
Sondersitzung im Bundestag Was im Grundgesetz geändert wurde
Der Bundestag hat Änderungen des Grundgesetzes zu den Themen Verteidigung, Infrastruktur und Klimaneutralität beschlossen. Was genau soll nun neu werden im Grundgesetz? Ein Überblick.
Was regelte die Schuldenbremse im Grundgesetz bisher?
Im Mai 2009 hat der Bundestag die sogenannte Schuldenbremse, also das Verbot einer Neuverschuldung für Bund und Länder in die Artikel 109 und 115 des Grundgesetzes (GG) geschrieben. Für den Bund lautet der Kernsatz in Artikel 115 GG: "Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen."
"Grundsätzlich ohne" bedeutet, dass Schulden nur in einem festgelegten geringen Umfang von maximal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemacht werden dürfen. Das Bruttoinlandsprodukt ist ein zentraler wirtschaftlicher Indikator, der die gesamte wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft über einen bestimmten Zeitraum hinweg erfasst. Dieser Spielraum gilt allerdings nur für den Bund. Die Bundesländer dürfen bisher überhaupt keine neuen Schulden aufnehmen.
Gab es Ausnahmen von der Schuldenbremse?
Von der Schuldenbremse gab es auch bisher schon eine Ausnahme, die direkt im Art 115 GG steht: Im Falle von "Naturkatastrophen" und "außergewöhnlichen Notsituationen", die sich der Kontrolle des Staates entziehen, darf der Bund durch Beschluss des Bundestages doch mehr Schulden aufnehmen.
Zum Beispiel während der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht und für diese "außergewöhnliche Notsituation" neue Schulden aufgenommen. 2023 setze das Bundesverfassungsgericht dieser Ausnahmeregelung aber gewisse Grenzen.
Was hat der Bundestag jetzt in Sachen Verteidigung beschlossen?
Der Bundestag hat unter anderem beschlossen, dass die Ausgaben für Verteidigung, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste ab einer bestimmten Höhe nicht mehr von der Schuldenbremse umfasst sind.
Anders ausgedrückt: Ausgaben in Höhe von einem Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts muss der Bund aus dem normalen Haushalt für diese Aufgabenfelder nehmen. Erst wenn er meint, für die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit mehr ausgeben zu müssen, darf er dann dafür neue Schulden aufnehmen.
Die Schuldenbremse steht diesen Ausgaben nicht im Weg, weil das Grundgesetz selbst mit der nun eingefügten Änderung diese Ausnahme regelt.
Was hat es mit dem Sondervermögen für Infrastruktur auf sich?
Darüber hinaus hat der Bundestag beschlossen, für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro im Grundgesetz aufzunehmen. Dafür wurde der Artikel 143h GG geschaffen. Darin sind folgende Punkte geregelt: Der Bund kann für die genannten Zwecke in den nächsten zwölf Jahren Kredite aufnehmen. Allerdings nur für "zusätzliche Investitionen".
In der Gesetzesbegründung wird erklärt, was das bedeutet: Nur wenn aus dem normalen Bundeshaushalt zehn Prozent für Investitionen ausgegeben werden, darf für weitere, also zusätzliche Investitionen auf das Sondervermögen zurückgegriffen werden. Von den 500 Milliarden werden 100 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) genutzt. 100 Milliarden stehen den Bundesländern für Investitionen in deren Infrastruktur zur Verfügung.
Was ist ein Sondervermögen?
Ein Sondervermögen ist ein vom Bundeshaushalt getrennter Topf, der für bestimmte, begrenzte Aufgaben zur Verfügung steht. Das Wort Sondervermögen allein besagt noch nicht, woher das Geld für diesen Topf kommt.
