Unions-Kanzlerkandidat Merz spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung in Neuhof

Debatte über Migrationspolitik "Merz' Brandmauer brennt lichterloh"

Stand: 25.01.2025 20:04 Uhr

Die Union will eine Verschärfung der Migrationspolitik vorantreiben - und stößt auf Widerstand. SPD-Parteichefin Esken spricht von einem "Erpressungsversuch".

Im Streit um die Migrationspolitik hat SPD-Chefin Saskia Esken dem Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU) einen "Erpressungsversuch" vorgeworfen. Nach der Messerattacke von Aschaffenburg hatte er Pläne angekündigt, die gar nicht umsetzbar seien, so Esken. Etwa Menschen unbegrenzt in Haft zu nehmen, das Asylrecht abzuschaffen oder die Grenzen zu schließen. Und dann sage er: SPD und Grüne könnten ja zustimmen, wenn aber nicht, dann gehe er den Pakt mit den Faschisten von der AfD ein.

Esken warnt vor Aufstieg der AfD

"Die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut und sie brennt lichterloh," so Esken. "Da klopfen die Dreißigerjahre an." Rechtsradikale Parteien gelangten dann an die Macht, wenn Konservative ihnen den Steigbügel hielten, sagte Esken mit Blick auf den Aufstieg der Nationalsozialisten. Esken forderte Merz auf, mit anderen demokratischen Kräften Kompromisse auszuhandeln.

Auch die SPD und die Grünen zweifeln an der Verlässlichkeit von Merz, die "Brandmauer" zur AfD aufrechtzuerhalten. Der Kanzlerkandidat der Grünen, Habeck sagte in einem Video auf "X", Merz habe selbst nach dem Bruch der Ampel den Vorschlag geäußert, auch im Wahlkampf nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten. Auch für die Zeit nach der Bundestagswahl habe er dies versichert. "Dieses Wort darf nicht gebrochen werden", so Habeck.

Mast: "Zusammenarbeit mit der AfD ist ein Dammbruch"

Bundeskanzler Scholz erklärte, er habe Merz seine Brandmauer-Beteuerungen stets abgenommen. Nun frage er sich aber: "Was soll ich glauben?" Das sei eine Frage, die sich jeder Bürger nun stellen müsse. Zudem verstoßen die von Merz vorgeschlagenen Asylrechtsverschärfungen gegen die Verfassung. Auch die Parlamentsgeschäftsführerin der SPD, Katja Mast, sprach von einem "Dammbruch", falls Merz mit der AfD zusammenarbeite. "Er gibt auf, unter den Demokraten die Mehrheiten herbeizuführen", sagte Mast vor Journalisten. "Das ist der Freifahrtschein für die Zusammenarbeit mit der AfD."

Neubauer: "Unverzeihlich, inaktzeptabel und feige"

Vor einer geplanten Großdemonstration in Berlin gegen einen Rechtsruck attackiert auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer Merz. Er wahre in der Migrationspolitik zu wenig Distanz zur AfD. "Es ist unverzeihlich, inakzeptabel und feige, dass Friedrich Merz im Begriff ist, die Brandmauer gegen die AfD einzureißen", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. "Umso entscheidender ist es, dass wir als Zivilgesellschaft den Mut und das Rückgrat auf die Straße tragen, das der Union offenkundig verloren gegangen ist."

"Viele fragen sich, was man tun kann, angesichts der Welle von Hetze, Klimaleugnung und Rassismus, die wir diese Tage auf allen denkbaren Weltbühnen erleben." Die rechtsradikalen Kräfte hofften, dass die demokratische Mehrheit still bleibe und resigniere. "Genau das lassen wir nicht zu. Wir demonstrieren in Berlin und im ganzen Land, dass wir unsere Demokratie, unsere Werte und Lebensgrundlagen beschützen - komme, was wolle."

Markus Reher, RBB, zu Demonstration gegen Rechts in Berlin

tagesschau, 25.01.2025 17:00 Uhr

"Die Parteien der Mitte müssen Verantwortung übernehmen"

In der Bild-Zeitung versicherte Merz: "Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Darauf können sich alle verlassen." Er könne sich nicht vorstellen, dass SPD, Grüne und FDP jetzt nichts unternehmen wollten, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern. "Die Parteien der Mitte müssen Verantwortung übernehmen. Das ist das beste Mittel gegen die politischen Extreme rechts und links. Es muss jetzt etwas passieren."

Der "Heilbronner Stimme"-Mediengruppe sagte Merz, die Union werde heute die Bundestagsanträge fertigstellen und vorab nur SPD, Grünen und FDP zur Verfügung stellen. "Die AfD bekommt sie nicht." Er verhandle mit der AfD nicht, auch nicht mit dem BSW und anderen.

Sollte Merz die Ankündigung zurücknehmen, seine Anträge zur Not auch mit Zustimmung der AfD durchzusetzen, zeigte Habeck sich versöhnlich. "Wenn es nicht zu einer Abstimmung kommt, wo die Mehrheitsbildung mit der AfD billigend in Kauf genommen wird, dann wird es von grüner Seite und von meiner Seite aus dafür Respekt geben und nicht Häme", sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Stuttgart. 

Offenbar auch Unions-intern Kritik

Die Co-Vorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, lehnt eine Zustimmung ihrer Partei zu den Unions-Vorschlägen ab. "Friedrich Merz weiß genau, dass seine Forderungen mit Europarecht und auch mit dem geltenden Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren sind", sagte sie dem RND. Auch inhaltlich erweckten sie "erhebliche Zweifel daran, wie standhaft die Brandmauer der Union zur AfD tatsächlich ist".

Nach Informationen von Zeit Online ist Merz' Vorstoß auch parteiintern nicht unumstritten. Das Portal zitierte nicht namentlich genannte interne Kritiker: Es sei taktisch unklug gewesen, die Brandmauerdebatte vor der Wahl loszutreten.

AfD bietet Zusammenarbeit an

AfD-Chefin Alice Weidel hatte Merz auf der Plattform X eine Zusammenarbeit bei der Migrationsfrage angeboten. "Die kommende Sitzungswoche im Deutschen Bundestag bietet dafür eine Gelegenheit, die nicht ungenutzt verstreichen darf", schrieb sie. Der von Merz am Donnerstag angekündigte migrationspolitische Kurswechsel sei ein gutes Zeichen. "Die Brandmauer ist gefallen", schrieb die Kanzlerkandidatin der AfD.

Mit FDP, AfD und BSW hätte die Union eine Mehrheit

Um im aktuellen Bundestag auf eine Mehrheit zu kommen, wäre die Union auf die Zustimmung mehrerer Parteien angewiesen - allein die Zustimmung der in Teilen rechtsextremen AfD würde nicht reichen. Würden allerdings zusätzlich auch die Abgeordneten von FDP und BSW für die Anträge der Union stimmen, käme eine Mehrheit zustande.

Das BSW ist grundsätzlich migrationskritisch, und auch aus der FDP kamen Signale der Zustimmung für Merz' Vorschläge. Eine neue Migrationspolitik sei "die Bedingung für jede Regierungsbeteiligung", sagte FDP-Chef Christian Lindner.

Dietrich Karl Mäurer, ARD Berlin, tagesschau, 25.01.2025 14:28 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 25. Januar 2025 um 21:00 Uhr.