Inhaftierte Deutsch-Iranerin "Ich bin keine Schachbrettfigur"
Vor einem Jahr wurde die Kölnerin Nahid Taghavi im Iran festgenommen. Seitdem sitzt sie im Teheraner Frauengefängnis in Haft. Ihre Tochter fordert von der Bundesregierung ein entschiedeneres Vorgehen.
Das vergangene Jahr sei heftig gewesen, erzählt Mariam Claren am Telefon. "Ich kann es gar nicht in Worte fassen." Die Stimme der 42-Jährigen kommt kurz ins Stocken. Von Deutschland aus verfolgt sie seit nunmehr einem Jahr, was ihrer Mutter, der 67-jährigen Rentnerin Nahid Taghavi, im Iran widerfährt.
Die war am 16. Oktober 2020 in ihrer Teheraner Wohnung von Sicherheitskräften festgenommen worden, tagelang fehlte jede Spur von ihr. Die ehemalige Architektin pendelte seit vielen Jahren zwischen dem Iran und ihrer Wahlheimat Deutschland, hatte vor ihrer Festnahme laut ihrer Familie nie Probleme mit dem Sicherheitsapparat der Islamischen Republik. Was ihr vorgeworfen wird, ist zu dem Zeitpunkt unklar.
Mutter und Tochter auf einem privaten Foto.
Nun sitzt Nahid Taghavi im Frauentrakt des Teheraner Evin-Gefängnis, der bekannt dafür ist, dass dort politische Gefangene untergebracht werden. "Es ist ein ständiges Auf und Ab", seufzt Mariam Claren und erzählt vom Sommer, als im Gefängnis Corona ausbrach und sich auch ihre Mutter ansteckte. Als einzige wurde ihr kein Hafturlaub gewährt. Schikane wegen ihres deutschen Passes, glaubt die Familie. Auch eine Operation am Rücken, zu der ein Arzt dringend rät, werde ihr seit Wochen nicht gewährt.
Tochter kann den Urteilsspruch nicht nachvollziehen
Von Schikane und sogar Misshandlungen berichtet auch eine ehemalige Mitgefangene Taghavis. Die 27-jährige Sepideh Qolian, politische Aktivistin, die sich unter anderem für die Rechte von Arbeitern stark macht. Im März 2021 verlegte man sie aus dem Teheraner Evin Gefängnis in den Süden des Landes, nach Bushehr. Auch sie steckte sich dort mit Covid-19 an, bekam einen Hafturlaub.
In dieser Zeit berichtet Qolian von demütigenden Bestrafungsritualen der Wachleute, Prostitution weiblicher Gefangener und psychischer Folter der Insassen. Nachdem ihr Bericht in den sozialen Medien erscheint, wird die junge Frau von 30 bewaffneten Sicherheitskräften abgeholt. Ihr Aufenthalt gilt seitdem als unbekannt, berichtet ihre Familie, die von einer Entführung spricht.
Auch die Familie von Nahid Taghavi steht im August unter Schock, als das Urteil gegen gegen die Doppelstaatlerin fällt: zehn Jahre Haft. "Wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation mit dem Ziel die nationale Sicherheit zu gefährden", zitiert Mariam Claren den Gerichtsbeschluss. "Was soll das bitte sein? Meine Mutter gehört keiner Organisation an." Weitere acht Monate kommen wegen Propaganda oben drauf, ein Standard-Urteil für anti-islamisches Verhalten aus Sicht der Islamischen Republik - da genügen bereits Fotos ohne Kopftuch.
"Wir sehen seit einem Jahr, dass nichts passiert"
Mariam Claren sieht ihre Mutter als politische Geisel. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Doppelstaatler der Islamischen Republik zum Gefangenenaustausch oder zu anderen Zwecken dient. Im Januar 2016 kam der iranisch-amerikanische Journalist Jason Rezaian frei - nach anderthalb Jahren Haft unter absurden Spionage-Vorwürfen. Am Tag seiner Freilassung geben die USA rund 1,7 Milliarden US-Dollar eingefrorener iranischer Gelder frei.
Mit dem Auswärtigen Amt, das öffentlich kaum über den Fall spricht, steht Mariam Claren regelmäßig in Kontakt. Der Fall sei mehrmals gegenüber der iranischen Seite thematisiert worden, heißt es aus Berlin. "Scheinbar kommen sie doch aber nicht weiter mit ihrer stillen Diplomatie", ärgert sich Claren. "Wir sehen seit einem Jahr, dass nichts passiert. Es ist an der Zeit, dass man seine politischen Druckmittel einsetzt. Meine Mutter war sieben Monate in Isolationshaft, hat zig Verhöre über sich ergehen lassen müssen und sich dann noch mit Corona angesteckt. Es reicht."
Anfang September war der Mutter plötzlich von einer Wärterin mitgeteilt worden, sie dürfe in wenigen Tagen in Hafturlaub gehen. Die Familie hinterlegte eine Kaution, kümmerte sich um alle Formalitäten, doch seither passierte nichts.
Vor zwei Tagen habe sie zuletzt mit ihrer Mutter übers Telefon sprechen können, erzählt Claren. Die 67-Jährige sei diesmal ungewöhnlich niedergeschlagen und wütend gewesen, berichtet von starken Rückenschmerzen. "Warum diese Spielchen? Warum diese Absurditäten?", habe sie gefragt. "Ich bin doch keine Schachbrettfigur."