
Nach Beschluss von Finanzpaket ++ DIHK fordert zusätzliche Reformen ++
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer hält zusätzliche Reformen zum Finanzpaket für notwendig. Der Bundesrat entscheidet am Freitag über die milliardenschweren Schuldenpläne von Union und SPD.
Die wichtigsten Entwicklungen:
- DIHK: Brauchen strukturelle Reformen
- Bundesrat entscheidet am Freitag über Schuldenpaket
- Grünes Licht für Finanzpaket im Bundestag
- Finanzpaket bekommt in zweiter Lesung einfache Mehrheit
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sieht die Politik jetzt in der Verantwortung, die zusätzlichen Milliarden klug und effizient einzusetzen. "Geschieht dies nicht, kann diese massive Verschuldung zu einem enormen Risiko werden. Denn klar ist: Unsere Wirtschaft muss mittelfristig wieder schneller wachsen als Schulden und Kreditzinsen", sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Es brauche jetzt größere Reformen der nächsten Regierung. Nur dann könne das Schuldenpaket funktionieren.
Die Grundgesetzänderungen können in Kraft treten, wenn auch der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit zustimmt. Die Abstimmung in der Länderkammer ist für diesen Freitag geplant.
Das historische Kreditpaket von Hunderten Milliarden Euro für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz hat den Bundestag passiert. Die Abgeordneten stimmten den dafür nötigen Grundgesetzänderungen mit Zweidrittelmehrheit zu. Für die Vorlage stimmten 513 Abgeordnete, wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mitteilte. 207 stimmten mit Nein, Enthaltungen gab es keine.
Mehrere FDP-Landtagsfraktionen wollen die Zustimmung des Bundesrats zum milliardenschweren Finanzpaket und zur Aufweichung der Schuldenbremse verhindern. Dafür kündigten die FDP-Fraktionen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bremen Klagen vor den jeweiligen Landesverfassungsgerichtshöfen an. Sie wollen so im letzten Moment die Zustimmung ihrer Landesregierungen zur geplanten Änderung des Grundgesetzes im Bundesrat am Freitag verhindern.
Das milliardenschwere Finanzpaket von Union und SPD passiert den Bundestag in zweiter Lesung mit einfacher Mehrheit. Nun geht der alte Bundestag in die abschließende dritte Lesung mit einer namentlichen Abstimmung. Nötig ist nun einen Zweidrittel-Mehrheit.
Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf der FDP zur Aufstockung des Bundeswehr-Sondervermögens um 200 Milliarden Euro abgelehnt. Die Vorlage bekam in zweiter Lesung in namentlicher Abstimmung nur 87 Ja-Stimmen, 627 Abgeordnete votierten dagegen, drei enthielten sich. Die FDP hatte den Gesetzentwurf als Alternative zu dem geplanten Finanzpaket von Union, SPD und Grünen eingebracht.
Im Bundestag beginnen nun die Abstimmungen über verschiedene Gesetzentwürfe und das Finanzpaket von Union und SPD. Für die Grundgesetzänderungen braucht es eine Zweidrittelmehrheit.
Zum Abschluss der kontroversen Debatte im Bundestag wirbt Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei noch einmal für das gigantische Schuldenpaket. Natürlich würden die Schulden nicht sofort alle Probleme im Land lösen. Nun müsse konsolidiert und das Land reformiert werden. "Die großen Herausforderungen warten nun auf uns." Weniger Bürokratie und Planungsbeschleunigungen seien nötig, damit dieses Geld nicht verpuffe.
Der Vorsitzende der Gruppe die Linke im Bundestag, Sören Pellmann, hat die geplante Grundgesetzänderung zur Lockerung der Schuldenbremse als "Blankoscheck für unbegrenzte Aufrüstung" kritisiert. CDU-Chef Merz führe das Land damit "ins Unheil", kritisierte Pellmann, der im nächsten Bundestag zusammen mit Heidi Reichinnek die Linke wieder in Fraktionsstärke anführen wird. Mit Blick auf die geplanten Milliardeninvestitionen in Verteidigung warnte Pellmann vor "Aufrüstung und Militarisierung in nie gekanntem Ausmaß".
