr, als sich die Abgeordneten versammeln. Viele sind noch angefasst, ihnen steckt die Gedenkstunde an die Opfer des Holocaust in den Knochen. Gerade hat der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzman gesprochen. Und jetzt muss der Bundestag zur Tagesordnung übergehen.
Weidel fehlt bei Gedenkminute zu Aschaffenburg
Es geht um die Anschläge von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg. Auch hier ist es nahezu unmöglich, zur Tagesordnung überzugehen. Auch hier sind viele bewegt, sprachlos. Was sind die Konsequenzen? Darum geht es. Aber viel mehr geht es noch um die Frage: Wird es gelingen, dass zum ersten Mal eine Mehrheit nur dank der AfD zustande kommt? Einer Partei, die in Teilen rechtsextrem ist?
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas fordert gleich zu Beginn, die Debatte müsse "ehrlich, schonungslos und respektvoll" sein. Ein Wunsch, der sich nur teilweise erfüllen wird.
Alle Abgeordneten erheben sich zu einer Gedenkminute für die Opfer von Magdeburg und Aschaffenburg. Alice Weidel, die Chefin der Partei, um die es gleich sehr viel gehen wird, ist da noch nicht an ihrem Platz. Die AfD-Kanzlerkandidatin kommt erst in dem Moment, in dem der Bundeskanzler seine Regierungserklärung beginnt.
Scholz: "Auch ich bin empört"
Olaf Scholz spricht über Aschaffenburg. Wieder ein Täter, der den Schutz missbraucht habe, so sagt es der Kanzler und SPD-Kanzlerkandidat. Es stelle sich wieder die Frage, ob und wo Behörden versagt hätten. "Auch ich bin empört", liest Olaf Scholz vom Blatt. Da wird es zum ersten Mal laut im Saal.
Scholz zählt dann auf, was unter seiner Führung alles erreicht wurde. Grenzkontrollen oder die Abschiebung von Straftätern nach Afghanistan. Der Kanzler ist der Meinung, dass Taten wie der Mord an einem Kind in Aschaffenburg hätten verhindert werden können, wären die Gesetze konsequent angewandt worden.
Scholz erinnert Merz an seine eigenen Worte
Scholz wendet sich dann immer wieder an CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Er stellt den Oppositionsführer in eine Reihe mit Viktor Orban, den ungarischen Ministerpräsidenten. Und er nimmt Merz aus einer anderen Reihe ausdrücklich aus. Die Kanzler Adenauer, Brandt, Schmidt, Kohl und Merkel hätten nicht das getan, was Merz nun tue.
Der noch amtierende Kanzler spricht über den Amtseid eines Bundeskanzlers und greift dann auf, dass der CDU-Chef gesagt habe, er wolle "All in" gehen. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein", ruft Scholz.
Scholz erinnert Merz noch an seine Worte aus dem November. Da hatte er vorgeschlagen, nicht zu riskieren, dass es zufällig Mehrheiten mit der AfD gibt. Viele Bürger hätten Merz vertraut. "Was sind diese Worte jetzt noch wert?", fragt der Kanzler gleich zweimal.
Merz: "Was muss eigentlich noch passieren?"
Friedrich Merz geht nach vorn und will erklären, warum er so handelt, wie er handelt. Immer wieder wird es sehr laut im Saal, teilweise ist der Oppositionsführer auf der Tribüne kaum zu verstehen.
Merz sagt: Das Richtige zu entscheiden, werde nicht dadurch falsch, dass die Falschen - also die AfD - zustimmten. Und er fragt: "Was muss eigentlich in Deutschland noch passieren? Wie viele Menschen müssen noch ermordet werden?" Er könne es mit seinem Gewissen einfach nicht mehr vereinbaren.
Habeck will nicht Beifahrer sein
Der grüne Kanzlerkandidat und Wirtschaftsminister Robert Habeck geht darauf ein. Das Ausweichen auf das Gewissen entbinde nicht von politischer Verantwortung. Merz entziehe sich so der Debatte.
Und dann greift er einen Satz auf, den Merz vor einigen Tagen gesagt hat: Er würde nicht nach links oder rechts schauen, sondern nur geradeaus. Da wolle man nicht Beifahrer sein, sagt Habeck. Es ist ein Moment, in dem sich mal wieder die Frage stellt: Könnten die Grünen mit einem Kanzler Merz regieren?
Die AfD muss im Moment wenig tun
Die AfD-Fraktion hört sich alles an, ruft immer wieder laut dazwischen. Parteichefin Alice Weidel spricht erst nach mehr als einer Stunde. Die Kanzlerkandidatin kann sonst auch laut werden, heute bleibt sie leise. Ihre Partei muss im Moment wenig tun. Sie kann dabei zusehen, wie die anderen sich streiten.
Weidel wirft der Union auch diesmal vor, sie habe ihre Vorschläge kopiert. "Abschreiben statt Abschieben", nennt sie das. Verstörend sei es außerdem, was die Union in ihren Anträgen über die AfD schreibt. Das sei verantwortungslos und infantil. Das halte die AfD aber nicht davon ab, das Richtige zu tun. "Das Wohl des Landes und seiner Bürger hat bei uns immer Vorrang vor egoistischer Parteitaktik."
Am Freitag folgt die nächste Abstimmung
Die Union folgt am Ende fast geschlossen ihrem Fraktionsvorsitzenden. Nur eine Abgeordnete - die CDU-Abgeordnete Antje Tillmann - stimmt mit Nein; acht Abgeordnete fehlen. Aus der AfD gibt es nur Ja-Stimmen - obwohl der Partei im Antrag der Union der Vorwurf gemacht wird, sie sei fremdenfeindlich.
Merz sagt, er bedauere die Mehrheit. Und spricht dann über Freitag. Dann soll der Bundestag über ein Gesetz abstimmen, ebenfalls zum Thema Migration. Es könnte wieder eine Mehrheit mit der AfD geben. Merz bietet SPD und Grünen Gespräche an und fordert sie auf, "zur Vernunft zu kommen".
Dass der Bundestag nun schnell wieder zur Tagesordnung übergeht, ist aber unwahrscheinlich.