ICE-Beamte führen in Denver (US-Bundesstaat Colorado) im Februar 2025 einen Mann ab.

Deportationen in den USA "Sie fragen sich: Bin ich als nächstes dran?"

Stand: 21.04.2025 16:45 Uhr

Die teils brachialen Abschiebungen haben das Leben vieler Migranten in den USA verändert. Zu spüren ist das auch in Städten, die für eine Willkommenskultur stehen. Dort begegnet man immer wieder einer tief sitzenden Angst.

Das Klassenzimmer ist gut gefüllt. Im Englischunterricht im Einwanderungs- und Flüchtlingszentrum für Nord-Colorado (IRCNoCo) in der Stadt Evans sitzen erwachsene Schülerinnen und Schüler, unter anderem aus Peru, Mexiko, Nicaragua.

Die Direktorin des Einwanderungszentrums, Araceli Calderon, erzählt, seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump kämen noch mehr Menschen hierhin, um Englisch- oder Integrationskurse zu besuchen. Sie hofften, damit ihre Chancen auf die Staatsbürgerschaft oder ein Bleiberecht zu erhöhen.

Ähnliche Zahlen, anderes Vorgehen

Nach Angaben der Trump-Regierung sind bis März mehr als 33.000 illegal Eingewanderte festgenommen worden. Das ist bisher kein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den ersten Monaten der Amtszeiten von Trumps Vorgängern Joe Biden oder Barack Obama. Aber Trump hat viele vor allem durch sein rigoroses Vorgehen schockiert: durch Festnahmen von Studierenden, die gegen Israel protestiert haben zum Beispiel, oder durch Abschiebeflüge von mehr als 200 angeblichen Gangmitgliedern nach El Salvador.

Mitzi Moran leitet das Gesundheitszentrum Sunrise, das mit IRCNoCo zusammenarbeitet. Moran erklärt, vor allem die Abschiebeflüge hätten auch bei Migranten mit Bleiberecht oder denen, die die Staatsbürgerschaft hätten, große Angst und Verunsicherung ausgelöst: "Sie fragen sich: Bin ich als nächstes dran? Wegen meines Namens, wegen meiner Hautfarbe oder weil ich eine Tätowierung habe?"

Das Einwanderungszentrum hat kürzlich die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Die Rhetorik im Zusammenhang mit Einwanderern und Flüchtlingen sei so aufgeheizt. "Wir haben Sorge, dass Leute, die gegen Einwanderer sind, hier auftauchen und etwas unternehmen könnten, was wir hier nicht wollen", berichtet Moran.

ICE-Beamte führen in Denver (US-Bundesstaat Colorado) im Februar 2025 einen Mann ab.

Im Februar führten ICE-Beamte in Denver Razzien durch. Auch dieser Mann wurde dabei abgeführt.

Auch der Rechtsweg ist mit Ängsten verbunden

Hans Meyer im etwa eine Stunde entfernten Denver hat täglich mit besorgten Einwanderern zu tun. Meyer ist Anwalt für Einwanderungsrecht. Seit Trump an der Macht ist, erzählt der 51-Jährige, kämen mehr Leute zu ihm, die Rat suchten. Aber wenige entschieden sich dafür, den Rechtsweg einzuschlagen, aus Angst, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und damit ins Visier der Regierung zu geraten.

Meyer spricht von den dunkelsten Zeiten, die er bisher erlebt hat. "Ich denke, wir werden erleben, dass politische Gegner ins Visier genommen werden. Kritiker der Trump-Regierung. Anwälte wie ich und andere, die sich für Einwanderer einsetzen. Auch wir werden zur Zielscheibe werden", prophezeit Meyer.

Was die Verfassung vorsieht

Der Anwalt sagt aber auch, dass natürlich nicht alle in Denver begeistert seien von der gestiegenen Zahl von Migranten. 2023 und 2024 kamen unter dem damaligen Präsidenten Biden mehr als 40.000 neue Einwanderer in die Stadt mit ihren rund 720.000 Einwohnern. Notunterkünfte wurden eingerichtet, Denver kam auch finanziell an die Grenze.