"Moin", beginnt Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) seine Rede im Bundestag. Er begrüßte das Finanzpaket grundsätzlich, schränkte aber ein: "Ein historisches Schuldenpaket muss zu historischen Fortschritten führen." Er forderte spürbare Verbesserungen für die Menschen. Der SSW ist als Minderheitenpartei von der Fünfprozenthürde ausgenommen. Seidler gehört als Einzel-Abgeordneter auch dem neuen Bundestag an. Der SSW wurde 1948 als politische Interessenvertretung der dänischen Minderheit gegründet.
Sollte der Bundestag am Nachmittag mit der ausreichenden Mehrheit zustimmen, muss der Bundesrat die Grundgesetzänderung am Freitag ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit absegnen. Dies galt inzwischen als sicherer, weil auch Bayern seine Zustimmung signalisierte und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sich überzeugt zeigte, dass auch sein Land trotz der Koalition mit den Linken zustimmen werde.
"Kriegskredite mit Klimasiegel" wirft BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht dem möglichen künftigen Kanzler Merz vor. Seine Politik würde nur die AfD stärken. Den Grünen wirft sie vor, "kriegsverrückt" zu sein. Das BSW werde sich diesem Weg mit aller Kraft entgegenstellen. Ihre Partei hatte den Einzug in den Bundestag knapp verpasst. Sie säte erneut Zweifel am Abstimmungsergebnis und forderte eine Neuauszählung der Stimmen. Wagenknecht versprach: "Wir kommen wieder." Die BSW-Politiker im Bundestag hielten dann Plakate hoch, was nicht erlaubt ist. Sie erhielten Ordnungsrufe.

Sahra Wagenknecht und Mitglieder ihrer Gruppe halten Plakate mit der Aufschrift "1914 wie 2025: NEIN zu Kriegskrediten!".
Die Grünen wollen nach Angaben ihrer Co-Vorsitzenden Franziska Brantner sehr genau darauf achten, dass die geplanten Milliardenkredite nicht zweckentfremdet werden. "Wir werden darauf achten, dass dieses Geld sinnvoll investiert wird", versprach Brantner. SPD und Union warf sie vor, mit ihrem ersten Entwurf für das Paket lediglich "Steuergeschenke" für wenige vorgesehen zu haben - zu Lasten künftiger Generationen. "Diesen Etikettenschwindel, den konnten wir Grüne nicht mitgehen", sagte sie mit Blick auf das anfängliche Nein ihrer Partei zum Finanzpaket. Erst nach erheblichen Zugeständnissen von Union und SPD hatten die Grünen den Plänen grundsätzlich zugestimmt.
Abschiedsrede: Otto Fricke gehört, zu denen, die dem neuen Bundestag nicht mehr angehören. Mehr noch: Seine Rede ist die letzte eines FDP-Politikers im Bundestag auf absehbare Zeit. Die FDP hat den Wiedereinzug in den Bundestag nicht geschafft. In seiner Rede kritisierte Haushaltsexperte Fricke das geplante Schuldenpaket erneut scharf. Er gehörte zu denjenigen, die die heutige Abstimmung im Bundestag per Eilantrag in Karlsruhe stoppen wollten.
Erstmal ist beim Multimilliarden-Finanzpaket der Bundestag am Zug. Doch auch die Länder sollen vom Schuldenpaket profitieren. Daher melden sich auch Ländervertreter bei der heutigen Debatte zu Wort, etwa der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer. Die Ausweitung der Schuldenregel helfe den Ländern, für gute Kitas, Schulen, Hochschulen, Verkehrswege, Mobilität und Zukunftsregionen zu sorgen, sagte der SPD-Politiker.
Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) hält die Investitionen in Militär und Infrastruktur für notwendig."Äußere und innere Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille", sagte der CDU-Politiker. Auch die nicht vom Bund finanzierten Brücken, Straßen und Krankenhäuser seien "Teil unserer Landesverteidigung".
Was regelt die Schuldenbremse?
Um gigantische Schuldenpakete geht es heute im Bundestag. Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll gelockert werden. Was regelt diese Schuldenregel? Die Regel sieht vor, dass Bund und Länder ihre Haushaltsdefizite nicht mehr durch die Aufnahme von Krediten ausgleichen dürfen. Dem Bund ist die Aufnahme neuer Kredite in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestattet. Doch es gibt Ausnahmen, die nicht der Schuldenbremse unterliegen: Weitere Kredite können Bund und Länder aufnehmen, wenn die jeweiligen Parlamente eine Notfallregelung in Anspruch nehmen. Der Bund etwa hat über die "außergewöhnliche Notsituation" während der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine über Sonderkredite höhere Schulden gemacht, als die Schuldenbremse eigentlich erlaubt.
Künftig sollen weitere Ausnahmen geschaffen werden: Für Verteidigungsausgaben, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Cybersicherheit sollen unbegrenzte Kredite möglich werden, und für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur (u. a. Schienen, Brücken, Straßen) wird ein 500-Milliarden-Euro Sondertopf ("Sondervermögen") eingerichtet, der mit Krediten gefüttert wird.
Angetrieben von der Einigung auf ein milliardenschweres Finanzpaket zwischen Union und SPD haben sich die Konjunkturerwartungen von Finanzexpertinnen und -experten im März erneut deutlich aufgehellt. Der Index des Leibniz Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) stieg verglichen mit Februar um 25,6 Punkte auf 51,6 Punkte, wie das Institut in Mannheim mitteilte. Einen stärkeren Anstieg gab es zuletzt vor mehr als zwei Jahren.
Aus Sicht von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dürfe bei der Abstimmung heute nicht viel schief gehen, sagt der stellvertretende Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Matthias Deiß, in der tagesschau. Es gebe eine namentliche Abstimmung, die später auch im Internet veröffentlicht wird, das erhöhe den Druck auf den einzelne Abgeordneten, auf Fraktionslinie abzustimmen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat betont, dass man sich auf die USA nicht mehr verlassen könne. "Wir brauchen Streitkräfte, die in die Lage versetzt werden, Sicherheit eigenständig für Europa zu organisieren", sagte er. Als Begründung nennt er, dass es auf jeden Fall Veränderungen in der transatlantischen Partnerschaft geben werde. Zudem betonte Dobrindt - wie zuvor bereits CDU-Chef Merz -, dass die neuen Milliardenkredite für Investitionen in Infrastruktur nicht die Reformen ersetzen könnten, die beim Bürokratieabbau nötig seien.
Pistorius: "Dürfen keine Zeit verlieren"
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat das schnelle Vorgehen im Bundestag gerechtfertigt. "Wer heute zaudert, wer sich heute nicht traut, wer meint, wir könnten uns diese Debatte noch über Monate leisten, der verleugnet die Realität", sagte der SPD-Politiker im Bundestag. "Wir dürfen keine Zeit verlieren." Deutschland fahre mit Blick auf seine Infrastruktur auf Verschleiß. Zugleich stehe Europa vor der bislang wohl größten sicherheitspolitischen Herausforderung. "Die heutige Abstimmung duldet deshalb auch keinen Aufschub."
Die Sicherheit dürfe "nicht durch haushaltspolitische Zwänge gefährdet werden", betonte Pistorius. Dabei versicherte er, die Kredite seien keine Blankoschecks. Die Mittel würden effektiv eingesetzt werden und unterlägen weiter der Kontrolle durch das Parlament.