Auch für Sondervermögen gilt erst einmal die Schuldenbremse, wenn nichts anderes im Grundgesetz geregelt ist. Mit dem jetzt geplanten Sondervermögen geht es aber im Kern darum, neue Schulden für Infrastruktur und Klimaneutralität zu machen. Das Wort "Vermögen" ist also in gewisser Weise irreführend. In Artikel 143h GG ist klar geregelt, dass die Schuldenbremse für diese konkrete Ausnahme nicht mehr gilt.
Wird "Klimaneutralität bis 2045" dadurch zum Staatsziel?
100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen werden nach der neuen Vorschrift in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben. Die Worte "Klimaneutralität bis 2045" tauchen damit erstmals ausdrücklich im Grundgesetz auf.
In den vergangenen Tagen gab es eine intensive Diskussion darüber, ob "Klimaneutralität bis 2045" damit zum ausdrücklichen Staatsziel im Grundgesetz erklärt wird. Dann wäre der Staat durch diese Vorschrift verfassungsrechtlich verpflichtet, dieses Ziel zu erreichen. Der Wortlaut und der mehrfach geäußerte Wille der Initiatoren sprechen jedoch klar dafür, dass in der neuen Vorschrift allein ein bestimmter Zweck zur Verwendung der Mittel vorgeschrieben ist.
Gibt es das Staatsziel "Klimaschutz" schon an anderer Stelle?
Ja. Wichtig zu wissen ist: An anderer Stelle regelt das Grundgesetz schon jetzt eine Pflicht des Staates zum Klimaschutz. Und zwar in Artikel 20a, in dem es um den "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" geht.
In seinem viel besprochenen "Klimabeschluss" hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2021 festgestellt: Die Ziele des Pariser Klimaabkommens haben Verfassungsrang. Das "Paris-Ziel" lautet, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
"Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz und zielt auf die Herstellung von Klimaneutralität", heißt es in der Entscheidung. Klimaschutz habe zwar keinen absoluten Vorrang vor allen anderen Belangen. Das Gewicht des Klimaschutzgebots nehme aber mit fortschreitendem Klimawandel immer weiter zu.
Was ändert sich für die Bundesländer?
Mit der Grundgesetzänderung wurde die Schuldenbremse in einem weiteren Punkt etwas gelockert: Nach den neuen Regelungen haben nun auch die Bundesländer einen eng begrenzten Spielraum bei der Aufstellung ihrer Haushalte.
Nach der Schuldenbremse von 2009 durften sie gar keine neuen Schulden machen. Jetzt dürfen sie alle zusammen Kredite bis zu einer Höhe von 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts aufnehmen. Es gilt jetzt also für die Länder die Regel, die bisher schon für den Bund galt.
Werden die Schulden bereits durch die Grundgesetzänderungen aufgenommen?
Nein. Der Staat hat nun die Möglichkeit, die Schulden nach den festgelegten Kriterien aufzunehmen. Vorausgesetzt, dass auch der Bundesrat noch der Grundgesetzänderung zustimmt.
Kann man gegen die Grundgesetzänderung klagen?
Schon im Vorfeld der Abstimmung im Bundestag gab es zahlreiche Klagen am Bundesverfassungsgericht. Darin ging es aber nur um die Frage, ob der "alte" Bundestag berechtigt ist, solch weitreichende Entscheidungen zu treffen. Politisch wird das umstritten bleiben, rechtlich hat das Bundesverfassungsgericht die Frage ausdrücklich bejaht.
Um die Inhalte der Grundgesetzänderungen konnte es vorab noch gar nicht gehen. Diese könnten aber nachträglich überprüft werden, falls ein Viertel der Abgeordneten des Bundestags, die Bundesregierung oder eine Landesregierung dagegen klagen.
Klagen könnte es vor allem bei der Anwendung der neuen Vorschriften geben. Bei Gesetzesänderungen unter großem Zeitdruck besteht immer das Risiko, dass die Bedeutung einzelner Begriffe umstritten und damit auslegungsbedürftig ist. Auch über die korrekte Verwendung der Mittel könnte es zu Streitigkeiten kommen.