Die Stadt und der Bundesstaat Colorado werden von den Demokraten regiert, gelten als einwanderungsfreundlich. Denvers Bürgermeister musste sich dafür vor ein paar Wochen zusammen mit anderen demokratischen Bürgermeistern in einem Kongressausschuss rechtfertigen. Trump droht damit, Bundesstaaten wie Colorado Bundesgelder zu streichen.

Er kenne einige, die nicht gerade Migranten-Freunde seien, sagt Meyer. Und das sei natürlich eine legitime Position. "Aber wir müssen uns an unsere verfassungsmäßige Demokratie halten. Das heißt, Menschen haben das Recht auf ein Verfahren."

Untertauchen, um Deportation zu entgehen

Meyer geht davon aus, dass auch in Denver viele Einwanderer versuchen werden, unterzutauchen, die Öffentlichkeit zu meiden. Deutlich wurde das vor einigen Wochen, als es in Denver Großrazzien der US-Grenzschutzbehörde ICE gab. Menschen hatten Angst, zur Arbeit zu kommen. In Schulen blieben die Schüler weg.

Auch an der Ashley-Grundschule am östlichen Stadtrand von Denver konnte man das beobachten. 70 Prozent der rund 400 Schüler sind Migranten, die meisten sind in den vergangenen zwei Jahren mit ihren Familien eingewandert. Wie viele ohne Papiere sind? Die Direktorin Janet Estada sagt, sie wisse es nicht, schätze aber, es sei die große Mehrheit.

Ein Flugblatt ruft in Denver (US-Bundesstaat Colorado) dazu auf, Aktivitäten der Behörde ICE zu melden, um Migranten vor geplanten Razzien zu schützen.

Aktivisten haben in Denver ein Flugblatt erstellt, das dazu aufruft, Aktivitäten der Behörde ICE zu melden - um Migranten frühzeitig vor Razzien warnen zu können.

Die Furcht ist allgegenwärtig

Mit Entsetzen denkt Estada an einen Tag Mitte Februar zurück. Es gab Razzien, auch in einem Wohnviertel ihrer Schüler. Die ICE habe die Schüler nicht in die Schulbusse gelassen, so die Direktorin.

An diesem Tag habe sie sich so hoffnungslos gefühlt. Sie sei durch die Schule gelaufen, in Klassenzimmern mit sonst 25 bis 33 Schülern hätten gerade mal sieben bis zehn Kinder gesessen.

Inzwischen, sagt die Direktorin, sei die Zahl der Schüler wieder auf dem normalen Stand, aber die Furcht allgegenwärtig. "Die Kinder sprechen über ihre Angst", sagt Estada. Vor allem, weil von einigen Schülern Vater oder Mutter schon abgeschoben worden seien. Die Kinder seien still, in sich gekehrt. Psychologen unterstützten die Schule.

Estada hat mit anderen Schulen von Denver durch eine Klage versucht, Mitarbeiter der Grenzschutzbehörde ICE von Schulgeländen fernzuhalten. Ein Richter wies die Klage ab. Die Schuldirektorin sagt: "Mit Durchsuchungsbefehl müsste ich sie reinlassen, ohne Durchsuchungsbefehl lassen wir sie nicht rein."

In Aurora (US-Bundesstaat Colorado) demonstrieren Bürger für Jeanette Vizguerra, eine von ICE inhaftierte Migrantin.

In Aurora im US-Bundesstaat Colorado demonstrieren Bürger für Jeanette Vizguerra, eine US-weit bekannte Migrantin, die von der ICE-Behörde inhaftiert wurde.

Die Reaktion: Solidarität

Es sind Erfahrungen wie diese, die in Denver eine Welle der Solidarität ausgelöst haben. Raquel Lane-Arellano ist die Sprecherin der Bürgerrechtsorganisation Koalition für die Rechte von Migranten in Colorado. Sie sagt, sie empfinde die Situation als extrem beängstigend. Aber sie sei stolz auf Denver und seine Menschen.

Diesmal sei etwas anders als bei der ersten Amtszeit von Trump. Diesmal sei die Community anders vorbereitet. Lane-Arellano sagt: "Es gibt so viel Energie von so vielen Menschen, die füreinander einstehen wollen. Das ist wirklich wunderschön."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 16. April 2025 um 05:15 Uhr.