Scharfe Kritik von AfD-Chef Chrupalla
Die AfD hat das geplante Schuldenpaket im Bundestag scharf kritisiert. "Der abgewählte 20. Deutsche Bundestag wird benutzt, um die zukünftige Bundesregierung zu zementieren, und natürlich, weil sie nur hier die Mehrheiten haben", sagte Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla. An CDU-Chef Friedrich Merz gerichtet sagte er, dieser habe seine Glaubwürdigkeit komplett verspielt. "Die Wähler fühlen sich von Ihnen betrogen und das zurecht."
Die Staatsverschuldung solle planlos in den Himmel getrieben werden, so der AfD-Chef. "Wofür stehen Sie eigentlich, Herr Merz? Sie haben sich mittlerweile die mRNA der SPD einpflanzen lassen", sagte Chrupalla. "Sondervermögen sind und bleiben Sonderschulden."
FDP-Fraktionschef Christian Dürr hat Merz Einknicken vor SPD und Grünen vorgeworfen. Die Schuldenbremse sei eine Versicherung für kommende Generationen gewesen, sagte er. "Jetzt wird sie zur Makulatur erklärt." CDU/CSU, SPD und Grüne setzten mit der Änderung des Grundgesetzes den "Startschuss für hemmungslose Schuldenmacherei". Die neue designierte Koalition aus Union und SPD sei daher keine "Groko", sondern eine "Schuko" - eine Schuldenkoalition.
Grünen-Co-Frakionschefin Britta Haßelmann hat Unions-Kanzlerkandidat Merz scharf angegriffen, die geplante Zustimmung ihrer Fraktion zum Finanzpaket aber gerechtfertigt. "Wir alle wussten, dass dieses Land dringend Investitionen braucht", sagte sie. Das sei auch schon vor der Bundestagswahl klar gewesen. Aber statt auf Vorschläge von Grünen und SPD einzugehen, hätten Merz und die Union dies kategorisch abgelehnt und immer wieder betont, Deutschland habe kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem.
"Wie sehr haben Sie meine Kolleginnen und Kollegen diffamiert", sagte Haßelmann. CDU/CSU hätten sich daran "regelrecht berauscht", mit einer Überheblichkeit und einem Populismus, "dass einem schlecht werden konnte". Das habe nicht zu tun mit Vernunft im Parlament, mit demokratischen Gepflogenheiten, mit einem vernünftigen Umgang miteinander und Streit in der Sache.
Durch all das aber würden die nun geplanten, dringend notwendigen Vorhaben nicht falsch. "Wir stehen hier in der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen" betonte Haßelmann. Sie sei "dennoch in der Sache froh, dass wir das jetzt heute so entscheiden".
Merz: Konsolidierungsdruck steigt
CDU-Chef Merz hat betont, dass die geplante Grundgesetz-Änderung für neue Investitionen in die Infrastruktur den Konsolidierungsbedarf der öffentlichen Haushalte nicht verringere. "Im Gegenteil, die absehbar steigende Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern und die damit einhergehende, ebenfalls absehbar steigende Zinslast zwingen zu erheblichen Einsparungen auf der Ausgabenseite aller Haushalte, der Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden", sagte er.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat das geplante Schuldenprogramm verteidigt. "Eine solche Verschuldung lässt sich nur unter ganz besonderen Umständen und auch nur zu ganz bestimmten Bedingungen eine Rechtfertigung finden", sagte er. Zugleich kritisierte er die AfD. Man habe nichts mit deren Weltbild gemein. Diese Umstände würden vor allem vom russischen Angriffskrieg gegen Europa bestimmt, sagte Merz. Gegen diese Angriffe auf die offene Gesellschaft, gegen diese Angriffe auf die Freiheit werde man sich in den nächsten Jahrzehnten zur Wehr setzen.
