
Proteste in Israel Tausende setzen Zeichen gegen Netanjahus Politik
Zwei Monate hielt die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Nun hat die Regierung unter Premier Netanjahu neue Angriffe im Gazastreifen gestartet. In Israel protestierten dagegen Tausende Menschen. Auch im Ausland ist die Kritik groß.
Mit massiven Luftangriffen auf den Gazastreifen hat Israels Regierung die Waffenruhe mit der Hamas gebrochen. Die rechtsextremen Bündnispartner von Premierminister Benjamin Netanjahu begrüßten die Militäraktionen, bei denen Hunderte Menschen getötet wurden. Doch im In- und Ausland ist der Protest enorm.
Allein in Jerusalem nahmen Tausende Menschen an einem Protestmarsch in Richtung Jerusalem zum Amtssitz Netanjahus teil. Eine zentrale Schnellstraße wurde komplett gesperrt.
Proteste gegen die Absetzung des Geheimdienstchefs
Die Menschen demonstrierten zudem gegen die angekündigte Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes, Ronen Bar. Am Sonntagabend hatte Netanjahu die Entlassung des Shin-Bet-Chefs öffentlich gemacht. Als Grund nannte er einen "Mangel an Vertrauen". Er wolle die Entscheidung diese Woche von der Regierung billigen lassen.
Die Beziehungen zwischen den beiden gelten seit Längerem als belastet. In einer Untersuchung des Inlandsgeheimdienstes über die Fehler, die den Überfall der militant-islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 ermöglicht hatten, war Netanjahus Politik zuletzt auch kritisiert worden. Außerdem ermittelt Shin Bet zu mutmaßlichen illegalen Beziehungen von Vertrauten Netanjahus mit Katar.
"Wahnsinn beenden, bevor es nichts mehr zu retten gibt"
Die Demonstranten fordern einen Politikwechsel. Eine der Galionsfiguren der Proteste, die Physik-Professorin Schikma Bressler, sagte nach Angaben der Times of Israel: "Es ist an der Zeit, dass wir diesen Wahnsinn beenden, bevor wir nichts mehr zu retten haben, bevor wir kein Land mehr haben."
Die Demonstranten schwenkten blau-weiße Nationalflaggen sowie Flaggen in gelber Farbe, die an das Schicksal der Hamas-Geiseln erinnern sollen. Auch das Forum der Geisel-Familien hatte bereits gestern einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen gefordert.
"Wir hoffen, dass das gesamte Volk Israels sich der Bewegung anschließt, bis wir die Demokratie wieder hergestellt und die Geiseln befreit haben", sagte der 68-jährige Zeev Berar, der aus Tel Aviv zu der Demonstration gekommen war. "Du hast Blut an den Händen", skandierte die Menge an die Adresse von Netanjahu gerichtet. Andere hielten Transparente mit der Aufschrift "Wir sind alle Geiseln" oder riefen die USA auf, "Israel vor Netanjahu zu retten".
Israel setzt Angriffe im Gazastreifen fort
Ungeachtet des enormen Protests gehen die Angriffe der israelischen Armee im Gazastreifen weiter. Bei neuem Beschuss wurden heute palästinensischen Angaben zufolge mindestens 14 Menschen getötet. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa berichtete, zwei Menschen seien bei einem Drohnenangriff in Al-Mawasi ums Leben gekommen, ein Gebiet, das als humanitäre Zone ausgewiesen ist. Auch im Gebiet von Chan Yunis, im Süden des Gazastreifens, seien mehrere Zivilisten getötet worden, unter ihnen eine Frau und ein Kind. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben derzeit nicht.
Israels Militär soll zudem einen Standort der Vereinten Nationen angegriffen haben. Mindestens ein ausländischer Mitarbeiter wurde getötet, wie das Hamas-geführte Gesundheitsministerium mitteilte. Mediziner, die im Al-Aksa-Märtyrer-Krankenhaus in Deir al-Balah arbeiten, sprachen zudem von fünf verletzten UN-Mitarbeitern. Eine Bestätigung von der UN gibt es bislang nicht. Die israelische Armee dementierte den Angriff. "Entgegen den Berichten hat die israelische Armee kein UN-Gebäude in Deir al-Balah angegriffen." Man rufe die Medien zu Vorsicht mit Blick auf unbestätigte Berichte auf.
Israel hatte gestern die massivsten Luftangriffe im Gazastreifen seit Inkrafttreten einer Waffenruhe mit der Hamas geflogen. Die israelische Regierung gab an, dies sei eine Reaktion auf "die wiederholte Weigerung der Hamas, unsere Geiseln freizulassen". Die militant-islamistische Terrororganisation Hamas widerspricht dieser Darstellung und wirft Israels Regierung vor, durch den nicht erfolgten Abzug der Truppen und die Angriffe für das Scheitern des Abkommens verantwortlich zu sein. Nach Angaben der Hamas wurden bei den Angriffen gestern mindestens 400 Menschen getötet, unter ihnen offenbar zahlreiche Zivilisten.
Kallas, Macron und Abdullah II. verurteilen Angriffe
International fordern Politikerinnen und Politiker Israels Regierung dazu auf, die Gewalt zu stoppen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas bezeichnete die jüngsten israelischen Angriffe im Gazastreifen als "inakzeptabel". Sie habe dem israelischen Außenminister Gideon Saar die Frage gestellt "Warum tut ihr das?", sagte Kallas vor Journalisten in Brüssel. In ihrem am Vortag geführten Gespräch mit Saar habe sie auch die hohe Zahl der zivilen Opfer und die "Politisierung" der Nothilfe für Palästinenser durch Israel bedauert.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, dass die israelischen Angriffe einen "dramatischen Rückschritt" bedeuteten. Eine militärische Lösung sei nicht möglich, betonte er. "Die Feindseligkeiten müssen sofort beendet werden, und die Verhandlungen müssen guten Willens unter amerikanischer Vermittlung wieder aufgenommen werden", sagte Macron am Rande eines Treffens mit dem jordanischen König Abdullah II. im Elysée-Palast. "Wir fordern eine dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten und die Freilassung aller Geiseln", sagte Macron. Abdullah II. nannte die israelischen Angriffe einen "extrem gefährlichen Schritt".
Macron und König Abdullah II. wollten auch über die Notwendigkeit sprechen, humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen und den Zugang zu Wasser und Strom in dem palästinensischen Gebiet wiederherzustellen, hieß es aus Macrons Büro.
Baerbock plädiert für Deeskalation
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock will sich im Libanon für ein Ende der Militäraktionen einsetzen. Die Grünen-Politikerin flog am Morgen von Berlin aus nach Beirut, wo sie am Nachmittag politische Gespräche führen wird. Der Besuch war bereits vor den israelischen Angriffen geplant. Vor der Abreise warnte die scheidende Außenministerin vor einer Ausweitung des Konflikts. "Das Risiko einer regionalen Eskalation ist ernst", sagte sie. "Jetzt sind alle Seiten zu größter Zurückhaltung, zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts, zu einer Rückkehr zu Gesprächen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts aufgerufen", mahnte die Grünen-Politikerin.