Eklat um Migrationsabstimmung Was der Beschluss bedeutet - und wie es weitergeht
Die Union hat ihren Antrag zur Migration mit Hilfe der AfD durchgesetzt. SPD und Grüne sehen darin einen Tabubruch. Was bedeutet der Beschluss? Wie wird er die letzten Wochen vor der Wahl bestimmen? Und wie geht es jetzt weiter? Ein Überblick.
Was bedeutet der nun gefasste Beschluss?
In dem Antrag der Union wird die Bundesregierung aufgefordert, umfassende Zurückweisungen an deutschen Grenzen zu veranlassen. Auch Menschen, die Asylanträge stellen wollen, sollen nicht mehr einreisen dürfen. Allerdings ist der Antrag rechtlich nicht bindend. Dass er dennoch so viel Aufmerksamkeit erhält, liegt daran, dass er mit den Stimmen der Opposition eine Mehrheit gefunden hat. Redner von FDP, AfD sowie einige Fraktionslose hatten sich dafür ausgesprochen - die verbliebenen Regierungsparteien SPD und Grüne sowie die Gruppe Die Linke dagegen. Das BSW erklärte seine Enthaltung.
Wie geht es jetzt weiter?
Morgen wird erneut abgestimmt. Dann stehen im Plenum des Bundestages nicht nur Anträge mit appellativem Charakter zur Abstimmung an, sondern ein Gesetzentwurf, der - wenn er auch den Bundesrat passieren sollte - von der Bundesregierung umgesetzt werden müsste. Beispielsweise müsste der aktuell auf 1.000 Personen pro Monat beschränkte Familiennachzug zu Ausländern mit eingeschränktem Schutzstatus bis auf Weiteres beendet werden.
Außerdem sieht das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz vor, dass die Bundespolizei, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich Ausreisepflichtige antrifft, aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen darf - also zum Beispiel die Menschen in andere Länder zurückschicken kann. Eine Mehrheit im Bundestag ist wahrscheinlich, nachdem neben der Union nun auch FDP, AfD und BSW Zustimmung signalisiert haben.
CDU-Chef Friedrich Merz bot SPD und Grünen Verhandlungen für eine Zustimmung zum "Zustrombegrenzungsgesetz" an, doch das Echo blieb vorerst aus. Es könnte also wieder eine Mehrheit jenseits der Regierungskoalition und mit der AfD geben. Und diesmal zählt sie: Wird der Gesetzentwurf beschlossen, würde er zunächst an den Bundesrat gehen. Das Gesetz sieht vor, die Kompetenzen der Bundespolizei auszuweiten, damit berührt es die Interessen der Länder.
Der Bundesrat dürfte allerdings - wenn keine Fristverkürzung beschlossen wird - erst nach der Bundestagswahl über den Entwurf entscheiden. Ob der Bundesrat zustimmt ist zumindest fraglich. In schwarz-grünen Landesregierungen dürfte es in jedem Fall Diskussionen auslösen Dann müsste der Bundespräsident das Gesetz noch unterzeichnen.
Entscheidend ist die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Da nach der Wahl erst einmal Sondierungen und Koalitionsverhandlungen anstehen, könnte es theoretisch sein, dass die rot-grüne Regierung dann noch als amtierende Bundesregierung handeln müsste.
Was bedeutet das jetzt für den Wahlkampf?
Wege aus der Wirtschaftskrise, Ukraine-Hilfe, Steuerkonzepte - auf diese Themen setzten die meisten Parteien im Wahlkampf. Jetzt dominiert die Frage, wie hart sich Deutschland gegen irreguläre Migration abschotten soll.
SPD und Grüne sehen beim Thema Migration vor allem ein Problem bei der Umsetzung bestehender Maßnahmen. Die in den Umfragen zwischen 14 und 17 Prozent stagnierende SPD will nun mit Warnungen vor einer schwarz-blauen Koalition punkten. Unions-Kanzlerkandidat Merz habe "bewusst kalkuliert hingenommen", dass die AfD seinem Antrag zustimmt, obwohl er lange das Gegenteil versichert habe, sagte Scholz in der ARD. "Und deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen." Für ihn gehe es bei der Bundestagswahl nun darum, eine Mehrheit von Union und AfD zu verhindern.
Merz hält dagegen und versichert, dass eine Koalition mit der AfD für ihn nicht infrage komme. Am Tag nach der Wahl seien Stimmen für die AfD für das Ziel eines Politikwechsels deswegen "nichts mehr wert".
Was bedeutet das für den möglichen Ausgang der Wahl?
Das ist noch nicht abzusehen. Erstens haben zurückliegende Wahlen gezeigt, dass inzwischen viele Menschen erst relativ kurz vor dem Wahltermin entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Zweitens sind hier zwei Effekte zu berücksichtigen: Studien zeigen, dass das Wählerpotenzial der AfD - also die Menschen, die sich vorstellen könnten, die Partei von Alice Weidel zu wählen - deutlich kleiner ist als etwa die potenzielle Wählerschaft von CDU/CSU und SPD. Ein Teil der Menschen, die unter keinen Umständen ihr Kreuz bei der AfD machen würden, könnte auch einen Beschluss mit Stimmen der AfD kritisch sehen.
Auf der anderen Seite sind viele Wählerinnen und Wähler der Auffassung, dass Deutschland in den vergangenen Jahren zu viele Asylbewerber aufgenommen hat und bei Abschiebungen nicht schnell genug vorankommt. Einige von ihnen könnten daher den Vorstoß von Unions-Kanzlerkandidat Merz unterstützen, hier noch vor der Bildung einer neuen Bundesregierung einzuleiten.
Wie groß sind die Probleme in der deutschen Asylpolitik?
Es stimmt zwar, wenn SPD-Politiker darauf verweisen, dass die Zahl der Asylanträge 2024 um rund 30 Prozent auf 229.751 Erstanträge gesunken ist. Im Jahr zuvor hatte es allerdings einen Anstieg um rund 51 Prozent auf 329.120 Asylerstanträge gegeben. Und viele Asylbewerber brauchen auch Jahre nach der Einreise noch staatliche Unterstützung - etwa weil sie keine Wohnung finden oder aufgrund psychischer Probleme, die oft eine Folge von Kriegserfahrungen und Erlebnissen auf der Flucht sind.
Im vergangenen Jahr wurden laut Bundesinnenministerium 20.084 Menschen aus Deutschland abgeschoben - rund 22 Prozent mehr als 2023. Ein Problem ist jedoch, dass viele Menschen, die eigentlich ausreisen sollten - darunter auch Straftäter - am Ende doch länger bleiben. Zum Beispiel, weil ihre Herkunftsländer bei Rückführungen nicht kooperieren oder weil die Betroffenen am Tag der Abschiebung nicht angetroffen werden. Immer wieder kommt es zudem vor, dass es die zuständigen Behörden von Bund, Ländern und Kommunen versäumen, kurzfristig eine Rückführung zu organisieren. Das hat teils mit einer Überlastung zu tun, hängt nach Ansicht von Innenpolitikern aber auch mit dem komplexen Verantwortungsgefüge im Föderalismus zusammen.
Quelle: dpa