Von der Entscheidung des Bundestags hänge nicht nur die deutsche Verteidigungsfähigkeit ab. "Unsere Verbündeten in der NATO und der Europäischen Union schauen heute ebenso auf uns wie unsere Gegner und wie die Feinde unserer demokratischen und regelbasierten Ordnung." Die Entscheidung könne der erste große Schritt hin zu einer neuen europäischen Verteidigungsgemeinschaft sein.
Merz rechtfertigte auch die Aufnahme des Ziels der Klimaneutralität bis 2045 ins Grundgesetz, was keinen Politikwechsel darstelle. "Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Jahr 2021 hat auch der Klimaschutz Verfassungsrang", sagt er. Es gebe keine neue Staatszielbestimmung. Diese Vereinbarung mit den Grünen war in der Unions-Fraktion besonders umstritten.
Laut SPD-Co-Chef Lars Klingbeil steht der Bundestag vor einer "historischen Entscheidung". "Es geht um einen positiven Aufbruch für Deutschland und Europa", so der Fraktionschef. Deutschland sollte bereit sein, Führungsverantwortung zu übernehmen, um Frieden in Europa aufrechtzuerhalten, sagte er mit Blick auf den russischen Überfall auf die Ukraine. "Wir investieren in die Stärke unseres Landes", betonte Klingbeil. Das Paket werde die Mehrheit der Menschen in ihrem Alltag entlasten, das wirtschaftliche Wachstum ankurbeln und die Sicherheit stärken.
Klingbeil machte klar, dass es auch eine grundlegende Modernisierung des Landes brauche. Geld alleine könne die Herausforderungen, vor denen das Land stehe, nicht lösen. "Wir müssen überall effizienter, zielgenauer und professioneller werden." Es brauche dringend Reformen, die die SPD in einer künftigen Bundesregierung gemeinsam mit der Union angehen wolle. Bürokratie müsse zurückgebaut werden, dafür brauche es einen "Mentalitätswechsel", so der SPD-Chef.
FDP und AfD sind mit dem Versuch gescheitert, die Sitzung in letzter Minute zu kippen. CDU, CSU, SPD und Grüne lehnten die Anträge ab, die geplante Änderung des Grundgesetzes in mehreren Punkten von der Tagesordnung zu nehmen.
"Hier soll das Grundgesetz geändert werden in einem dramatischen Schweinsgalopp", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. "Mit einem seriösen parlamentarischen Verfahren hat das nichts zu tun." Dagegen betonte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Thorsten Frei: "Alles ist legal." Der alte Bundestag sei voll handlungsfähig. Alle Fristen seien eingehalten worden.
Am Montagabend hatte das Bundesverfassungsgericht auch weitere Eilanträge gegen die Sondersitzung abgelehnt.
Die angestrebte Zweidrittelmehrheit scheint nach Angaben von Vertretern der drei Fraktionen zu stehen. Die SPD-Fraktion wird nach den Worten von Generalsekretär Matthias Miersch so gut wie geschlossen dafür stimmen. "Wir haben einen Krankheitsfall und eine Person, die dagegen stimmen wird, ansonsten werden wir geschlossen für dieses Paket stimmen", sagte Miersch vor der Sitzung im Sender phoenix. Was man hier mache, sei historisch, fügte er hinzu.
Bei den Grünen fehlen nach Angaben von Fraktionschefin Britta Haßelmann fünf Stimmen. Bei der Union gibt es nach Angaben von Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) vom Montag zwei bis drei Abgeordnete, die nicht zustimmen wollen. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor sagte bei «phoenix», es handele sich um "einige sehr, sehr, sehr wenige Abgeordnete". Er sprach von einer großen Geschlossenheit in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat zu Beginn der Sitzung zur Sachlichkeit gemahnt. Sie erinnerte an die erste freie Wahl der Volkskammer der DDR vor 35 Jahren. Damals habe eine "demokratische Euphorie" vorgeherrscht, was zeige: "Wir können Menschen für unsere Demokratie begeistern und fürs Mitmachen gewinnen", sagte die SPD-Politikerin und betonte: "Wie damals müssen wir sachliche Debatten führen, unrealistischen Erwartungen entgegentreten und kluge Beschlüsse fassen."
Nach der friedlichen Revolution vom Herbst 1989 hatten die Wählerinnen und Wähler in der DDR am 18. März 1990 erstmals frei ein Parlament gewählt. Die etwa 400 Abgeordneten verabschiedeten in der kurzen Zeit bis zur Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 164 Gesetze und fassten 93 Beschlüsse, wie Bas in Erinnerung rief. Historisch waren die Entscheidungen für einen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes und die Billigung des Einigungsvertrags.
Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD sind fast vollzählig zusammengekommen. Bei der Union fehlen nach Angaben aus Fraktionskreisen nur wenige Parlamentarier, es werde mit maximal fünf Abweichlern gerechnet. Bei der SPD fehle ein Abgeordneter aus Krankheitsgründen, hieß es in der Fraktion.
Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hat angekündigt, dass die geplante zusätzliche Aufstockung der Ukraine-Hilfe um drei Milliarden Euro nach einer möglichen Zustimmung zum geplanten Finanzpaket in Bundestag und Bundesrat an diesem Freitag freigegeben werden soll. Das erklärte der voraussichtlich künftige Kanzler nach Teilnehmerangaben am Vormittag in einer Sitzung der Unionsfraktion. Dies werde die erste direkte Folge der heute geplanten Bundestagsentscheidung sein. Zuvor habe Merz heute Morgen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gesprochen, hieß es.
Union, SPD und Grüne hatten sich in ihren Finanzverhandlungen auch darauf verständigt, die Ukraine-Hilfe um drei Milliarden Euro aufzustocken.
Die Grünen-Fraktionsspitze rechnet mit einer breiten Zustimmung aus den eigenen Reihen. Die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sagte kurz vor der Debatte im Plenum: "Es wird eine Person geben, die angekündigt hat, mit Nein zu stimmen." Vier Abgeordnete der Grünen seien krank, ansonsten gebe es große Unterstützung. Auf die Frage eines Journalisten, ob somit 112 Ja-Stimmen aus den Reihen der Grünen zu erwarten seien, antwortete sie: "Davon gehe ich aus."
Bei einer Probeabstimmung in der Grünen-Fraktion am Montag hatte es nach Angaben aus Teilnehmerkreisen eine Enthaltung und eine unentschiedene Person gegeben. Die Abgeordnete Canan Bayram, die dem neuen Bundestag nicht angehören wird, hatte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ihr Nein angekündigt. Eine kleine einstellige Zahl an Abgeordneten war auch am Montag krank gewesen.
Reicht es für die Zweidrittelmehrheit?
Die große Frage heute: Kommt die nötige Zweidrittelmehrheit zustande? Die braucht es wegen erforderlicher Grundgesetzänderungen für das Finanzpaket. In schwierigen Verhandlungen und nach einer Reihe von Zugeständnissen haben Union und SPD sich die Zustimmung der Grünen für das Vorhaben gesichert. Die drei Fraktionen verfügen zusammen über 520 Stimmen im Bundestag, dies sind 31 mehr als für die Zweidrittelmehrheit nötig. Unklar ist aber, wie viele Abweichler es geben wird.
Der Bundestag ist noch einmal in seiner alten Zusammensetzung zusammengekommen. Er soll über das Hunderte Milliarden Euro schwere Schuldenpaket für Verteidigung und Infrastruktur abzustimmen, das Union und SPD mit den Grünen vereinbart haben. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) eröffnete am Vormittag die Sitzung. Zunächst wird in einer Geschäftsordnungsdebatte über Anträge der AfD und FDP entschieden, die auf eine Verhinderung der Abstimmung über das Schuldenpaket zielen.
Die möglichen künftigen Koalitionspartner Union und SPD wollen die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und für die Länder lockern. Zudem planen sie ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur.